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«Stimmt etwas nicht?«, fragt die Iranerin, als ich innehalte und sie im Spiegel anschaue. Ich überlege, ob ich sie bitten soll, dass sie sich umdreht. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich habe das Fenster geöffnet, um die Geräusche von der Straße hören zu können. Ein sich langsam näherndes Fahrzeug, das abbremst, zum Stillstand kommt und dann einen Augenblick lähmende und erschütternde Stille verbreitet, in der ich die erstaunlich schmalen Hüften der Iranerin festhalte, während sie ihrerseits ihre Brüste festhält und im Spiegel nach meinem Gesicht sucht.»Ist was?«Sie möchte sich am Ende sogar noch ein bisschen unterhalten, obwohl sie vorher so gedrängelt hat. Sie arbeitet tatsächlich als Personalmanagerin, und ich kann nicht in Erfahrung bringen, ob das eine Schutzbehauptung ist oder ob sie sich wirklich einfach nur noch etwas dazuverdienen will. Sie ist auch Zahnarzthelferin, und sie sagt, sie überlege, ob sie sich noch einen dritten Job suchen soll.»Wie alt ist denn dein Auto?«, frage ich sie, als sie sich darüber beklagt, dass ihr Auto so hässlich ist und dass sie sich mittlerweile schon schämt, wenn sie irgendwo an der Ampel steht.»Ja, das würdest du wohl gerne wissen«, antwortet sie, während sie ihre Schuhe anzieht.»Aber das verrate ich nicht. «In diesem Moment bedauere ich, dass sie die Schuhe nicht auch im Bett angehabt hat. Ihre rissigen, fast elefantenartigen Fersen irritieren mich für einen Moment. Sie sagt, sie läuft immer barfuß. Ich schaue auf die beiden Palmen auf ihrem Rücken, während sie in den Spiegel schaut. Sich an ihren Brüsten festklammernd, die eine Hand auf dem Bett, die andere an ihrer Brust, stöhnt sie auf einmal.»Sei still«, sage ich. Ich sage es weniger aus Angst, dass es irgendjemand in der Nachbarschaft hört, sondern weil ich fürchte, es könnte eine Lüge sein. Etwas, das ich an diesem Tag vermeiden will.»Für wen sind denn die Pralinen?«, fragt sie, während sie mich küsst. Eine Schachtel mit belgischen Pralinen liegt auf einem kleinen Tischchen neben der Tür. Die ganze Zeit küssen wir uns, und ich frage mich, warum sie das macht oder ob das für sie ein selbstverständlicher Teil ihres Services ist.»Für meine Tante«, sage ich,»aber die ist blind. «Ich grinse sie an. Sie nickt, während sie sich ein letztes Mal an mich schmiegt und ihre halb geöffneten Lippen gegen mich presst. Sie grinst, ist merklich geschmeichelt. Die schönste Frau von San Diego. Später verlasse ich das Haus nochmal, um mit dem Taxi zum Supermarkt zu fahren und noch mehr Blumen zu kaufen. Die Gefühle der Schuld, die Gefühle der Düsternis, der Scham und Erschütterung finden keinen Ort, finden keinen Raum, sich auszubreiten. Schon auf dem Weg zum Supermarkt spüre ich auf einmal einen unglaublichen Sog, als würde ich zusammen mit dem Taxi und dem Taxifahrer ins Meer hineingezogen, das für eine Sekunde, als wir ein Stück bergab fahren, zwischen zwei Häuserreihen als schmaler dunkelblauer Streifen auftaucht. Als würde ich in dieses glitzernde Blau eingesogen werden. Ein Sog, der nichts anderes ist als das Gefühl der Sehnsucht, das sich auch nicht bannen lässt, als ich hundert Dollar für Blumen und andere Geschenke ausgebe. Das Licht strömt von der Küste auf mich ein. Das kalifornische Licht. Ein fernes unsichtbares Feuer, das mit aller Kraft hinter der nächsten Biegung brennt und ohne auch nur die geringsten Rauchspuren zu hinterlassen in den Himmel hineinfeuert. Muss ich in so einem Moment souverän erscheinen? So tun, als ginge mich das alles nichts an? Wo ist der Schalter von KLM? Warum laufe ich nicht? Ich gehe zügig, aber nicht schnell. Den ganzen Tag in San Diego. Den ganzen Tag im Licht dieser plötzlich so harmonisch ausklingenden Reise. Aber ist das die Wahrheit? Die Wahrheit dieser Reise? Ist das alles, was unsere Beziehung zu bieten hat? Wer von uns beiden hat bei alledem etwas übersehen, etwas falsch eingeschätzt? Auf dem Weg zum John-F.-Kennedy-Flughafen. Zum Port Authority Bus Terminal. Auf der Bank im Fulton Park, zwischen den Brücken, die Brooklyn und Manhattan miteinander verbinden. Ist das der entscheidende Moment? Ich schaue mich um. Der Mann im Anzug, der im Shuttle telefoniert hat, geht in meine Richtung. Das Jackett locker über die Schulter geworfen, spricht er weiter ins Telefon. Sein Gesicht ist schneeweiß, und sein Haaransatz ist wie mit dem Lineal gezogen. Wer von uns hat den entscheidenden Fehler gemacht, die Lage falsch eingeschätzt?» Ich möchte, dass du den Mund aufmachst. Komm«, sage ich zu der Iranerin.»Ja. Noch weiter … «Ich schaue aus dem Fenster. Aber es geht so nicht. Wir müssen den Ort wechseln. Wo hast du zum ersten Mal das Nachlassen der Liebe gespürt, schreibe ich in mein Notizbuch, noch in der U-Bahn, auf dem Weg zum John-F.-Kennedy-Flughafen. Auf dem Weg zum Terminal 4. Hat nicht in Wirklichkeit alles ganz woanders angefangen? An einem ganz anderen Ort. Zu einem ganz anderen Zeitpunkt? Die Sonne, das Licht erhebt sich. Es kommt vom Meer. Das Gesicht hält das Licht auf, verdeckt es, dann kommt es wieder frei. Der Taxifahrer lehnt sich zurück. Der Wagen rollt weiter, und das Licht strömt in ihn hinein. Ich sitze auf der Rückbank. Ich halte die Blumen und die Geschenke im Arm. Ich blinzele, halb geblendet, halb erschöpft vor Glück.

Teil Fünf

1

«Bist du wach?«, höre ich eine Stimme. Sie kommt aus großer Entfernung, und lange Zeit kann ich sie nicht richtig einordnen und mit keinem, den ich kenne, in Verbindung bringen.»Bist du wach?«Ich schrecke hoch, dabei habe ich nicht wirklich geschlafen. Plötzlich mitten in der Nacht aufzuwachen, kann das Schlimmste sein, was einem passiert. Bei einem Flug spielt es keine Rolle. Flüge sind davon ausgenommen, sie finden in einem Zeitvakuum statt und unterscheiden nicht Tag von Nacht. Man schläft ununterbrochen, und man wacht nie auf. Es ist kein wirklicher Schlaf, sondern allenfalls ein Dämmern im maschinellen Raunen und Dröhnen, das man irgendwann gar nicht mehr bemerkt. Die Nacht ist nicht das Problem. Die Nacht wendet sich ab, in einer kurzen Drehung, bückt sich, und dann gleitet man wieder aus ihr heraus. Ich würde wahrscheinlich noch immer schlafen, wenn mich der Schnauzbärtige nicht geweckt hätte.»Mads hat mir ausgerichtet, ich soll mich um dich kümmern«, sagt er. An dem Wochenende, als ich in Queens bin. Der Strom ist ausgefallen, aber in der zum Schlafzimmer umgebauten Garage bekomme ich davon nichts mit. Das Haus ist leer. Die Eltern des Schnauzbärtigen sind beide Psychiater, praktizieren aber nicht mehr.»Bist du wach?«Ich höre es auf einmal mitten in der Nacht. Die Matratze bewegt sich, das Bett gibt leicht nach. Das eigentliche Problem ist nicht die Nacht, diese eigentümlich düstere und surreale Party, die sich im Garten abspielt, sondern das, was danach passiert, und dass ich meine Pläne ständig ändere. Das mit Holzpaneelen rundum verkleidete Zimmer hält die Hitze noch eine Weile ab. Noch am Flughafen umhüllt mich die kühle, besänftigende Luft, von der man doch weiß, dass sie unwirklich ist, als hätte sie ein Geist über einen geworfen.»Du darfst den Kreis nicht betreten«, sage ich zu Lambert, in einem Traum, den ich kurz vor meiner Abreise habe und in dem auf einmal alle Probleme, die ich mit ihm habe, gelöst sind. Ich träume, ich hätte ihn geheilt und die Therapie sei abgeschlossen und es sei alles in Ordnung.»Du darfst den Kreis nicht betreten«, sage ich zu ihm.»Das sind zirkuläre Prozesse. Kreisläufe, die dich nach unten ziehen. «Im Traum duze ich ihn auf einmal, obwohl es nicht den geringsten Anlass dafür gibt. Die cremefarbenen Holzpaneele rahmen das Schlafzimmer ein, ein komfortables Gefängnis in einem Haus, in dem erfolgreiche Psychiater wohnen, deren Sohn während ihrer Abwesenheit Sexpartys veranstaltet. Ich sage das in meinem Traum zu Lambert, ich sage es aus dem Bedürfnis heraus, ihm wirklich zu helfen.»Es hilft dir nicht weiter, wenn du deinen Vater verachtest, aber es hilft dir auch nicht weiter, wenn du ihn bewunderst. «Ich komme aus dem Konzept, obwohl es erstaunlich ist, wie geordnet und systematisch mein Traum ist. Den Kreis nicht betreten. Bestimmte Zonen, gedankliche Räume, emotionale Komplexe vermeiden. In den Gedanken materialisiert sich etwas. Das ist das Gewicht, das im Körper nach unten sackt und ihn schwer werden lässt.»Ich habe meinen Vater angerufen«, sagt Lambert im Traum.»Und?«, frage ich.»Hast du dich mit ihm versöhnt?«Es ist in der Nacht passiert. In der Nacht in Queens. Beim Einschlafen und beim Aufwachen. Die Anstrengungen, die Auseinandersetzung mit der KLM-Mitarbeiterin, die mich an eine ehemalige Klientin erinnert. Die Kraft, die ich aufbringen muss, um sie für mich einzunehmen und zu überzeugen. Ich weiß nicht, wie ich auf einen Kreis komme. Einen Kreis empfinde ich als etwas Schwieriges und Kompliziertes.»Ich habe meinem Vater versprochen, alles für mich zu behalten«, sagt Lambert im Traum.»Das bleibt unter uns, habe ich ihm gesagt. Das geht niemanden etwas an, und er weiß, dass er mir vertrauen kann.«»Das ist es, was Söhne tun«, antworte ich ihm.»Oder was sie nicht tun. «Es sind wirre Gedanken, ins Unreine gesprochen und ins Unreine geträumt. Der Schnauzbärtige leuchtet mir mit seiner Taschenlampe den Weg, während wir nach oben gehen. Die Treppenstufen, die vom Schlafzimmer zur Terrasse führen, sind mit Teppichboden ausgelegt. Ich habe keine Schuhe an, ich gehe barfuß nach oben zur Terrasse und stehe auf einmal in einem märchenhaft von Fackeln und Windlichtern erhellten Garten. Der gesamte hintere Teil ist dicht mit Bambus bepflanzt, und in der Mitte gibt es einen kleinen Teich. Der Garten eines Psychiaters. Ich komme erst später auf die Idee, eine Parallele zu ziehen und diesen Garten mit dem Innenhof in meiner Praxis zu vergleichen. Ein Gefühl großen Friedens erfasst mich. Niemand ist zu sehen, aber der Schnauzbärtige, der hinter mir steht, sagt:»Wir amüsieren uns alle. Warum machst du dir nicht einen Drink?«Er zeigt auf einen kleinen Glastisch neben einer Sitzgruppe, in der niemand sitzt. Mehrere Flaschen stehen auf dem Boden. In einer großen Porzellanschale liegen Eiswürfel, einige von ihnen schon halb geschmolzen. Ich setze mich in einen der Rattansessel, die mit weißen Polstern ausgelegt sind, unschlüssig, was ich tun soll und was das heißt.»Wir amüsieren uns alle. «Der Schnauzbärtige ist ins Haus gegangen. Es weht ein leichter Wind, der aber kaum Abkühlung bringt.