Vor sich sah er nun Silhouetten, die vor den Flammen hin und her sprangen; Wasserstrahlen spritzten wirkungslos über das bereits eingestürzte Haus. Das rote Licht spiegelte sich im Metall der veralteten Pumpe und färbte die vier Pferde, die Pumpe und Schlauchwagen vor Ort gezogen hatten; wie schreckliche Bestien aus der Hölle scharrten sie mit den Hufen und schnaubten.
Als er aus dem Sattel sprang, hörte er einen Mann in der dunklen Straße links vom brennenden Haus brüllen. George drängte sich schnell durch die Zuschauer. »Bleib zurück, verdammt noch mal!« schrie der Freiwilligenchef durch seinen Schalltrichter, als George aus der Menge auftauchte. Der Chef liess seinen Arm sinken und entschuldigte sich sogleich: »Oh, Mr. Hazard, Sir. Hab’ Sie nicht erkannt.«
Was bedeuten sollte, daß er den reichsten Mann der Stadt, vielleicht des ganzen Tales, nicht erkannt hatte, bis er beinahe vor ihm stand; jedermann kannte den stämmigen George Hazard, der in diesem Jahr sechsunddreißig geworden war. Georges windzerzaustes Haar wies die ersten von der Sonne gebleichten Stellen auf, die es im Frühling und Sommer aufzuhellen pflegten; aber auch einige graue Strähnen zeichneten sich schon ab. Die Augen, eisfarben, wie es in der Hazardfamilie üblich war, widerspiegelten das Feuer von außen und Georges Besorgnis von innen. »Was ist hier passiert?«
Den Worten folgte eine gestammelte Zusammenfassung vom Chef, während die Freiwilligen, die sich vor Jahren den Namen ›Die Unentwegten‹ gegeben und ihr Motto, Officium Pro Periculo, auf jedes Ausrüstungsstück geprägt hatten, weiterhin an den Pumpen arbeiteten. Für das zerstörte Haus war das Wasser die pure Verschwendung. Man konnte nichts weiter tun als die nahegelegenen Schuppen und Hütten vor dem Funkenregen schützen. Deshalb hatte der Chef Zeit, sich mit dem wichtigsten Mann der Stadt zu unterhalten.
Er sagte, es sehe so aus, als hätte Fenton am Abend zuvor seine Frau mit seinem Cousin im Bett überrascht. Der Vorarbeiter hatte ein großes Küchenmesser genommen und seine Frau und ihren Liebhaber niedergestochen, bevor er das Haus in Brand steckte. Während dieser Zeit hatte der tödlich verwundete Cousin es geschafft, das Messer gegen seinen Angreifer zu richten und ihm vier Stiche zuzufügen. Tränen füllten Georges Augen, und mit harten Fingerknöcheln rieb er drüber. Fenton war einer seiner umgänglichsten Männer gewesen; belesen, fleißig, intelligent, freundlich zu allen, die er beaufsichtigte.
»Der da brüllt, das ist er«, sagte der Chef. »Aber er glaubt selber nicht, daß er noch lange zu leben hat. Die anderen beiden waren tot, als wir ankamen. Wir haben sie rausgezogen und zugedeckt. Sie liegen dort drüben, wenn Sie einen Blick darauf werfen wollen.«
Wie unter Zwang ging George auf die beiden Leichen zu, die unter einer Plane mitten auf der Straße lagen; ein unangenehmer Geruch strömte von ihnen aus. Das Schreien hielt an. Der Wind fachte das Feuer an, verlieh ihm eine fauchende Stimme und wirbelte Funken und glühenden Schutt durch die Luft. Die Freiwilligen pumpten weiter mit aller Kraft; die genieteten Lederschläuche liefen quer durch den leeren Kanal zum Wasser des Flusses.
George stoppte einen Schritt vor der Plane und hob sie an. Unlängst hatte er sich über die Kosten einer modernen Latta-Dampfpumpe für die Stadt informiert, deshalb wußte er einigermaßen Bescheid über Brände und ihre Auswirkungen. Das aber reichte nicht aus, um ihn auf den Anblick des toten Liebespaares vorzubereiten.
Die Frau war schlimmer verkohlt als der Mann, ihre geschwärzte Haut war aufgebrochen und hatte sich an vielen Stellen zusammengerollt. Die versengte Kleidung des Cousins enthüllte Hunderte von Brandblasen, aus denen wie Tränen eine leuchtend gelbe Flüssigkeit sickerte, in der sich das Licht spiegelte. Die Gesichter, Hälse und heraushängenden Zungen der beiden Opfer waren in letzter qualvoller Agonie auf der Suche nach frischer Luft angeschwollen, als nur noch sengender Rauch in ihre Lungen drang. Während sich bei der Frau schwer sagen ließ, ob die Flammen sie getötet hatten oder ob sie erstickt war, bestand beim Cousin kaum Zweifel; seine Augen quollen vor, groß wie Äpfel.
George ließ die Plane fallen und schaffte es, sich nicht zu übergeben, als es ihm heiß in der Kehle hochstieg. Der Anblick hatte bei ihm nicht nur den Gedanken an Feuer heraufbeschworen. Tod. Leiden. Verlust. Und in letzter, alles überwältigender Konsequenz: Krieg.
Erschauernd ging er zurück zum Feuerwehrchef; tief in ihm kamen unerwartete Gefühle in Bewegung.
»Kann ich helfen, Tom?«
»Mächtig nett von Ihnen, Sir, aber es ist zu spät, noch irgendwas zu tun. Wir können bloß nebenan alles naß halten.« Ein Feuerwehrmann kam auf sie zugerannt, um zu sagen, daß Fenton gestorben sei. Wieder schauderte George; warum hörte er immer noch dieses Schreien? Er schüttelte den Kopf. Der Chef fuhr fort: »Es war schon zu spät, als wir kamen.«
George nickte voller Trauer und ging zurück zu seinem Pferd.
Was mit George geschah, als er, das Pferd im Schritt gehen lassend, den Schauplatz verließ, war nur als Reaktion auf den Schrecken zu erklären: Der Zustand dumpfer Betäubung, in den er in letzter Zeit abgetrieben war, löste sich endlich auf.
Er hatte gewußt, daß in diesem Land ein Bürgerkrieg tobte. Aber Wissen hieß nicht Verstehen. Er hatte alles gewußt und nichts verstanden, obwohl er einstmals in Mexiko gekämpft hatte. Aber der Mexiko-Feldzug lag weit zurück. Als er langsam den Hügel hochritt, während der Wind Asche über ihn hinwegtrieb, holte ihn endlich die Realität ein. Die Nation befand sich im Krieg. Sein jüngerer Bruder Billy, ein Offizier des Pionier-Corps, war im Krieg. Sein bester Freund und Klassenkamerad in West Point, Kamerad in Mexiko, war im Krieg. Er erinnerte sich nicht mehr an den Schriftsteller, aber er erinnerte sich an die Zeilen: Niemand ist eine Insel …
Er ließ seine Gedanken über die letzten zwei Wochen zurückschweifen, versuchte, in der nationalen Stimmung eine Erklärung für seine eigene zu finden. Nach drei Jahrzehnten der Spannung war für viele, vielleicht für die meisten Bürger des Nordens, die Bombardierung von Fort Sumter ein willkommenes, wenn nicht freudiges Ereignis gewesen. George hatte diese Gefühle nicht teilen können; die Waffen bedeuteten, daß Männer guten Willens es nicht geschafft hatten, ein schmerzvolles menschliches Problem zu lösen, das am ersten Tag entstanden war, an dem weiße Händler Neger und Negerinnen an der Küste des wilden Amerikas verkauft hatten.
Ein Problem, das schon seit so langer Zeit unlösbar erschien – und zum Schluß nicht einmal mehr analysiert werden konnte, so dicht umgab der rhetorische Stacheldraht die gegnerischen Stellungen. Andere, die stets nur an sich dachten und für sich sorgten, nahmen die ganze Angelegenheit weniger tragisch; sie fanden es nicht bedrohlich, für sie war es lediglich ein Ärgernis, das zu umgehen war – so wie man schlafenden Bettlern in der Gosse auswich.
Aber in den Jahren, in denen der Kriegskessel zum Kochen gebracht worden war, hatte Amerika nicht nur aus zwei Klassen bestanden, den Fanatischen und den Gleichgültigen. Es gab auch Männer und Frauen mit anständigen Absichten. George zählte sich dazu. Hätten sie den Kessel umstoßen, die glühenden Kohlen löschen und ein Konzil der Vernünftigen einberufen sollen? Oder klafften so tiefe Abgründe, daß die Heißsporne auf beiden Seiten das niemals zugelassen hätten? Wie auch immer die Antwort lauten mochte, die Männer guten Willens hatten sich nicht durchsetzen können, hatten den anderen das Kommando überlassen, und die gespaltene Nation befand sich im Krieg.
Trauer. Orry Main hatte sie geteilt, als er Lehigh Station besuchte. Das war gerade zwei Wochen her. Auf seiner mutigen Reise von South Carolina nach Pennsylvania hatte er sich zahlreichen Bedrohungen ausgesetzt; sein Aufenthalt selbst war extrem gefährlich geworden, als eines Nachts Georges Schwester Virgilia, eine heftige Gegnerin der Sklaverei und besessene Hasserin von allem und jedem, was aus dem Süden kam, einem aufgebrachten Pöbel Orrys Anwesenheit verraten hatte. Nur mit gezogener Waffe hatte George seinen guten, aufrichtigen Freund aus der Stadt bringen können.