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Der Angriff von der Straße auf die Bäume zu war ungeordnet, aber wirkungsvoll. Eine Yankee-Patrouille von einem halben Dutzend Reiter galoppierte davon, als Charles’ Männer das Wäldchen stürmten.
Charles war der erste, sein doppelläufiges Schrotgewehr in der Armbeuge. Die Akademie und Texas hatten ihm beigebracht, daß erfolgreiche Offiziere führen; sie feuern nicht ihre Leute an. Der reiche und kräftig gebaute Pflanzer, der die Truppe zusammengestellt hatte, war das beste Beispiel dafür. Hampton war einer jener seltenen Männer, die kein West Point nötig hatten, um zu wissen, wie man Soldaten führt.
Zwischen den Walnußbäumen dröhnten Schrotgewehre, beantwortet von Gewehrfeuer; der Rauch wurde dichter, und Charles’ Truppe riß auseinander. Jeder suchte sich seinen eigenen Weg, verhöhnte den jetzt kaum noch sichtbaren flüchtenden Feind.
»Wohin rennt ihr Yankee-Jungs so schnell?«
»Na los, dreht euch um. und kämpft gegen uns!«
»Die sind unsere Zeit gar nicht wert, Jungs!« schrie Ambrose Pell. »Ich wünschte, unsere Nigger wären hier. Die könnten sie jagen.«
Ein einzelner Schuß aus einem dunklen Teil des Wäldchens unterstrich seine letzten Worte. Instinktiv duckte sich Charles auf Dashers Hals hinunter. Die Stute schien nervös, unsicher, obwohl sie wie alle anderen Truppenpferde auch im Camp von Columbia an Gewehr- und Artilleriefeuer gewöhnt worden war.
Eine Kugel zischte vorbei. Sergeant Peterkin Reynolds brüllte. Sofort feuerte Charles beide Läufe in Richtung der Bäume ab. Augenblicklich ertönte ein Schmerzensschrei.
Er riß Dashers Kopf hart zurück, drehte sich um. »Reynolds?« Bleich, aber grinsend hielt der Sergeant seinen grauen Kadettenärmel hoch, mit einem Riß unten am Aufschlag und lediglich einem kleinen Blutfleck.
Freunde von Reynolds nahmen die Verwundung weniger leicht. »Verfluchte Schneider und Schuster zu Pferd«, schrie ein Mann, als er an Charles vorbeigaloppierte, der ihn vergeblich zurückbefahl.
Durch eine Baumlücke sah Charles einen Nachzügler der Unions-Patrouille, ein plumper blonder Bursche ohne jede Kontrolle über sein Pferd, einen jener schweren Klepper, wie sie für die eilig zusammengewürfelte Nordstaaten-Kavallerie typisch waren. Der Mann gab seinem Pferd die Sporen und fluchte. Ein Deutscher.
Der Deutsche war ein derart schlechter Reiter, daß der Kavallerist, der an Charles vorbeigedonnert war, keine Mühe hatte, ihn einzuholen und seitlich aus dem Sattel zu zerren. Er schlug schwer zu Boden und kreischte, bis er seinen Stiefel aus dem linken Steigbügel befreit hatte.
Der junge Mann aus South Carolina hatte seinen langen, sechs Pfund schweren Säbel mit der zweischneidigen, geraden Klinge gezogen, der nach den Anweisungen des Colonels in Columbia geschmiedet worden war und über die den Vorschriften entsprechende Länge hinausging. Hampton hatte seine Truppe aus eigener Tasche ausgerüstet.
Ambrose ritt an Charles’ Seite. Er deutete nach vorn. »Schau dir das an. Charlie, ja? Verschreckt wie ‘n Waschbär.«
Ambrose übertrieb nicht. Der Yank kniete zitternd auf dem Boden, als der Kavallerist aus dem Sattel stieg, seinen Säbel mit beiden Händen packte und weit ausholte. Charles schrie: »Cramm! Nein!«
Kavallerist Cramm wirbelte herum und funkelte ihn an. Charles schob dem Lieutenant seine Schrotflinte in die Hand und sprang mit einem Satz vom Pferd. Er rannte auf den Kavalleristen zu und packte den noch immer erhobenen Arm.
»Ich sagte nein.«
Trotzig wehrte sich der Kavallerist gegen Charles’ Griff. »Laß mich los, du verdammtes Schoßhündchen, du verfluchter West-Point-Hundesohn, du verdammter …«
Charles ließ los, donnerte dann seine rechte Faust in Cramms Gesicht. Aus der Nase blutend, knallte der junge Mann rücklings gegen einen Baumstumpf. Charles entwand ihm den Kavalleristensäbel und drehte sich um, schaute die finster blickenden Männer zu Pferd an.
»Wir sind Soldaten, keine Metzger, und ihr tut besser daran, das nicht zu vergessen. Der nächste Mann, der sich meinem Befehl widersetzt oder mich verflucht oder mich mit dem Vornamen anredet, marschiert vors Kriegsgericht. Nachdem ich persönlich mit ihm fertig bin.«
Er ließ seine Blicke über einige feindselige Gesichter gleiten, warf dann den Säbel zu Boden und ließ sich seine Schrotflinte zurückgeben. »Lassen Sie antreten, Lieutenant Pell.«
Ambrose wich seinem Blick aus, kam aber dem Befehl nach. Charles hörte Gemurre. Die freudige Stimmung des Morgens war verschwunden; es war ohnehin dumm von ihm gewesen, daran zu glauben.
Entmutigt fragte er sich, wie seine Männer im echten Kampf überleben sollten, wenn sie ein Scharmützel weniger ernst nahmen als eine Fuchsjagd. Wie konnten sie siegen, wenn sie sich weigerten, als Einheit kämpfen zu lernen – was in allererster Linie hieß, Gehorsam zu lernen?
Sein langjähriger Freund aus West-Point-Tagen, Billy Hazard von den Bundes-Pionieren, wußte, wie wichtig es war, den Krieg ernst zu nehmen. Cousin Orry Main und dessen engster Freund, Billys älterer Bruder George, wußten es ebenfalls. Alle Männer von der Akademie wußten es. Vielleicht erklärte das die Kluft, die zwischen den Berufsoffizieren der alten, regulären Armee und den Amateur-Heißspornen klaffte. Selbst Wade Hampton machte sich manchmal über die Männer von West Point lustig.
»Nicht schlimmer als Bienengesumm, nicht wahr?« hörte Charles einen Kavalleristen sagen, während Ambrose die Truppe auf der Straße wieder zu Zweierreihen formte.
Charles enthielt sich jeglichen Kommentars und ritt zu dem sich windenden, dreckverschmierten Gefangenen. »Du wirst einen weiten Weg mit uns zurückmarschieren müssen. Aber dir wird nichts geschehen. Verstehst du?«
»Ja, versteh.« Der Deutsche sprach ein mühsames Englisch.
Die Kavalleristen hielten alle Yankees für Pöbel oder Arbeiter; unwürdige Gegner. Als Charles den armseligen, dickbäuchigen Gefangenen musterte, konnte er diesen Standpunkt verstehen. Der Jammer dabei war lediglich der, daß es im Norden hunderttausendmal mehr armseliges Volk gab als im Süden. Das machten sich die Jungs aus Carolina nie klar.
Sein Freund Billy kam ihm in den Sinn. Wo war er? Würde Charles ihn jemals wiedersehen? Würden sich die Hazards und Mains je wieder nahestehen? Trotz der Ehe von Cousine Brett mit Billy?
Zu viele Fragen. Zu viele Probleme. Auf einmal war die Sonne für diese Sommerzeit viel zu kalt. Eine halbe Meile vom Schauplatz des Scharmützels entfernt hörte Charles sein Pferd Dasher husten. Ihre Nüstern waren übermäßig feucht, als er ihren Kopf herumzog.
Beginnender Ausfluß? Ja. Der Husten hielt an. Gott, nicht die Druse, dachte er. Das war eine Winterkrankheit.
Aber sie war ein junges Pferd, sehr empfindlich. Ihm wurde klar, daß er ein weiteres Problem hatte, mit möglicherweise katastrophalen Folgen.
3
Jeder Schulterstreifen des jungen Mannes wurde von einer einzelnen Silbertresse geziert. Sein Revers zeigte das Schloß mit den Türmen innerhalb eines Lorbeerkranzes, das Ganze goldgeschmückt auf einem kleinen schwarzen Samtoval. Sehr elegant, diese Uniform aus dunkelblauem Waffenrock und Röhrenhosen.
Der junge Mann wischte sich den Mund mit einer Serviette. Er hatte ein köstliches Mahl aus Beefsteak, Röstzwiebeln und Austern verspeist, dem er eine Mandelsüßspeise folgen ließ morgens um zehn nach zehn. Frühstück konnte man hier bis elf Uhr bestellen. Washington war eine bizarre Stadt. Aber auch eine erschreckende Stadt. Jenseits des Potomac auf Arlington Heights entwarf Brigadegeneral McDowell Kriegspläne in dem Herrschaftshaus, das die Lees verlassen hatten. Während er auf neue Befehle wartete, hatte der junge Mann vorgestern ein Pferd gemietet und war hinübergeritten. Es hatte ihn nicht gerade aufgemuntert, als Armee-Hauptquartier einen überfüllten, lärmenden Ort mit deutlichen Anzeichen von allgemeiner Verwirrung vorzufinden. Hier schien man sich ziemlich bewußt zu sein, daß die Konföderierten-Posten nicht allzu viele Meilen entfernt standen.