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Bundestruppen hatten den Potomac überquert und Ende Mai die Virginiaseite besetzt. Regimenter aus New England drängten sich nun in die Stadt. Ihre Anwesenheit schwächte das Entsetzen ab, das in der ersten Woche nach Fort Sumters Fall über Washington gelegen hatte; zu jener Zeit waren Telegraphen- und Eisenbahnverbindungen nach Norden für eine Weile unterbrochen gewesen. Jeden Moment hatte man mit einem Angriff gerechnet. Das Kapitol war eiligst befestigt worden. Einige der Ersatztruppen wurden vorübergehend dort untergebracht. Die Anspannung hatte sich etwas gelegt, aber der junge Mann spürte auch hier noch die gleiche Verwirrung, die er in McDowells Hauptquartier entdeckt hatte. Zu viele neue und alarmierende Dinge ereigneten sich zu schnell.

Gestern abend hatte er im Büro des alten Generals Totten, des Befehlshabers der Pioniere, seine Befehle entgegengenommen. First Lieutenant William Hazard wurde dem Department von Washington zugeteilt und hatte sich bei einem Captain Melanchton Elijah Farmer zum einstweiligen Dienst zu melden, bis seine reguläre Einheit, die Kompanie A – und aus mehr bestand das Pionier-Corps der Armee der Vereinigten Staaten nicht – von einem anderen Auftrag zurückkehrte. Billy hatte den Aufbruch der A-Kompanie verpaßt, da er sich zu der Zeit zu Hause in Lehigh Station, Pennsylvania, erholte, wohin er seine junge Braut Brett gebracht hatte. Er hatte sie auf der Main-Plantage in South Carolina geheiratet und wäre anschließend um ein Haar von einem ihrer früheren Verehrer ermordet worden.

Charles Main hatte ihm das Leben gerettet. Billys linker Arm schmerzte noch gelegentlich von der Derringer-Kugel, die ihn genausogut hätte umbringen können. Der Schmerz diente einem guten Zweck. Er erinnerte ihn daran, daß er auf ewig in Charles Mains Schuld stehen würde.

Das Frühstück hatte seinen Hunger gestillt, ihn aber nicht von seinen Vorahnungen erlöst. Billy war ein guter Ingenieur. Er war ausgezeichnet in Mathematik und liebte die Berechenbarkeit von Gleichungen und ähnlichen Dingen als Standardverfahren für Konstruktionen. Jetzt sah er sich einer Zukunft gegenüber, die weder geordnet noch berechenbar war.

Mehr noch, er fühlte sich isoliert. Er war von seinen Berufskollegen getrennt; von seiner Frau, die er von ganzem Herzen liebte; und, aus eigenem Entschluß, von einem seiner älteren Brüder. Stanley Hazard lebte mit seiner unangenehmen Frau und ihren beiden Zwillingssöhnen in dieser Stadt. Stanley war von seinem politischen Mentor, Simon Cameron, mit ins Kriegsministerium genommen worden.

Billy liebte seinen älteren Bruder George, aber für Stanley hegte er namenlose, zwiespältige Gefühle, die sich aus fehlendem Respekt, Schuldgefühlen und fehlender Zuneigung zusammensetzten. Er kannte keinen Menschen in Washington, aber das brachte ihn nicht dazu, Stanley zu besuchen. Tatsächlich hatte er deswegen im National Hotel sein Frühstück eingenommen, weil ein Großteil der Gäste hier immer noch für den Süden war; Stanley würde daher mit ziemlicher Sicherheit hier nicht anzutreffen sein.

Er hatte die Rechnung bezahlt und gab dem Kellner ein Trinkgeld. »Danke Sir – ich danke Ihnen. Das ist viel mehr, als ich von diesen billigen Westerntypen bekomme, die hier in der Stadt auftauchen, um sich von ihrem niggerliebenden Präsidenten einen Job vermitteln zu lassen. Zum Glück haben wir hier nicht so viele von dem Westernpack. Sie trinken kaum, vögeln werden sie vermutlich auch nicht, und alle schleppen sie ihr Gepäck selber. Einige meiner Freunde in anderen Hotels verdienen nicht mal – «

Billy ließ ihn mit seinem Gejammer stehen; der Akzent des Mannes deutete darauf hin, daß er aus dem Süden oder aus einem der Grenzstaaten stammte. Es schien massenhaft solche Leute in der Hauptstadt zu geben. Yankees, aber nur dem Namen nach. Fiel die Stadt, was durchaus der Fall sein mochte, dann würden sie in den Straßen die Stars-and-Bars-Fahne zur Begrüßung von Jeff Davis schwenken.

Draußen stellte er fest, daß es mittlerweile aus schlammig grauem Himmel zu nieseln begonnen hatte. Er stülpte seinen schwarzen Filzhut auf; eine Seite der tressenbesetzten Krempe war hochgebogen und wurde von einem glänzenden Messingadler gehalten.

Billy, ein Jahr älter als sein Freund Charles, war ein sehr kräftig gebauter junger Mann mit dunklen Haaren und den farblosen, eisigen Augen, wie sie in der Hazard-Familie üblich waren. Das derbe Kinn verlieh ihm einen Ausdruck von Zuverlässigkeit und Stärke. Kürzlich hatte er der neuen Schnurrbart-Mode nachgegeben; seiner, aus dem er jetzt gerade ein Frühstücksbrösel klaubte, war dicht und noch dunkler als sein Haar.

Da Billy vermutete, daß es sich bei Captain Farmer um einen politischen Günstling handelte, hatte er es mit seiner Meldung nicht eilig. Er beschloß, sich noch einige Stunden zu gönnen, um die Stadt zu erforschen – die Viertel, die weitab vom respektablen, modernen Teil lagen.

Bald schon bereute er seinen Entschluß. Der Krieg hatte die Stadtbevölkerung auf das Dreifache der ursprünglichen Vierzigtausend anschwellen lassen. Man konnte nicht über die Straße gehen, ohne Kutschen ausweichen zu müssen, betrunken schwankenden Soldaten, Fuhrleuten, die auf ihre Maultiere eindroschen und sie verfluchten, eleganten Gentlemen, die einem die Adresse eines Quacksalbers zuflüsterten, der die Französische Krankheit in vierundzwanzig Stunden kurierte – sogar Schweine und schnatternde Gänse waren unterwegs.

Schlimmer noch, die Stadt stank. Die schlimmsten Düfte stammten von den Abwässern, die voll schleimiger Klumpen im Stadtkanal trieben. Billy stoppte auf einer der Fußgängerbrücken, die zum Südwestteil führten, bekannt als ›die Insel‹. Er schaute hinunter, wo ein toter Hund zwischen Salatblättern und Exkrementen dahintrieb.

Er schluckte Reste seines Frühstücks hinunter und ging schnell davon, in Richtung Osten auf das Kapitol zu, dessen Dom immer noch fehlte. Überall schwärmten Soldaten und Politiker herum. Arbeiter flitzten um große Stapel von Holz, Eisenplatten und Marmorblöcken. Billy bog um einen solchen Block und kollidierte mit einer alten, übergewichtigen Hure in federgeschmücktem, schmutzigem Samt. Sie ließ ihm die Wahl zwischen sich und ihrer graugesichtigen Tochter, nicht älter als vierzehn, die sich an ihre Seite drückte.

Billy bemühte sich um Höflichkeit. »Ma’am, ich habe eine Frau in Pennsylvania.«

Die Hure hatte für seine Höflichkeit nicht viel übrig. »Leck mich am Arsch«, sagte sie, als er weiterging. Er lachte, aber nicht aus vollem Herzen. Ein paar Minuten später strebte er nach Norden in das überfüllte Gebiet, wo er ein Zimmer in einer Pension genommen hatte. Unterwegs kaufte er sich noch ein Schreibheft.

Später, in der zunehmenden Dämmerung, spitzte er eine Feder an. In Hemdsärmeln beugte er sich über die erste leere Seite seines Heftes, das von einer Lampe erhellt wurde. Er trug das Datum ein und schrieb:

Meine geliebte Frau – ich beginne dieses Tagebuch und werde es weiterführen, damit Du weißt, was ich, außer Dich ständig zu vermissen, heute getan habe und an den kommenden Tagen tun werde. Heute habe ich die Hauptstadt erkundet – kein angenehmes oder herzerwärmendes Erlebnis, aus Gründen, die der Anstand mir verbietet, dieser Seite anzuvertrauen –

Bei dem Gedanken an Brett – an ihr Gesicht, ihre Hände, ihren Duft in der Intimität ihres Bettes – spürte er ein körperliches Bedürfnis nach ihr. Für einen Moment schloß er die Augen. Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, kritzelte er weiter.

Die Stadt ist bereits schwer befestigt, was ich als Anzeichen eines langen Krieges deuten würde, wäre es nicht allgemeine Überzeugung, daß er nur kurz sein wird. Ein kurzer Krieg ist aus vielerlei Gründen wünschenswert – nicht zuletzt aus dem offensichtlichsten Grund, daß wir als Mann und Frau zusammenleben können, wo immer auch mein Dienst mich in Friedenszeiten hinführen wird. Aber abgesehen von persönlichen Dingen läßt uns ein kurzer Krieg mehr Hoffnung, die Dinge wieder in die alte Ordnung zu bringen. Heute begegnete ich auf einem öffentlichen Weg einem Neger – entweder ein Freigelassener oder Konterbande, wie General Butler Südstaaten-Flüchtlinge bezeichnet. Der schwarze Mann gab den Gehsteig nicht frei, um mich passieren zu lassen. Die Erinnerung an diesen Vorfall hat mich den ganzen Tag beunruhigt. Ich bin ebenso sehr wie jeder andere Bürger darauf bedacht, die Schande der Sklaverei zu beenden, aber die Freiheit des schwarzen Mannes darf nicht zum Freibrief werden. Und ich glaube, ich stehe mit dieser Ansicht nicht allein. Für die Armee, das weiß ich, trifft es mit absoluter Sicherheit zu. Es heißt sogar, selbst unser Präsident spreche immer noch von der Notwendigkeit, die befreiten Schwarzen wieder in Liberia anzusiedeln. Deshalb meine Furcht vor einem sich länger hinziehenden Krieg, der sehr wohl das Chaos zu vieler schneller Veränderungen in der sozialen Ordnung mit sich bringen könnte.