Und Morriss sagte, indem er mit weit aufgerissenen Augen auf den Dreikäsehoch vom Mars herabstarrte: »Bei der Venus! Sie könnten. Sie könnten wirklich! Kommen Sie mit!«
Der Betrieb der auf den Straßen von Aphrodite herrschte, ließ den Schluß zu, daß kein Mann, keine Frau und kein einziges Kind im Bett war und schlief. Direkt vor der Transittrennwand und rings um das »Rettungshauptquartier«, verstopften die Leute alle Straßen, füllten sie langsam mit schwarzen Massen schnatternder Menschen. Mann hatte Ketten gespannt, und dahinter patrouillierten Polizisten mit Betäubungsgewehren rastlos auf und ab.
Als Lucky aus dem Rettungshauptquartier raste, als ginge es um sein Leben, wurde er urplötzlich von eben diesen Ketten aufgehalten. Hunderte von verschiedenen Eindrücken drangen auf ihn ein. Da war das gleißende Zeichen aus Lucitröhren, hoch oben an Aphrodites Himmel angebracht, ohne daß man die Befestigungen erkennen konnte; es drehte sich langsam und man konnte WILLKOMMEN IN APHRODITE, DER PERLE DER VENUS lesen.
Ganz in der Nähe marschierte eine lange Reihe von Männern vorbei. Sie trugen die unterschiedlichsten Gegenstände bei sich - vollgestopfte Aktentaschen, Schmuckkästchen und über den Arm geworfene Kleidungsstücke. Nacheinander kletterten sie in Tauchgleiter. Es war klar, wer und was sie waren: Flüchtlinge aus dem bedrohten Sektor, die durch die Schleuse kamen und das mit sich führten, was ihnen wichtig war und sie tragen konnten. Die Evakuierung war offensichtlich in vollstem Gange. Bei der Gruppe befanden sich weder Frauen noch Kinder.
Lucky rief einem Polizisten mit lauter Stimme zu: »Steht hier irgendwo ein Tauchgleiter, den ich mir nehmen kann?«
Der Polizist sah hoch. »Tut mir leid, Sir, im Augenblick werden alle gebraucht.«
»Ratsangelegenheit«, erwiderte Lucky ungeduldig.
»Ich kann es auch nicht ändern. Jeder Tauchgleiter in der Stadt wird für diese Burschen da gebraucht.« Sein Daumen richtete sich auf die vorbeimarschierende Gruppe.
»Es ist aber wichtig. Ich muß hier 'raus.«
»In dem Falle werden Sie zu Fuß gehen müssen«, meinte der Polizist trocken.
Lucky knirschte frustriert mit den Zähnen. Es war gar nicht daran zu denken, zu Fuß oder auf Rädern durch diese Menschenmenge zu kommen. Das ging nur durch die Luft, und es mußte jetzt gleich geschehen.
»Gibt es nicht irgend etwas, was ich nehmen kann? Irgend etwas?« Mann konnte nicht behaupten, daß er noch den Polizisten anredete, vielmehr sprach er zu seinem ungeduldigen Selbst. Das der Feind ihn so einfach ausgetrickst hatte, machte ihn rasend vor Wut.
Aber der Polizist antwortete ihm ironisch: »Es sei denn, Sie wollen mit einem Hopper vorlieb nehmen.«
»Ein Hopper? Wo steht das Ding?« Luckys Augen leuchteten auf.
»Ich habe doch nur Spaß gemacht«, erwiderte der Polizist.
»Aber ich nicht. Wo steht der Hopper?«
Im Keller des Gebäudes, aus dem sie gekommen sind, standen mehrere. Sie waren in Einzelteile zerlegt. Vier Mann wurden dienstverpflichtet, um die bestaussehende Maschine draußen zusammenzusetzen. Die Menschenmenge in der Nähe sah neugierig zu, und einige riefen spaßeshalber: »Hüpf, Hopper, hüpf!«
Das war der alte Schlachtruf bei den Hopperrennen. Vor fünf Jahren war das ganze eine Modekrankheit gewesen, die sich über das gesamte Sonnensystem erstreckt hatte; es ging dabei um Wettrennen über verwinkelte, hindernisübersäte Strecken. Solange sich diese Torheit gehalten hatte, waren die Venusbewohner voll bei der Sache gewesen. Wahrscheinlich hatte die Hälfte aller Haushalte aus Aphrodite Hopper in ihren Kellern gehabt.
Lucky überprüfte den Mikroreaktor, er war aktiv. Er warf den Motor an und versetzte das Gyroskop in Rotation. Sofort richtete der Hopper sich auf und stand starr auf seinem einen Bein.
Hopper sind wahrscheinlich die groteskesten Fortbewegungsmittel, die je erfunden wurden. Sie bestehen aus einem geschwungenen Chassis, das gerade groß genug ist, einen Mann an den Steueraggregaten Platz zu bieten, dann sind da noch ein Rotor mit einer vierblättrigen Luftschraube und ein einziger Metallfuß mit einem Gummipuffer darunter. Das Ganze sieht aus wie ein großer Stelzvogel, der schlafen gegangen ist und eines seiner Beine unter dem Körper versteckt hat.
Lucky bestätigte den Sprungknopf, und prompt zog sich das Standbein des Hoppers zusammen. Das Chassis sank herab, bis es höchstens noch zwei Meter über dem Boden war, während das Bein sich gleichzeitig durch die kurz hinter dem Armaturenbrett eingelassene Röhre schob. Mit einem lauten Klicken wurde das Bein zum Zeitpunkt der größten Federspannung losgeschnellt und der Hopper sprang zehn Meter in die Höhe.
Die Rotationsblätter über dem Hopper hielten ihn viele Sekunden lang auf dem Scheitelpunkt der Flugbahn in Schwebestellung. In dieser Zeit konnte sich Lucky einen Eindruck über die Menge unter ihm verschaffen. Von seinem Standpunkt aus gesehen, erstreckten sich die Menschenmassen über eine halbe Meile nach außen, was bedeutete, daß er mehrere Hüpfer machen mußte. Dabei wurden wertvolle Minuten vergeudet.
Der Hopper schwebte nun wieder Richtung Erde, dabei war sein langes Bein ganz ausgefahren. Die Menge unter ihm versuchte auf die Seite zu gehen, aber das war gar nicht notwendig. Vier Druckluftdüsen bliesen die Leute weit genug zur Seite, und das Bein setzte harmlos auf dem Boden auf. Der Fuß traf auf Beton und zog sich wieder zusammen. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Lucky in die überraschten Gesichter der Menschen in seiner Nähe, dann schoß der Hopper wieder in die Höhe.
Lucky mußte sich eingestehen, daß Hopperrennen eine aufregende Sache waren. Als Jugendlicher hatte er an mehreren teilgenommen. Ein gewiefter >Hopperjockey< war in der Lage, mit seinem seltsamen Roß die unmöglichsten Kapriolen zu schlagen und dabei noch Stellen zum Aufsetzen zu finden, die gar nicht vorhanden zu sein schienen. Hier in den überkuppelten Städten auf der Venus mußten die Rennen im Vergleich zu den halsbrecherischen Wettkämpfen auf dem felsigen und unebenen Untergrund auf der Erde ziemlich zahm gewesen sein.
Mit vier Sprüngen hatte Lucky die Menschenansammlung hinter sich gebracht. Er stellte den Motor ab, und nach einer Reihe kleinerer Sprünge kam der Hopper zum Stillstand. Lucky sprang ab. Fliegen war wahrscheinlich immer noch unmöglich, aber nun konnte er irgendein Bodenfahrzeug auftreiben.
Aber er würde weitere Zeit verlieren.
*
Bigman war außer Atem und legte eine Pause ein, um Luft zu schöpfen. Die Dinge hatten einen rasanten Verlauf genommen; er war mit einer Woge mitgerissen worden, die ihn immer noch weiterwirbelte.
Vor zwanzig Minuten hatte er Morriss seinen Vorschlag unterbreitet. Jetzt steckte er in einer Röhre, die seinen Körper fest umschloß und ihn in Finsternis tauchte.
Wieder kroch er auf den Ellenbogen ein Stück weiter, tiefer in den Schacht hinein. Von Zeit zu Zeit mußte er anhalten, um die kleine Taschenlampe einzuschalten, deren gebündelter Strahl die milchigen Wände zeigte, die sich vor ihm im Nichts verengten. In einem seiner Ärmel trug er eine hastig hingekritzelte Skizze des Schachtsystems.
Morriss hatte ihm die Hand geschüttelt, ehe Bigman halb kletternd, halb grinsend in die Öffnung auf einer Seite der Pumpenstation gestiegen war. Die Schaufelblätter des riesigen Ventilators hatte man angehalten, der Luftzug war versiegt.
»Ich hoffe, daß ihn das nicht aktiv werden läßt«, hatte Morriss gemurmelt, und dann hatten sie sich die Hand gegeben.
Bigman hatte gegrinst, was hätte er auch sonst tun sollen, und dann war er in die Dunkelheit gekrochen, während die anderen weggegangen waren. Niemand hatte es für nötig befunden, das Offensichtliche zu erwähnen. Bigman würde sich auf der falschen Seite der Transitschranke befinden, der Seite, von der sich die anderen nun zurückzogen. Falls der Hebel an der Kuppelschleuse zu irgend einem Zeitpunkt betätigt würde, zermalmte das eindringende Wasser die Schachtanlage und das Mauerwerk, durch das die Röhren verliefen, als handele es sich dabei um eine Konstruktion aus Pappe.