»Gibt es etwas Neues über den Mann, der das alles angefangen hat? Der Mann an der Schleuse?«
»Er steht unter Beobachtung, anscheinend ein Verrückter.«
»Hat er früher schon Anfälle geistiger Verwirrung gehabt? Gibt es Unterlagen darüber?«
»Nichts dergleichen. Das habe ich als erstes nachgeprüft. Als Chefingenieur untersteht mir das Kuppelpersonal, müssen Sie wissen.« »Das ist mir bekannt. Deswegen bin ich zu Ihnen gekommen.«
»Also ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, aber der Mann war bloß ein ganz gewöhnlicher Angestellter. Er arbeitet seit ungefähr sieben Monaten bei uns und hat in der Zeit nie Anlaß zur Klage gegeben. Wenn man es genau nimmt, dann sieht seine Akte sogar ausgezeichnet aus: ruhig, bescheiden, fleißig.«
»Sieben Monate nur?«
»Ja, stimmt.«
»Ist der Mann Ingenieur?«
»Er ist als Ingenieur eingestuft, aber in Wirklichkeit besteht seine Arbeit im Bewachen der Schleuse. Schließlich geht viel Verkehr aus der Stadt rein und raus. Die Schleuse muß geöffnet und wieder geschlossen werden, Seefrachtbriefe müssen ausgestellt werden und die. Bücher wollen geführt sein. Zum Betreiben der Kuppel gehört allerhand, technische Arbeiten sind längst nicht alles.«
»Besaß der Mann Berufserfahrung als Ingenieur?«
»Er hatte nur einen Einführungskurs am College besucht. Dies war seine erste Arbeitsstelle. Ist noch ein ziemlich junger Mann.«
Lucky nickte. Beiläufig sagte er: »Soweit ich gehört habe, hat es in der Stadt in letzter Zeit eine ganze Reihe seltsamer Unfälle gegeben.«
»Ja, tatsächlich?« Turners mißtrauischen Augen musterten Lucky scharf, dann zuckte er die Schultern. »Ich habe nur selten Gelegenheit, mir die Zeitungsbänder anzusehen.«
Die Sprechanlage summte. Turner hob den Hörer ab und hielt ihn einen Moment ans Ohr. »Es ist für Sie, Starr.«
Lucky nickte. »Ich habe hinterlassen, wo ich zu finden bin.« Er nahm den Hörer, machte aber keine Anstalten, den
Bildschirm einzuschalten oder die Lautstärke über Ohrmuschelniveau zu drehen. »Starr hier.«
Dann hängte er ein und stand auf. »Wir müssen uns jetzt verabschieden, Turner.«
Turner stand nun ebenfalls auf und meinte: »Schön, falls ich Ihnen in Zukunft behilflich sein kann, melden Sie sich jederzeit bei mir.«
»Ich danke Ihnen. Bitte empfehlen sie uns Ihrer Gattin.«
Als sie wieder auf der Straße standen, fragte Bigman: »Was ist los?«
»Unser Schiff ist seeklar«, sagte Lucky und winkte einem Wagen.
Sie stiegen ein, und wieder war es Bigman, der das Schweigen brach. »Hast du durch Turner etwas herausgefunden?«
»Das eine oder andere«, erwiderte Lucky kurz angebunden.
Bigman rutschte unbehaglich hin und her und wechselte das Thema. »Ich hoffe, wir finden Evans.«
»Das hoffe ich auch.«
»Bei allen Marswüsten, er ist in der Klemme. Je mehr ich darüber nachdenke, desto schlimmer sieht es für den Jungen aus. Schuldig oder nichtschuldig, es ist schon 'ne üble Sache, wenn ein Vorgesetzter einen Antrag auf Dienstenthebung wegen Korruption stellt.«
Luckys Kopf fuhr herum und er sah auf Bigman hinunter. »Morriss hat wegen Evans nie einen Bericht zum Hauptquartier geschickt. Ich dachte, du hättest das bei der Unterredung mit ihm gestern mitbekommen.«
»Er hat keinen Bericht abgeschickt?« wiederholte Bigman ungläubig. »Wer ist es denn gewesen?«
»Heilige Milchstraße!« rief Lucky. »Das ist doch wohl klar. Lou Evans hat es selbst getan und Morriss' Namen benutzt.«
VIII
Ratsmitglied gesucht!
Lucky steuerte das wendige Unterseeboot zunehmend sicherer. Er gewöhnte sich mehr und mehr an die Steuerung und entwickelte gleichzeitig ein Gefühl für die sie umgebende See.
Die Männer, die ihnen das Schiff übergaben, hatten ihm voller Besorgnis einen Einweisungskurs nahegelegt, aber Lucky hatte bloß gelächelt und sich auf einige wenige gezielte Fragen beschränkt, während Bigman in Bigman-üblicher Großmäuligkeit ausrief: »Es gibt nichts, was sich bewegt, womit Lucky und ich nicht fertig würden.« Großmäuligkeit hin, Angeberei her, was der Kleine sagte, traf weitgehend zu.
Das Schiff, es hieß Hilda, trieb jetzt mit abgeschalteten Maschinen dahin. Mit geschmeidiger Leichtigkeit durchdrang es den tintenschwarzen Venusozean. Sie lasen ihren Kurs von den Instrumenten ab. Bisher hatten sie den starken Suchscheinwerfer des Schiffes noch nicht benutzt. Die Radaranlage konnte sie viel besser mit Informationen über den finsteren Abgrund, der vor ihnen lag, versorgen, als es die Scheinwerfer je vermocht hätten.
Zusammen mit den Radarimpulsen wurden spezielle Mikrowellen ausgesandt, die mit maximaler Stärke von der Aluminiumlegierung, aus der die Außenhaut eines Unterwasserschiffes bestand, reflektiert wurden. Ihre Reichweite betrug Hunderte von Meilen. Die Mikrowellen streckten ihre Energiesuchfühler in diese und jene Richtung aus und suchten dabei nach einem Metall von bestimmter
Beschaffenheit; fanden sie es, dann hasteten sie auf dem Weg, den sie gekommen waren, wieder zurück.
Bislang war noch kein Refleximpuls zurückgelaufen und die Hilda ging in den Schlamm nieder; über ihr stand eine siebenhundert Meter hohe Wassersäule. Vom sanften, durch die mächtigen Strömungen des venusumspannenden Ozeans hervorgerufenen Schaukeln abgesehen, lag die Hilda regungslos im Schlick.
*
In der ersten Stunde war sich Bigman der Mikrowellen und dem Objekt ihrer Suche kaum bewußt gewesen. Das Schauspiel, das man durch die Bullaugen verfolgen konnte, hatte ihn völlig gefangengenommen.
Das Leben in der Tiefsee auf dem Planeten Venus ist phosphorisierend. Die schwarzen Tiefen des Ozeans sind mit Lichtern gesprenkelt, dichter als der Himmel mit Sternen. Die Lichter sind größer, heller als jene am Firmament, und, was das Wichtigste ist: sie bewegen sich. Bigman drückte seine Nase an der dicken Scheibe platt und starrte gebannt hinaus.
Einige Lebensformen sahen wie kleine runde Kleckse aus, die sich langsam kräuselnd fortbewegten. Andere wiederum wirkten wie dahinschnellende Linien. Wieder andere waren die Seeschleifen, wie Lucky und Bigman sie im Grünen Salon gesehen hatten.
Nach einiger Zeit gesellte sich Lucky hinzu. »Wenn ich mich an meine Xenozoologie recht erinnere.«
»Deine was?«
»Die Wissenschaft der außerterrestrischen Tiere, Bigman. Ich habe grade ein Buch über Lebensformen auf der Venus durchgeblättert. Ich habe es auf deine Koje gelegt für den Fall, daß du einmal hineinsehen möchtest.«
»Vergiß es, mir reicht es, wenn du es mir erzählst.«
»In Ordnung, wir können mit den kleinen Dingern dort anfangen. Ich glaube, dabei handelt es sich um eine Schule von Knöpfen.«
»Knöpfe?« wiederholte Bigman. »Klar, ich verstehe, was du meinst.«
Durch das Bullauge konnte man eine ganze Ansammlung gelber Lichtovale, die sich über den schwarzen Hintergrund bewegten, erkennen. Ein jedes hatte schwarze Zeichen in Form zweier kurzer paralleler Linien. Sie bewegten sich rasch in kurzen Intervallen, schwebten für einen Augenblick bewegungslos, um sich dann wieder zu bewegen. Die vielen Dutzend, die man sehen konnte, bewegten und ruhten alle gleichzeitig, so daß Bigman den seltsamen Eindruck gewann, als bewegten sich die Knöpfe selbst überhaupt nicht, sondern daß das Schiff sie alle halbe Minute überholte.
»Sie laichen gerade, glaube ich«, sagte Lucky. Er schwieg eine ganze Weile, dann sagte er: »Die meisten Sachen geben mir Rätsel auf. Aber warte mal! Das da muß ein Purpurlappen sein. Siehst du ihn? Das dunkelrote Ding mit den unregelmäßigen Umrissen? Er ernährt sich von Knöpfen. Paß' mal genau auf.«