Unter die gelben Lichtflecken kam Bewegung, sie hatten den herabstoßenden Räuber bemerkt, aber ein Dutzend Knöpfe wurden von dem wütenden Rot des Purpurlappens ausgelöscht. Dann war der Lappen auf einmal die einzige Lichtquelle im Sichtbereich des Bullauges. Die Knöpfe waren in alle Richtungen davongestoben.
»Der Lappen hat die Form eines großen Pfannkuchens mit umgeklappten Rändern«, bemerkte Lucky, »jedenfalls steht es so in dem Buch. Er besteht aus kaum etwas anderem als Haut und einem kleinen Gehirn im Körperzentrum. Er ist nur drei Zentimeter dick. Man kann es an einem Dutzend Stellen durchreißen, ohne daß es ihm etwas ausmacht. Schau mal, wie unregelmäßig dieser hier vor uns geformt ist. Ein Pfeilfisch hat wahrscheinlich ein bißchen an ihm herumgeknabbert.«
Der Purpurlappen bewegte sich jetzt und schwebte aus ihrem Sichtfeld. Außer einem oder zwei sterbenden gelben Schimmern, war dort, wo er gewesen war, nicht mehr viel übrig. Ganz allmählich und zögernd kamen die Knöpfe wieder.
»Der Purpurlappen legt sich einfach auf den Meeresboden, dabei hält er sich mit seinen Rändern am Schlick fest und verdaut alles, was er unter sich bedeckt hat. Es gibt auch noch eine andere Sorte, die Orangelappen, die sind bedeutend angriffslustiger. Obwohl sie nur dreißig Quadratzentimeter im Durchmesser und nicht viel dicker als ein Blatt Papier sind, können sie einen Wasserstrahl abschießen, der einen ausgewachsenen Mann umwirft. Die größeren Exemplare sind noch gefährlicher.«
»Wie groß werden die denn?« fragte Bigman.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung. In dem Buch steht, es gäbe gelegentlich Berichte über ungeheure Monster -Pfeilfische, über einen Kilometer lang und Lappen, die ganz Aphrodite abdecken können. Aber das sind alles unbestätigte Berichte.«
»Über einen Kilometer lang! Ich wette, daß das unbestätigte Berichte sind.«
Lucky hob die Augenbrauen. »So unwahrscheinlich ist das nun auch wieder nicht. Was wir hier sehen, sind Küstenwasserexemplare. Der Venusozean ist an einigen Stellen mehr als fünfzehn Kilometer tief. Es ist also für allerhand Dinge Platz da.«
Bigman sah seinen Freund zweifelnd an. »Hör' mal, du versuchst mir einen Haufen Weltraumstaub zu verhökern.« Er wandte sich abrupt ab und ging weg. »Ich glaube, ich werde mir das Buch doch einmal ansehen.«
*
Die Hilda fuhr weiter und bezog eine neue Position, während die Mikrowellen losjagten und suchten. Dann ging es weiter. Immer weiter. Langsam suchte Lucky das Unterwasserplateau, auf dem Aphrodite stand, ab.
Er wartete mit grimmiger Mine vor den Instrumenten. Hier irgendwo mußte sein Freund Lou Evans sein. Evans Schiff war weder im Weltraum noch in der Atmosphäre flugfähig und tiefer als zwei Meilen konnte er auch nicht tauchen, also mußte er sich auf die Gewässer rings um das Aphroditeplateau beschränken.
In dem Moment, als er das mußte zum zweiten Mal in Gedanken wiederholte, bemerkte er das Aufleuchten auf der Instrumententafel. Das Mikrowellen-Feedback steuerte den Richtungssucher auf einen bestimmten Punkt ein, und der Echo-Blip erhellte den gesamten Empfangs- und Bildschirm.
Im gleichen Moment war Bigmans Hand auf Luckys Schulter. »Das ist es! Das ist es!«
»Möglich«, pflichtete Lucky bei. »Aber vielleicht ist es bloß ein anderes Schiff oder nur ein Wrack.«
»Stell' seine Position fest, Lucky. Bei allen Marswüsten, stell' die Position fest!«
»Mach' ich ja, Junge, wir fahren doch schon.«
Bigman konnte die Beschleunigung spüren, und hörte das Summen der Schraube.
Lucky beugte sich über Sender und Entschlüsselungsgerät, seine Stimme klang eindringlich. »Lou! Lou Evans! Hier spricht Lucky Starr! Bestätigen! Lou! Lou Evans!«
Die Worte gingen wieder und wieder über den Äther. Je mehr die Entfernung zwischen den beiden Schiffen abnahm, desto heller wurde das Mikrowellenecho.
Keine Antwort.
»Das Schiff, das wir anfunken, bewegt sich nicht, Lucky. Vielleicht handelt es sich tatsächlich um ein Wrack. Wenn es das Ratsmitglied wäre, würde er entweder antworten oder versuchen zu entkommen, oder was meinst du?«
»Pst!« machte Lucky. Als er jetzt in das Mikrophon sprach, hörte sich seine Stimme ruhig und dringlich an: »Lou, es hat keinen Zweck, daß du versuchst, dich zu verstecken. Ich kenne die ganze Wahrheit. Ich weiß, warum du in Morriss Namen die Botschaft mit der Bitte um deine Ablösung zur Erde geschickt hast. Ich weiß auch, wen du für den Feind hältst. Lou Evans! Bestätigen.«
Der statisch aufgeladene Empfänger knisterte.
Durch den Decoder drangen Geräusche und wurden zu verständlichen Worten: »Bleib' weg, wenn du das alles weißt, bleib' weg!«
Lucky grinste erleichtert. Bigman jauchzte laut auf.
»Du hast ihn«, schrie der kleine Mann vom Mars.
»Wir kommen und holen dich«, sagte Lucky in die Sprechanlage. »Halte durch, wir, du und ich, wir werden sie fertigmachen.«
Worte kamen langsam zurück: »Du verstehst nicht. ich versuche gerade.« Dann, es hörte sich fast wie ein Kreischen an: »Um der Erde willen, Lucky, bleib' wo du bist! Komm' nicht näher!«
Mehr kam nicht über den Sender. Unaufhaltsam preschte die Hilda auf Evans Position zu. Die Stirn runzelnd, lehnte sich
Lucky zurück. »Wenn der dermaßen Angst hat, warum flieht er dann nicht?« murmelte Lucky vor sich hin.
Bigman hörte gar nicht hin. In seiner Stimme schwang Begeisterung, als er sagte: »Phantastisch, Lucky, ganz phantastisch, wie du ihn zum Reden gebracht hast.«
»Das war kein Bluff, Bigman«, gab Lucky grimmig zurück. »Ich habe den Schlüssel zu dem ganzen Durcheinander. Du hättest ihn übrigens auch, wenn du nur mal einen Moment nachdenken würdest.«
»Worauf willst du hinaus?« fragte Bigman unsicher.
»Kannst du dich an den kleinen Raum erinnern, in dem wir mit Dr. Morriss gewartet haben, bis sie Lou Evans gebracht haben? Erinnerst du dich noch an das Allererste, was passierte?«
»Nein.«
»Du fingst zu lachen an. Du hast gesagt, ich sähe seltsam und verstümmelt ohne Schnäuzer aus. Und mir ging es mit dir genauso. Das habe ich auch gesagt. Erinnerst du dich?«
»Oh ja, na klar doch.«
»Hast du dich einmal gefragt, warum das so war? Wir hatten stundenlang nur Männer mit Schnauzbärten gesehen. Woher kam es, daß wir beide zur gleichen Zeit den selben Gedanken hatten?«
»Ich weiß es nicht.«
»Nimm' mal an, dieser Gedanke wäre jemandem gekommen, der über telepathische Fähigkeiten verfügt. Nimm' weiter an, daß diese Überraschung von seinem Verstand in den unseren übergegangen ist.«
»Willst du damit sagen, daß die Gehirnmanipulierer, oder einer von ihnen mit uns zusammen im Zimmer war?«
»Würde das die Dinge nicht erklären?«
»Aber das ist unmöglich. Der einzige andere Mensch war Dr. Morriss. Lucky! Du willst doch nicht behaupten, Dr. Morriss ist es!«
»Morriss hat uns doch die ganze Zeit über angesehen. Warum sollte er plötzlich darüber erstaunt sein, daß wir keine Schnäuzer haben?«
»Na also, hat sich vielleicht jemand versteckt?«
»Nicht versteckt«, antwortete Lucky. »Im Zimmer befand sich noch ein Lebewesen, und es war gut zu sehen.«
»Nein«, rief Bigman. »Oh nein.« Er brach in schallendes Gelächter aus. »Bei allen Marswüsten, du meinst doch nicht etwa den V-Frosch?«
»Warum nicht?« erwiderte Lucky ruhig. »Wir sind wahrscheinlich die ersten Männer ohne Schnauzbart gewesen, die er je zu Gesicht bekommen hat. Das hat ihn überrascht.«
»Aber das ist unmöglich.«
»Ist es das wirklich? Es gibt sie in der ganzen Stadt. Die Leute sammeln sie, sie sind ganz vernarrt in die Tierchen. Die Frage ist, lieben sie die V-Frösche wirklich? Oder ist es nicht vielmehr so, daß die V-Frösche auf telepathischem Wege Liebe bei den Menschen hervorrufen, damit sie gefüttert und gepflegt werden?«