»Und da hast du dich für die Hefeunterlagen entschieden«, stellte Lucky fest.
»Das lag nahe. Ich mußte etwas in die Hand bekommen, das nicht allgemein bekannt war, oder wie hätte ich sonst einigermaßen sicher sein können, daß sie ihr Wissen von mir bezogen? Die Hefeunterlagen waren ideal. Als ich auf legalem Wege nicht drankam, habe ich einige Dokumente gestohlen. Ich lieh mir vom Hauptquartier einen der V-Frösche, stellte ihn samt seinem Aquarium neben mich und sah mir die Unterlagen an. Einiges habe ich sogar laut vorgelesen. Als keine zwei
Tage später in der Hefefabrik ein Unfall stattfand, bei dem es genau um die Sachen ging, die ich vorgelesen hatte, war ich restlos davon überzeugt, daß die V-Frösche hinter dem ganzen Schlamassel steckten. Allerdings.«
»Allerdings was?« wollte Lucky wissen.
»Allerdings war ich nicht schlau genug gewesen«, fuhr Evans fort. »Ich habe sie in meinen Kopf gelassen. Ich hatte regelrecht den roten Teppich ausgerollt und sie eingeladen hereinzuspazieren, und dann konnte ich sie nicht wieder los werden. Die Wachen kamen und schnüffelten nach den Unterlagen. Es war bekannt, daß ich im Gebäude gewesen war, also wurde ein sehr höflicher Agent vorbeigeschickt, um mich zu verhören. Ich habe die Unterlagen anstandslos wieder herausgegeben und versuchte meine Handlungsweise zu erklären. Ich konnte es nicht.«
»Du konntest es nicht? Wie meinst du das?«
»Ich konnte es nicht. Ich war physisch nicht dazu in der Lage. Die richtigen Worte kamen nicht über meine Lippen. Ich war außerstande, auch nur ein einziges Wort über die V-Frösche zu sagen. Ich bekam sogar ständig Anstöße, mich selbst zu töten, die konnte ich aber niederkämpfen. Sie bekamen mich nicht dazu, etwas zu tun, das meinem Wesen derartig fremd ist. Da dachte ich, wenn es mir nur gelänge, die Venus zu verlassen, wenn es möglich wäre, weit genug von den V-Fröschen wegzukommen, könnte ich ihre Macht über mich brechen. Also tat ich das Einzige, von dem ich annahm, daß es zu meiner augenblicklichen Abberufung führen würde: ich schickte die Korruptionsanklage gegen mich selbst ab, und unterschrieb mit >Morriss<.«
»Genau«, sagte Lucky grimmig, »soviel hatte ich mir schon gedacht.«
»Wie ist das möglich?« Evans sah überrascht aus.
»Morriss hat uns kurz nach unserer Ankunft in Aphrodite seine Version deiner Geschichte erzählt. Am Schluß sagte er, daß er dabei sei, seinen Bericht für das Hauptquartier abzufassen. Er hat nichts davon gesagt, daß er bereits einen geschickt hätte - nur das er einen vorbereitete. Es war aber eine Nachricht übermittelt worden, das wußte ich. Wer außer Morriss kannte den Ratscode und die Einzelheiten des Falles? Niemand außer dir.«
Evans nickte und sagte bitter: »Und statt mich abzuberufen, haben sie dich geschickt. Ist es so?«
»Ich habe darauf bestanden, Lou. Ich konnte nicht glauben, daß das mit der Korruptionsanschuldigung gegen dich mit rechten Dingen zuging.«
Evans vergrub das Gesicht in den Händen. »Das war das Schlimmste, was du tun konntest, Lucky. Als du gefunkt hast, du würdest kommen, bat ich dich doch wegzubleiben, oder etwa nicht? Ich konnte dir nicht sagen warum, dazu war ich nicht in der Lage. Aber die V-Frösche müssen aus meinen Gedanken gemerkt haben, war für ein großartiger Bursche du bist. Sie konnten meine Meinung über deine Fähigkeiten ablesen und machten sich daran, dich sterben zu lassen.«
»Sie hätten es beinahe geschafft«, murmelte Lucky.
»Diesmal werden sie es schaffen. Das tut mir herzlich leid, aber ich konnte mir selbst nicht helfen. Als sie den Mann an der Kuppelschleuse paralysierten, war ich nicht imstande, dem Impuls, zu fliehen und aufs Meer zu gehen, zu widerstehen. Und wie nicht anders zu erwarten, bist du mir gefolgt. Ich war der Köder, du das Opfer. Wieder habe ich versucht, dich abzuhalten, aber ich konnte keine Erklärung mitliefern. Ich konnte es nicht erklären.«
Er atmete einmal tief durch. »Aber jetzt kann ich darüber sprechen. Sie haben die geistige Sperre in meinem Kopf aufgehoben. Schätze, wir sind den geistigen Energieaufwand, den sie aufbringen müssen, nicht mehr wert, weil wir in der Falle sitzen, so gut wie tot sind und sie uns nicht mehr fürchten.«
Bigman hatte mit wachsender Verwirrung zugehört. Jetzt meldete er sich zu Wort: »Bei allen Marswüsten, was geht hier eigentlich vor? Warum sind wir so gut wie tot?«
Evans, das Gesicht immer noch in den Händen verborgen, antwortete nicht.
Nachdenklich und mit gerunzelter Stirn sagte Lucy: »Wir liegen unter einem Orangelappen, einem Orangelappen im Kingsize-Format.«
»Ein Lappen, der groß genug ist, um das Schiff zu bedecken?«
»Ein Lappen mit einem Durchmesser von drei Kilometern«, sagte Lucky. »Drei Kilometer! Was das Schiff beinahe zu Bruch gehen ließ, und das, was uns fast zum zweiten Mal getroffen hat, als wir uns auf Evans Schiff zu bewegten, war ein Wasserstrahl. Sonst gar nichts. Ein Wasserstrahl, mit der Wucht einer Wasserbombe.«
»Aber wie konnten wir unter den Lappen geraten, ohne es zu merken?«
»Evans glaubt, daß das Ungetüm unter dem Einfluß der V-Frösche steht, und ich gebe ihm darin Recht. Es könnte seine Fluoreszenz dadurch mindern, indem es die Lichtzellen auf der Haut zusammenzieht. Einen Zipfel seines Mantels könnte es angehoben haben, um uns hineinzulassen und nun sitzen wir drin.«
»Und wenn wir uns rühren oder versuchen, uns den Weg freizuschießen, brennt uns der Lappen wieder eins drauf, und ein Lappen zielt nie daneben.«
Lucky dachte einen Augenblick nach, dann sagte er plötzlich: »Aber ein Lappen schießt doch vorbei! Er hat uns verfehlt, als wir die Hilda auf dein Schiff zugesteuert haben und dabei haben wir nur ein Viertel der möglichen Fahrt gemacht.« Er wandte sich Bigman zu, und kniff dabei die Augen zusammen. »Bigman, sind die Hauptgeneratoren zu flicken?«
Bigman hatte die Maschinen fast vergessen. Er erholte sich und meinte: »Oh,. Das Gehäuse des Mikromeilers ist nicht abgerissen worden, demnach kann alles wieder in Stand gesetzt werden, vorausgesetzt, ich finde das nötige Werkzeug.«
»Wie lange wird es dauern?«
»Stunden wahrscheinlich.«
»Dann mach' dich an die Arbeit. Ich gehe ins Meer.«
Evans sah perplex auf und fragte ungläubig: »Wie meinst du das?«
»Ich kümmere mich um diesen Lappen.« Lucky stand bereits vor dem Spind mit den Taucheranzügen und war damit beschäftigt, zu überprüfen, ob die winzigen Kraftfeldversteifungen in Ordnung und mit ausreichend Reserven gespeist waren. Er sah nach, ob die Sauerstoffflaschen gefüllt waren.
Es war trügerisch friedlich draußen in der absoluten Dunkelheit. Die Gefahr schien weit weg zu sein. Lucky wußte jedoch, daß sich unter ihm der Meeresboden und über ihm in einem Umkreis von drei Kilometern eine geschlossene Glocke aus gummiartigem Fleisch befand.
Die Pumpe seines Tauchanzuges schickte einen Wasserstrahl nach unten, und er trieb langsam, die Waffe einsatzbereit in der Faust, nach oben. Über den Unterwasserblaster, den er in der Hand hielt, konnte man nur staunen. Auf der Erde, dem Heimatplaneten, war die Menschheit schon erfinderisch gewesen, aber es schien fast so, als ob die Notwendigkeit, sich den grausamen Umweltbedingungen eines fremden Planeten anpassen zu müssen, diese Fähigkeit noch verhundertfachte.