Alles hing davon ab, wie weit entfernt er sich vom Zentrum des Strahls befand, oder andersherum ausgedrückt, wichtig war, wie gut das Monster ins Schwarze getroffen hatte.
Je länger er abwartete, desto besser standen seine Chancen, vorausgesetzt, er wartete nicht zu lange. Die metallbehandschuhten Hände am Rückstoßauslöser, ließ Lucky sich in die Tiefe drücken. Er versuchte gelassen abzuwarten und richtig zu raten, wieweit er sich noch vom Meeresboden befand, dabei rechnete er die ganze Zeit mit dem letzten Aufprall, den er nie spüren würde.
Dann, als er bis zehn gezählt hatte, riß er die Düsen an seinem Anzug auf. Die kleinen, hochtourigen Propeller auf beiden Seiten seiner Schulterblätter malten knirschend, als sie Wasser im rechten Winkel zur Hauptströmung auswarfen. Lucky fühlte, wie sein Körper im Fallen eine neue Richtung einschlug.
Falls er sich genau im Zentrum befand, würde alles nichts nützen. Die Energie, die er pumpen konnte, reichte nicht aus, um gegen den mächtigen Druck nach unten etwas auszurichten. Wenn er sich aber ein gehöriges Stück vom Zentrum entfernt befand, hätte sich seine Geschwindigkeit inzwischen erheblich vermindert und vielleicht waren die Randturbulenzen nicht mehr weit.
Gerade, als ihm dieser Gedanke kam, merkte er, wie sein Körper mit Übelkeit erregender Gewalt gebeutelt und umhergeschleudert wurde; Lucky wußte, daß er in Sicherheit war.
Er ließ seine Düsen weiterlaufen, dabei richtete er ihren Schub jetzt nach unten und deutete mit dem Finger in Richtung Meeresboden. Er kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der Schlick keine fünf Meter unter ihm explodierte und rings umher alles mit Schlamm vernebelte.
Er hatte sich aus dem Strahl gekämpft, als nur noch wenige Sekunden zur Verfügung standen.
Er eilte jetzt so schnell wie seine Motoren es zuließen wieder nach oben. Er hatte es verzweifelt eilig. In der Dunkelheit seines Helmes (Dunkelheit in der Dunkelheit in der Dunkelheit) preßten sich seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.
Er tat sein bestes, nicht nachzudenken. Während der paar Sekunden im Malstrom hatte er sich Gedanken genug gemacht. Er hatte den Feind unterschätzt.
Er war davon ausgegangen, daß der Riesenlappen auf ihn geschossen hatte, aber das stimmte nicht. Es waren die V-Frösche an der Wasseroberfläche, die dem Körper des Lappens über sein Gehirn Befehle gaben! Die V-Frösche hatten auf ihn gezielt. Sie hatten es nicht nötig, dem Schmerzempfinden des Lappens zu folgen, um zu wissen, daß er getroffen war. Sie brauchten bloß in Luckys Gedanken zu lesen, und sie brauchten sich nur auf die seinen Gedanken zugrunde liegenden Motive zu konzentrieren.
Es handelte sich demnach nicht mehr darum, dem Monster Nadelstiche zuzufügen, damit es sich von der Hilda verzog und die unterseeische Abschüssigkeit hinunter wieder schwerfällig in die Tiefe zu verschwinden, die es gezeugt hatte. Das Ungeheuer mußte getötet werden.
Und zwar schnell!
Die Hilda konnte keinen zweiten Treffer verkraften und Luckys Anzug ebensowenig. Die Instrumente waren bereits hinüber, als nächstes gingen vielleicht die Steuerelemente zu Bruch. Oder die winzigen Kraftfeldgeneratoren der Flüssigsauerstoffbehälter konnten Schaden nehmen.
Lucky trieb weiter und weiter der Oberfläche entgegen, hoch zur einzigen Stelle, an der er in Sicherheit war. Obwohl er das Blasrohr des Monsters nie zu Gesicht bekommen hatte, war es vernünftig davon auszugehen, daß es sich dabei um eine ausfahrbare bewegliche Röhre handelte, die in verschiedene Richtungen zeigen konnte. Aber das Ungeheuer würde wohl kaum in der Lage sein, sie gegen seine eigene Unterseite zu richten. Einmal würde es sich so selber Schaden zufügen und außerdem würde der Druck des verschossenen Wassers es verhindern, daß das Blasrohr sich so stark abwinkelte.
Lucky mußte also nach oben, nahe an die Unterseite des Tieres, dorthin, wo seine Wasserwaffe ihm nichts anhaben konnte; und er mußte es schaffen, bevor das Monster seinen Wassersack für einen neuen Schuß volltanken konnte.
Lucky richtete seine Lampe nach oben. Er tat das nur widerstrebend, instinktiv fühlte er, daß er so eine gute Zielscheibe abgab. Sein Verstand sagte ihm, daß seine Instinkte fehlgeleitet waren. Bei dem Sinn, der für die schnelle Reaktion des Monsters auf seinen Angriff verantwortlich gewesen war, handelte es sich nicht um die Fähigkeit zu sehen.
Fünfzehn Meter oder auch etwas weniger über ihm brach sich das Licht auf einer rauhen graugetönten Oberfläche, die von tiefen Riefen durchzogen war. Lucky machte kaum Anstalten, seine Fahrt zu vermindern. Die Haut des Ungeheuers war gummiartig, sein eigener Anzug hingegen hart. Während er sich das gerade überlegte, stieß er mit dem Tier zusammen und merkte, wie das fremde Fleisch unter seiner Aufwärtsbewegung nachgab.
Eine ganze Weile lang atmete Lucky aus Erleichterung tief durch. Zum ersten Mal seit er das Schiff verlassen hatte, fühlte er sich einigermaßen sicher. Dieses Gefühl hielt jedoch nicht lange vor. Jeden Augenblick konnte das Wesen (oder die kleinen Herrscher über die Gedanken, die über das Monster Gewalt hatten konnten es), wieder das Schiff angreifen. Das durfte er auf keinen Fall zulassen.
Lucky ließ den Strahl seiner Fingerlampe durch die Umgegend huschen. Dabei hatte er ein Gefühl, das sich aus Erstaunen und Übelkeit zusammensetzte.
An vielen Stellen befanden sich auf der Unterseite des Monsters Löcher von zwei Meter Durchmesser, in die, wie Lucky am Strom der Luftbläschen und festen Partikel sehen konnte, Wasser rauschte. In größeren Abständen voneinander lagen Schlitze, die sich gelegentlich zu drei Meter langen Spalten öffneten, und schäumendes Wasser schwallweise abgaben.
Anscheinend ernährte sich das Monster auf diese Art. Es gab in dem Teil des Ozeans, den es mit seiner Körpermasse abdeckte, Verdauungssäfte ab, saugte dann kubikmeterweise Wasser auf, um die darin enthaltenen Nährstoffe aufzunehmen und schied danach Wasser, Abfall und die eigenen Exkremente aus.
Es war klar, daß es nicht mehr lange über ein und derselben Stelle des Ozeans bleiben konnte, sonst machte die Anhäufung seiner eigenen Abfallprodukte den Lebensraum ungesund. Aus freien Stücken hätte es sich nicht solange hier aufgehalten, aber die V-Frösche zwangen es dazu.
Ohne sein eigenes Dazutun bewegte Lucky sich ruckartig hin und her. Überrascht richtete er die Lampe auf einen Punkt ganz in der Nähe. In einem Augenblick nackten Entsetzens, wurde ihm die Bedeutung der tiefen Scharten, die er bereits an der Unterseite des Monsters bemerkt hatte, bewußt. Eine dieser
Riefen verlief genau neben ihm und führte tief in den Körper hinein. Die beiden Seiten der Furche scheuerten gegeneinander, das Ganze war offensichtlich ein Zerkleinerungsmechanismus, mit dem das Monster Partikel, die zu groß waren um direkt durch die Nahrungsporen zu wandern, zerstückelte.
Lucky wartete nicht. Er konnte seinen ramponierten Anzug nicht gegen die fantastische Muskelkraft des Ungeheuers aufs Spiel setzen. Die äußere Schale seines Taucheranzuges hielt möglicherweise Stand, aber Teile der sensiblen Mechanik vielleicht nicht.
Er drehte die Schultern, so daß die Anzugdüsen direkt auf den Körper des Monsters gerichtet waren, dann schaltete er auf volle Leistung. Mit einem lauten Schmatzlaut kam er los, drehte er sich um und wandte sich zurück. Er vermied es, die Haut noch einmal zu berühren, hielt sich aber in ihrer Nähe und ließ sich von ihr auf seinem Weg leiten. Er schwamm weiter, nach oben, weg von den Randpartien des Untieres, in Richtung Zentrum.
Plötzlich gelangte er an eine Stelle, wo die Unterseite des Monsters wie eine Wand aus Fleisch wieder in die Tiefe deutete und die sich in beiden Richtungen jenseits seiner Lampe verlor. Diese Mauer zitterte und bebte und bestand offensichtlich aus dünnerem Gewebe.