Die Hilda erzitterte in allen Nähten, und die plötzliche, fast unwiderstehliche Geschwindigkeitsabnahme zwang Lucky mit aller Gewalt gegen die Instrumentenkonsole. Bei Bigman und Evans färbten sich die Knöchel weiß, und sie zerrten sich die Handgelenke, als sie sich mit aller ihnen zu Gebote stehender Kraft festklammerten.
Das Schiff wurde langsamer, kam aber nicht zum Stillstand. Die Motoren gaben ihr Letztes und die Generatoren protestierten quietschend, was Lucky ihnen gut nachfühlen konnte, aber die Hilda pflügte durch Haut, Muskeln, Sehnen und leere Blutgefäße und nutzlose Nervenstränge, die sechzig Zentimeter dicken Kabeln ähneln mußten. Lucky hielt, das Kinn vorgestreckt und mit grimmiger Miene, den Geschwindigkeitsknüppel fest am Anschlag, um gegen den zerreißenden Widerstand anzukommen.
Die Minuten zogen sich endlos hin, doch dann waren sie durch, und die Maschinen jubelten auf. Sie waren durch das Monster hindurch und befanden sich wieder im offenen Meer.
*
Geräuschlos gleitend stieg die Hilda durch das trübe, kohlensäurehaltige Wasser des Venusozeans empor. Sie schwiegen alle drei. Dieses Schweigen schien ihnen durch die Kühnheit, mit der sie die wirkliche Bastion der feindlichen Lebensform auf der Venus in Angriff nahmen, auferlegt worden zu sein. Seit sie durch den Lappen hindurch waren, hatte Evans noch kein Wort gesagt. Lucky hatte die Schiffsinstrumente auf Automatik gestellt und saß auf dem Drehstuhl für den Piloten; seine Finger trommelten leise gegen die Kniescheibe. Selbst der unbändige Bigman hatte sich finster zum Heckbullauge mit seinem bauchigen, weitwinkeligen Blickfeld zurückgezogen. Plötzlich rief er: »Lucky, sieh' mal da.«
Mit wenigen Schritten stand Lucky neben ihm. Sie schauten gemeinsam hinaus, keiner sagte ein Wort. Die Hälfte des Sichtfeldes bestand aus dem Widerschein kleiner phosphorisierender Lebewesen, aber in einer anderen Richtung stand eine Wand, eine monströse Wand, die in wechselnden Farben aufleuchtete.
»Glaubst du, daß ist der Lappen, Lucky?« fragte Bigman. »Als wir herkamen, hat es nicht so geleuchtet, und überhaupt, jetzt wo er tot ist, würde er doch sowieso nicht mehr leuchten, oder?«
»In gewisser Weise ist es schon der Lappen«, sagte Lucky nachdenklich. »Ich glaube, der halbe Ozean findet sich hier ein, um am Festmahl teilzunehmen.«
Bigman schaute noch einmal hin, und ihm wurde ein wenig schlecht. Natürlich! Da unten lagen hundert Millionen Tonnen Fleisch herum, man brauchte sich nur zu bedienen. Das Licht, das sie sehen konnten, mußte von den kleinen Lebewesen des Küstengebietes ausgehen, die gekommen waren, um sich an dem toten Monster gütlich zu tun.
Wesen flitzten an den Bullaugen vorbei, sie schwammen alle in dieselbe Richtung. Von allen Seiten kamen sie sternförmig auf den Kadaver zu, den die Hilda zurückgelassen hatte und der wie ein Gebirge aussah.
Pfeilfische aller Größen waren besonders zahlreich vertreten. Sie hatten eine weiße Phosphorlinie auf dem Rücken, der die Wirbelsäule kennzeichnete (in Wirklichkeit handelte es sich dabei gar nicht um eine richtige Wirbelsäule, sondern bloß um einen glatten Stab, der aus einer hornartigen Substanz bestand). An einem Ende der weißen Linie befand sich ein blaßgelbes V; dort befand sich der Kopf. Für Bigman schien es, als schwärte ein nicht zu zählender Schwarm beweglicher Pfeile am Schiff vorbei, aber vor seinem geistigen Auge konnte er ihre gierigen, riesigen nadelgesäumten Kiefer sehen.
»Heilige Milchstraße!« entfuhr es Lucky.
»Bei allen Marswüsten!« murmelte Bigman. »Der übrige Ozean wird bald leer sein. Jedes vermaledeite Vieh im Meer kommt hierher geschwommen.«
»So wie sich diese Pfeilfische vollschlagen, ist der Lappen in zwölf Stunden verschwunden«, bemerkte Lucky.
Vom anderen Ende hörten sie Evans Stimme. »Lucky, ich muß mir dir reden.«
»Klar, was gibt es, Lou?« Lucky wandte sich um.
»Als du das erste Mal den Vorschlag machtest, zur Oberfläche aufzutauchen, hast du mich gefragt, ob ich einen besseren Vorschlag hätte.«
»Ich weiß. Du hast mir keine Antwort gegeben.«
»Jetzt tue ich es. Wenn man will, dann halte ich sie sozusagen in der Hand; wir fahren zur Stadt zurück.«
»He, was soll das denn?« rief Bigman.
Lucky brauchte diese Frage nicht zu stellen. Seine Nasenflügel bebten, und innerlich tobte er vor Wut über sich selbst. Statt sich an das Bullauge zu stellen, hätte er sich mit Herz und Seele auf das konzentrieren sollen, was vor ihnen lag.
Denn in Evans geballter Faust befand sich Luckys eigener Blaster, und in Evans zusammengekniffenen Augen stand eiserne Entschlossenheit.
»Wir kehren in die Stadt zurück«, wiederholte Evans.
XII
Zur Stadt?
»Was hast du, Lou?« fragte Lucky.
Evans machte mit dem Blaster eine ungeduldige Bewegung. »Stell' die Maschinen auf >Volle Kraft zurückc, Neigungswinkel nach unten und den Bug in Richtung Stadt. Nein, du nicht, Lucky. Du läßt jetzt mal Bigman an die Instrumente, dann stellst du dich neben ihn, damit ich euch beide und die Instrumente gleichzeitig im Auge behalten kann.«
Bigman hatte die Arme halb erhoben und sah Lucky an. Lucky behielt die Hände unten.
»Wie wäre es, wenn du mir mal sagst, was in dich gefahren ist«, sagte Lucky ohne Betonung.
»Nichts ist in mich gefahren«, erwiderte Evans. »Überhaupt nichts. Es dreht sich vielmehr um das, was in dich gefahren ist. Du bist rausgegangen und hast das Monster getötet, und dann kommst du zurück und fängst an davon zu faseln, daß wir an die Oberfläche müßten. Warum?«
»Ich habe meine Gründe genannt.«
»Ich glaube dir nicht. Wenn wir nach oben kommen, werden die V-Frösche unseren Verstand übernehmen. Ich habe in der Hinsicht Erfahrung gesammelt, und deswegen weiß ich auch, daß die V-Frösche deinen Verstand schon haben.«
»Was?« explodierte Bigman. »Hast du 'nen Dachschaden?«
»Ich weiß, was ich tue«, antwortete Evans unbeirrt. Er beobachtete Lucky mißtrauisch. »Wenn du die Sache einmal leidenschaftslos betrachtest, Bigman, wirst du auch merken,
daß Lucky unter V-Frosch-Einfluß stehen muß. Vergiß' nicht, er ist auch mein Freund. Ich kenne ihn schon länger als du, Bigman, und es fällt mir schwer, das hier zu tun, aber es gibt keine andere Möglichkeit. Ich muß es tun.«
Bigman schaute unsicher von einem zum anderen, dann fragte er leise: »Haben die V-Frösche dich wirklich, Lucky?«
»Nein.«
»Was hättest du denn gedacht, was er sagen würde?« wollte Evans wissen. »Natürlich haben sie ihn. Um das Monster zu erschlagen, mußte er bis zur Oberfläche jagen. Er ist bestimmt ziemlich nahe an die Oberfläche gekommen, wo die V-Frösche lauern, er war nahe genug, sie konnten ihn sich schnappen. Sie haben ihn das Monster töten lassen. Warum auch nicht? Sie machen doch ein prima Geschäft, wenn sie die Herrschaft über das Monster gegen die Kontrolle über Lucky tauschen. Lucky kommt also zurück an Bord und quatscht wirres Zeug über die Notwendigkeit, auftauchen zu müssen, wo wir mitten unter ihnen sind, und in der Falle sitzen, die einzigen Leute, die die Wahrheit kennen, wären hilflos.«
»Lucky?« quengelte Bigman, und am Tonfall konnte man erkennen, daß er Gewißheit haben wollte.
»Du irrst dich, Lou«, bemerkte Lucky ruhig. »Was du da machst, ist die Folge deiner eigenen Gefangenschaft. Du hast früher schon unter ihrem Einfluß gestanden, und die V-Frösche kennen deinen Verstand gut. Sie können jederzeit, wenn es ihnen paßt, hinein. Vielleicht haben sie ihn nie völlig verlassen. Du tust nur, was man dich zu tun zwingt.«
Evans packte den Blaster fester. »Tut mir leid, Lucky, aber so läuft nichts. Wir wollen jetzt in die Stadt zurück.«