»Nimm' Kurs auf den Lappen«, hatte er gesagt.
*
Der Kurs der Hilda änderte sich erneut. Der Bug zeigte nach oben.
Evans lag auf seiner Koje, er sah Lucky beschämt ins Gesicht. »Es tut mir leid.«
»Wir verstehen, Lou. Du brauchst nicht darüber nachzugrübeln«, bemerkte Lucky leichthin. »Aber vorläufig können wir dich nicht losbinden, das verstehst du doch, oder?«
»Sicher, macht ruhig noch ein paar Knoten mehr rein, ich habe es verdient. Ich könnt mir glauben, an das meiste kann ich mich gar nicht mehr erinnern.«
»Hör' mal, Junge, du solltest jetzt besser mal eine Runde schlafen«, Lucky gab Evans einen spielerischen Schlag auf die Schulter. »Wenn es sein muß, wecken wir dich, sobald wir auftauchen.«
Einige Minuten später sagte er ruhig zu Bigman: »Sammle alle Blaster und sonstige Waffen, die du auf dem Schiff finden kannst, ein. Geh' die Vorratslast, die Spinde und alles andere durch.«
»Was hast du vor?«
»Ich werde alles über Bord gehen lassen«, sagte Lucky lakonisch.
»Was?«
»Du hast mich schon verstanden. Vielleicht erwischt es dich, oder sie bekommen mich in ihre Gewalt. Falls das geschehen sollte, dann möchte ich nicht, daß sich so etwas wie vorhin noch einmal ereignen kann. Und gegen die V-Frösche kann man mit herkömmlichen Waffen sowieso nichts ausrichten.«
Nacheinander verschwanden die beiden Blaster und die Elektropeitschen, die zu den Taucheranzügen gehörten, durch den Müllschlucker. Die Klappe des Müllschluckers befand sich in der Wand direkt neben der Bordapotheke und die Waffen wurden über den Einwegeventilmechanismus ins Meer gespuckt.
»Ich fühle mich ganz nackt«, murmelte Bigman vor sich hin. Er starrte durch das Bullauge, als hege er die Hoffnung, noch einen Blick auf die verschwundenen Waffen erhaschen zu können. Ein schwacher Phosphorschein huschte vorbei, es war ein Pfeilfisch. Sonst war nichts zu erkennen.
Die Nadel des Wasserdruckanzeigers fiel langsam. Zu Anfang waren sie auf neunhundert Meter gewesen, jetzt standen sie bei etwas weniger als sechshundert.
Bigman peilte weiterhin intensiv durch das Bullauge.
Lucky sah ihn flüchtig an. »Wonach suchst du?«
»Ich dachte, es würde heller werden, wenn wir näher an die Oberfläche steigen.«
»Das möchte ich bezweifeln«, erwiderte Lucky. »Der Tang deckt die Oberfläche dicht ab. Bis wir auftauchen, wird es dunkel bleiben.«
»Glaubst du, wir könnten auf ein Ernteschiff stoßen, Lucky?«
»Ich hoffe nicht.«
Sie waren jetzt vierhundertfünfzig Meter unter der Wasseroberfläche.
Bigman versuchte es lässig klingen zu lassen, aber es war ihm anzumerken, daß er sich nur bemühte, seinen Gedanken eine andere Richtung zu verleihen: »Sag' mal, Lucky, wie kommt es eigentlich, daß sich so viel Kohlendioxyd in der Venusatmosphäre befindet? Ich meine, wo es doch so viele Pflanzen hier gibt? Pflanzen sollen doch Kohlendioxyd in Sauerstoff verwandeln, oder etwa nicht?«
»Auf der Erde, ja. Aber soweit ich mich an meine Vorlesung über Xenobotanik erinnern kann, haben die Venuspflanzen einen ganz eigentümlichen Trick. Die Pflanzen auf der Erde geben ihren Sauerstoff an die Umwelt ab, Venuspflanzen hingegen speichern den Sauerstoff in hochkonzentrierter Form in ihrem Gewebe.« Seine Stimme klang abwesend, ganz so, als ob auch er redete, um sich vor tiefschürfenderen Gedanken zu schützen. »Das ist auch der Grund, warum kein Tier auf der Venus atmet. Was sie an Sauerstoff brauchen, beziehen sie aus ihrer Nahrung.«
»Weißt du näheres darüber?« erkundigte sich Bigman ehrlich überrascht.
»Wahrscheinlich befindet sich in der Nahrung zuviel Sauerstoff, sonst wären sie nicht so scharf auf sauerstoffarmes Futter, wie diese Wagenschmiere, die du dem V-Frosch gegeben hast. Das ist jedenfalls meine Überzeugung.«
Sie waren nur noch zweihundertachtzig Meter tief.
»Übrigens hast du gut gesteuert, Bigman, ich meine, wie du den Lappen gerammt hast.«
»Kleinigkeit«, antwortete Bigman, aber das Lob in Luckys Worten ließ ihn vor Freude erröten.
Er schaute auf den Druckmanometer. Noch hundertfünfzig Meter bis zur Oberfläche.
Und dann setzte ein knirschendes und kratzendes Geräusch von oben ein, das sanfte Emporgleiten geriet ins Stocken, die Maschinen arbeiteten schwerer, und dann wurde es draußen vor dem Bullauge plötzlich hell. Der wolkenverhangene Himmel ließ sie blinzeln, und rings umher schwappte Wasser zwischen Tangfasern.
»Es regnet«, sagte Lucky. »Ich furchte, nun bleibt uns nichts anderes übrig, als still dazusitzen und zu warten, bis die V-Frösche kommen.«
»Nun,.. nun, hier sind sie!« sagte Bigman leer.
Und schon schob sich ein V-Frosch vor das Bullauge. Die langen Beine eng an den Körper gezogen und mit den gegenständigen Zehen ein Tangbüschel fest umklammernd, schaute er aus großen feuchten Augen ernst ins Innere des Schiffes.
XIII
Begegnung der Geister
Die Hilda tanzte auf den hohen Wogenkämmen des Venusozeans. Das Prasseln des starken, anhaltenden Regens trommelte in wildem Rhythmus auf die Außenhaut. Bigman, dem Marsbewohner, waren Regen und Meere fremd, aber in Lucky erweckten sie Erinnerungen an zu Hause.
»Schau dir den V-Frosch an, Lucky, schau' ihn dir an!«
»Ich sehe ihn«, antwortete Lucky ruhig.
Bigman putzte die Scheibe mit dem Ärmel blank und ertappte sich plötzlich selbst dabei, wie er, um besser sehen zu können, mit plattgedrückter Nase am Glas hing.
Dann dachte er bei sich, he, ich sollte besser nicht so nahe herangehen. Er machte einen Satz zurück und steckte mit Bedacht die kleinen Finger beider Hände in die Mundwinkel und zog sie in die Breite. Er streckte die Zunge heraus, schielte und wackelte mit den Fingern in der Luft.
Der V-Frosch sah ihn ernst an. Seit er zum erstenmal aufgetaucht war, hatte er noch keinen Muskel bewegt. Er schwang nur würdig mit dem Wind. Ihm schien das Wasser, das um ihn herum aufspritzte, nichts auszumachen, er schien es nicht einmal wahrzunehmen.
Bigman verzog sein Gesicht zu einer noch furchterregenderen Grimasse und machte »A-ah-ah« zu dem Wesen.
Luckys Stimme sagte hinter ihm: »Was machst du da, Bigman?«
Bigman fuhr erschreckt zusammen, ließ die Hände sinken und sein Gesicht bekam wieder den ihm eigenen koboldhaften Ausdruck. Grinsend meinte er: »Habe dem V-Frosch nur mal gezeigt, was ich von ihm halte.«
»Und er hat dir nur mal eben gezeigt, was er von dir hält!«
Bigmans Herz setzte einen Schlag aus. Die eindeutige Mißbilligung in Luckys Worten war unüberhörbar. In einer kritischen Situation wie dieser, in einem dermaßen gefährlichen Augenblick, schnitt er, Bigman, Grimassen wie ein Clown. Er schämte sich.
»Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, Lucky«, maulte er.
»Sie schon«, erwiderte Lucky vorwurfsvoll. »Versteh' das endlich. Die V-Frösche suchen bei dir nach schwachen Stellen. Sie werden jede Möglichkeit ausnützen, um in dein Gehirn zu kriechen, und wenn sie sich erst mal dort eingenistet haben, dann ist es gut möglich, daß es deine Kräfte übersteigt, sie wieder aus deinem Kopf zu vertreiben.«
»Ja, Lucky«, murmelte Bigman.
»Was kommt als nächstes?« Lucky sah sich an Bord um. Evans schlief, er warf sich auf seiner Koje hin und her, als hätte er einen Anfall, das Atmen schien ihm schwerzufallen. Luckys Augen ruhten nur einen kurzen Augenblick auf ihm, dann sah er woanders hin.
Beinahe furchtsam sagte Bigman: »Lucky?«