»Bei Lou Evans«, sagte Lucky ruhig. »Ich warte schon die ganze Zeit darauf, daß Sie seinen Namen erwähnen, Dr. Morriss.«
Morriss zog die Augenbrauen zusammen; sein Mondgesicht umwölkte sich. »Sie sind mit ihm befreundet. Sie werden Partei für ihn ergreifen wollen, das ist mir klar. Die Geschichte hört sich nicht gerade schön an. Kann sie auch gar nicht, schließlich ist ein Ratsmitglied darin verwickelt, der außerdem noch Ihr Freund ist.«
»Ich handele dabei nicht nur aus Sentimentalität, Dr. Morriss. Ich habe Lou Evans so gut gekannt, wie ein Mensch den anderen überhaupt nur kennen kann. Ich weiß, daß er dem Wissenschaftsrat oder der Erde niemals schaden könnte.«
»Dann hören Sie zu und bilden sich Ihr eigenes Urteil. Was Evans Dienstauftrag hier auf der Venus angeht, muß festgestellt werden, daß er nichts ausgerichtet hat. Er wurde als >Feuerwehrmann< bezeichnet - das hört sich nett an, bedeutet aber nichts.«
»Nichts für ungut, Dr. Morriss«, unterbrach Lucky den Wissenschaftler, »aber haben Sie etwas gegen sein Kommen gehabt?«
»Nein, natürlich nicht. Aber ich habe einfach keinen Sinn darin gesehen. Wir hier sind auf der Venus alt geworden, wir kennen uns hier aus, haben die Erfahrung. Was verspricht man sich davon, einen jungen Burschen frisch von der Erde herzuschicken, was kann so einer denn schon ausrichten?«
»Ein neuer Ansatz wirkt manchmal Wunder.«
»Unsinn. Ich sage Ihnen, Lucky, es liegt nur daran, daß die im Hauptquartier auf der Erde unsere Schwierigkeiten auf die leichte Schulter nehmen. Der Grund, weswegen sie Evans hergeschickt haben, bestand einzig und allein darin, ihn sich hier einmal flüchtig umsehen zu lassen, nichts festzustellen, zurückzukehren und denen zu erzählen, daß an der Sache nichts dran ist.«
»Ich kenne mich mit dem Rat zu gut aus, um das glauben zu können. Und Sie wissen es auch besser.«
Aber der verärgerte Venusbewohner ließ sich nicht beirren. »Na, jedenfalls, vor drei Wochen verlangte dieser Evans Einblick in geheime Unterlagen über den Hefeanbau. Die Leute von der Industrie verwahrten sich dagegen.«
»Verwahrten sich dagegen?« hakte Lucky ungläubig nach. »Es handelte sich dabei doch um den Wunsch eines Ratsmitgliedes.«
»Ist schon richtig, aber die Hefeleute sind Geheimniskrämer. Man äußert solche Wünsche einfach nicht. Das gilt sogar für Ratsmitglieder. Sie fragten Evans, wozu er die Informationen haben wolle. Er lehnte es ab, seine Gründe zu nennen. Sie leiteten seine Bitte an mich weiter, und ich habe die Sache abgeschmettert.«
»Mit welcher Begründung?« wollte Lucky wissen.
»Mir wollte er seine Gründe auch nicht nennen, aber solange ich das ranghöchste Ratsmitglied auf der Venus bin, hat kein Mitarbeiter meiner Organisation irgendwelche Geheimnisse vor mir. Aber dann tat Ihr Freund Evans etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Er hat die Unterlagen gestohlen. Er hat seine Stellung als Ratsmitglied dazu mißbraucht, in das Hefekulturensperrgebiet einzudringen und hat es mit Mikrofilmen im Stiefel wieder verlassen.«
»Dafür hatte er sicher triftige Gründe.«
»Die hatte er«, sagte Morriss, »die hatte er. Bei den Mikrofilmen ging es um Düngeformeln für die Ernährung einer neuen und besonders schnell wachsenden Hefeart. Zwei Tage später mischte ein Arbeiter bei der Herstellung der Nährsubstanz etwas Quecksilbersalz unter. Die Hefekultur starb ab und sechs Monate Arbeit waren umsonst. Der Arbeiter schwor, daß er das nicht getan habe, aber er war es gewesen. Wir haben ihn einer Psychosondierung unterzogen. Wie Sie sehen, hatten wir inzwischen eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was wir zu erwarten haben. Bei dem Mann hatte es ausgesetzt. Dem Feind ist es bisher noch nicht gelungen, Hefekulturen zu stehlen, aber er kommt seinem Ziel immer näher.«
Der Blick von Luckys braunen Augen war hart. »Ich bin mir über die naheliegende Theorie im Klagen. Lou Evans ist zum Feind übergelaufen, wer immer es auch sein mag.«
»Die Sirianer«, platzte Morriss heraus. »Da bin ich mir sicher.«
»Vielleicht«, räumte Lucky ein. Die Bewohner der Siriusplaneten waren seit Jahrhunderten die erbittersten Feinde der Erde. Es war leicht, sie zu beschuldigen. »Vielleicht. Wir wollen einmal annehmen, Lou Evans sei tatsächlich zu ihnen übergelaufen, und hat sich bereiterklärt, ihnen Informationen zu verschaffen, die es ihnen erlauben, in den Hefefabriken Unruhe zu stiften. Erst im Kleinen, was den Weg für größere Aktionen ebnet.«
»Ja, das ist meine Theorie. Haben Sie eine andere anzubieten?«
»Wäre es nicht denkbar, daß auch Ratsmitglied Evans irgendwie beherrscht wird?«
»Höchst unwahrscheinlich, Lucky. Wir haben inzwischen viele Fälle in den Akten. Niemand, der unter mentaler Herrschaft gestanden hat, war länger als eine halbe Stunde weggetreten, und bei allen lag unter der Psychosondierung eine eindeutige Indikation für eine Periode totaler Amnesie vor. Evans hätte zwei Tage lang unter mentaler Herrschaft stehen müssen, um das zu tun, was er getan hat, und bei ihm gibt es keine Spuren einer Amnesie.«
»Er wurde untersucht?«
»Worauf Sie sich verlassen können. Wenn jemand mit Geheimmaterial gefaßt wird, und zwar auf frischer Tat, wie in diesem Fall, müssen Maßnahmen in die Wege geleitet werden. Dabei wäre es mir hundert Mal egal, ob es sich um ein Ratsmitglied handelt oder nicht. Er ist untersucht worden, und ich habe ihn höchstpersönlich unter Bewährungsauflagen freigelassen. Als er gegen die Auflagen verstieß, indem er Nachrichten über seine eigene Anlage abgesetzt hat, haben wir seinen Zerhacker angezapft und dafür gesorgt, daß er es nicht wieder tut - oder zumindest nicht, ohne daß wir wissen, was er sendet oder empfängt. Die Nachricht, die er an Sie abgesetzt hat, ist seine letzte gewesen. Danach ist uns der Geduldsfaden gerissen. Jetzt steht er unter Arrest. Ich bereite gerade meinen Bericht an die Zentrale vor, etwas, was ich schon längst hätte tun sollen, und verlange darin seine Ablösung von seinem Posten und ein Verfahren wegen Korruption oder sogar wegen Verrat.«
»Bevor Sie das tun.« sagte Lucky.
»Ja?«
»Lassen Sie mich mit ihm sprechen.«
Morriss stand auf und lächelte ironisch. »Wollen Sie das wirklich? Natürlich, ich werde Sie zu ihm bringen. Er ist hier in diesem Gebäude. Wenn ich es mir recht überlege, möchte ich sogar, daß Sie sich seine Ausflüchte anhören.«
Sie stiegen eine Rampe hinauf, stumme Wachposten klappten die Hacken zusammen und salutierten.
Bigman starrte sie neugierig an. »Ist das hier ein Gefängnis oder was?«
»Auf dieser Ebene ist es so eine Art Gefängnis«, antwortete Morris. »Auf der Venus bauen wir die Gebäude so, daß sie vielen Zwecken dienen können.«
Sie betraten einen kleinen Raum und plötzlich brach Bigman ohne Vorwarnung in schallendes Gelächter aus.
Unfähig, ein Lächeln zu unterdrücken, erkundigte sich Lucky: »Was ist los, Bigman?«
»Ni. nichts Besonderes«, prustete der Kleine mit feuchtschimmernden Augen. »Es ist nur, Lucky, du siehst mit deiner kahlen Oberlippe so komisch aus. Nach den vielen Bärten, die ich gesehen habe, siehst du richtig entstellt aus. Du wirkst wie jemand, dem einer mit einer Luftpistole den Bart, den du haben müßtest, von der Lippe gepustet hat.«
Morriss mußte über diese Bemerkung grinsen. Er strich mit dem Handrücken selbstgefällig über seinen eigenen angegrauten Bart.
Luckys Lächeln wurde breiter. »Komisch«, meinte er, »ich dachte von dir gerade dasselbe, Bigman.«
»Wir werden hier warten«, sagte Morriss. »Sie bringen Evans gerade hoch.« Seine Finger wanderten von einem kleinen Druckknopfsignal weg.
Lucky sah sich im Raum um. Er war kleiner als der von Morriss und zugleich unpersönlicher. Das Mobiliar bestand aus mehreren gepolsterten Sesseln und einem Sofa, einem niedrigen und zwei höheren Tischen, die in der Nähe der falschen Fenster standen, das war alles. Hinter jedem der falschen Fenster befand sich eine geschickt gestaltete Unterseelandschaft. Auf einem der hohen Tische stand ein Aquarium; auf dem anderen zwei Teller. Auf dem einen waren kleine getrocknete Erbsen und in dem anderen befand sich eine schwarze, schmierige Substanz.