Die Luftschicht, selbst wenn sie nur so dünn war wie auf dem Mars, löschte alle feineren Einzelheiten. Sie ließ das Aussehen von Sternen verschwimmen und flackern und verdarb dadurch alles. Das größte atmosphärelose Objekt innerhalb der Jupiterbahn war der Merkur. Dieser Stern stand aber so nahe bei der Sonne, daß sich die Observatorien in seiner Dämmerzone auf die Beobachtung der Sonne verlegt hatten. Dazu genügten relativ kleine Teleskope.
Der zweitgrößte Himmelskörper ohne Luftschichten war der Mond. Aber auch hier diktierten die Umstände eine Spezialisierung. So hatte sich die Wettervorhersage für die Erde in eine genaue, zu langfristigen Prognosen fähige Wissenschaft entwickelt. Man konnte aus einer Entfernung von einer Viertelmillion Meilen die gesamte Erdatmosphäre überblicken.
Das drittgrößte Objekt ohne Luft war Ceres. Und es war gleichzeitig das beste von allen. Die praktisch nicht vorhandenen Gravitationsverhältnisse gestatteten es, riesige Linsen und Spiegel zu gießen, ohne daß man befürchten mußte, daß sie zu Bruch gingen, selbst das Risiko des Nachgebens unter dem eigenen Gewicht konnte außer acht gelassen werden. Die Struktur der Teleskopröhre selbst bedurfte keiner besonderen Festigkeit. Ceres war beinahe dreimal so weit von der Sonne entfernt wie der Mond und das Licht nur ein Achtel so hell. Seine schnelle Rotation sorgte dafür, daß die Temperaturverhältnisse auf Ceres nahezu konstant blieben. Kurz gesagt, zur Beobachtung der Fixsterne und der äußeren Planeten war Ceres einfach ideal.
Gestern erst hatte Bigman den Saturn durch ein zweitausendfünfhundert Zentimeter Reflektionsteleskop beobachtet. Das Schleifen des riesigen Spiegels hatte zwanzig Jahre peinlichst genauer und unaufhörlicher Arbeit gekostet.
»Wodurch sehe ich da?« hatte er gefragt.
Sie hatten ihn ausgelacht. »Sie sehen durch gar nichts.«
Vorsichtig hatten sie mit drei Mann die Steuerungseinrichtungen bedient, jeder einzelne tat etwas, das auf die Bewegungen der beiden anderen genau abgestimmt war. Schließlich waren sie mit ihrer Arbeit zufrieden gewesen. Die schwachen roten Lichter wurden noch schwächer, und in der nachtschwarzen Grube, um die sie herumsaßen, erwachte plötzlich ein weißer Lichtfleck zum Leben. Ein Griff und die Scharfeinstellung war da.
Bigman pfiff überrascht durch die Zähne. Der Saturn!
Es war der Saturn, neunzig Zentimeter im Durchmesser, genau wie er ihn schon ein halbes Dutzend mal im All gesehen hatte. Hell leuchteten die Drillingsringe, und er konnte drei murmelähnliche Monde erkennen. Dahinter befanden sich mehrere Sternnebel. Bigman hatte das Bedürfnis umherzugehen und wollte sehen, wie das Ganze aussah, wenn der Nachtschatten mitten hindurch schnitt, aber das Bild veränderte sich nicht, als er seine Position veränderte.
»Es handelt sich um ein Scheinbild«, hatte man ihm gesagt, »das Ganze ist nur Einbildung. Egal, wo Sie sich hinstellen, Sie werden immer das Gleiche sehen.«
Hier auf der Asteroidenoberfläche konnte Bigman den Saturn mit dem bloßen Auge erkennen. Er war nur ein weißer Punkt, aber heller als die anderen weißen Punkte, die Fixsterne darstellten. Von hier erschien er doppelt so hell wie von der Erde aus, aber schließlich war der Abstand von Ceres aus auch 300 Millionen Kilometer geringer. Die Erde lag auf der anderen Seite von Ceres in der Nähe der erbsengroßen Sonne. Mutter Erde bot keinen sehr eindrucksvollen Anblick, da die Sonne sie unweigerlich zwergenhaft erscheinen ließ.
Der Anruf flutete durch seinen auf Empfang gestellten Kopfhörer, und Bigmans Helm dröhnte, so laut kam der Ton durch.
»He, Winzling, mach' dich auf die Socken. Es kommt gerade ein Schiff an.«
Bigman schreckte auf, und mit zappelnden Gliedern hob es ihn in die Höhe. »Wen nennst du da Winzling?« schrie er zornig.
Der andere lachte nur. »Sag' mal, was berechnest du für Flugstunden, Däumling?«
»Ich geb' dir gleich Däumling«, fauchte Bigman aufgebracht. Er hatte den Scheitelpunkt seiner Flugbahn überschritten und kam nun zögernd und langsam wieder herunter. »Wie heißt du, Schlaumeier? Spuck den Namen aus, und ich schlag' dir die Nase ein, sobald ich aus dem Anzug bin.«
»Glaubst du, du kommst an meine Nase ran?« kam die spöttische Retourkutsche. Bigman wäre bestimmt in winzige Teile explodiert, hätte er nicht in diesem Augenblick das über den Horizont huschende Schiff erkannt.
In langen, unbeholfenen Sprüngen setzte er quer über die eingegebene Quadratmeile, die als Raumfahrthafen diente, dabei versuchte er genau abzuschätzen, wo das Schiff landen würde.
Mit zischenden Jets sank es wie eine Feder zur Oberfläche, und als sich die Schleuse öffnete und Luckys große Gestalt in dem Schutzanzug zum Vorschein kam, machte Bigman vor Freude einen langen Satz, und dann waren sie wieder zusammen.
Conway und Henree waren in ihrer Begrüßung weniger stürmisch, aber nicht weniger erfreut. Alle beiden schüttelten feste Luckys Hand, so, als ob sie durch einfache körperliche Berührung feststellen wollten, ob es mit Lucky in Lebensgröße auch seine Richtigkeit habe.
Lucky mußte lachen. »Aua, nun laßt es gut sein. Ich muß auch mal atmen. Was ist eigentlich los? Habt ihr denn nicht daran geglaubt, daß ich wiederkomme?« »Hör mal zu«, fing Conway an, »das nächste Mal ziehst du uns besser zu Rate, bevor du einfach aus so einer verrückten Laune heraus losziehst.«
»Na gut, aber nur, wenn es nicht zu verrückt ist, sonst laßt ihr mich ja doch nicht weg.«
»Das laß' mal unsere Sorge sein. Ich könnte dich dafür vom Weltraumdienst suspendieren. Ich könnte dich jetzt sofort unter Arrest stellen. Sogar aus dem Rat könnte ich dich schmeißen«, sagte Conway.
»Und was wirst du bei der großen Auswahl nun tun?«
»Nichts werde ich tun, du Riesendummkopf. Aber vielleicht schlage ich dir doch noch eines Tages den Schädel ein.«
Lucky wandte sich Augustus Henree zu. »Du wirst ihn doch davon abhalten, oder?«
»Ehrlich gesagt, ich werde ihm dabei helfen.«
»Dann muß ich wohl klein beigeben. Aber hier ist ein Herr, den ihr kennenlernen solltet.«
Bislang hatte Hansen sich im Hintergrund gehalten und sich augenscheinlich über den Austausch von unsinnigen Bemerkungen amüsiert. Die beiden älteren Ratsmitglieder hatten ihre Aufmerksamkeit so sehr auf Lucky konzentriert, daß sie den anderen überhaupt nicht bemerkten.
»Dr. Conway«, sagte Lucky, »Dr. Henree, dies hier ist Mr. Joseph P. Hansen, der Mann, dessen Schiff ich benutzt habe, um hierher zu gelangen. Seine Unterstützung war mir sehr wertvoll.«
Der alte Einsiedler schüttelte den beiden Wissenschaftlern die Hand.
»Ich nehme nicht an, daß Sie Dr. Conway und Dr. Henree schon einmal getroffen haben«, sagte Lucky, und der Einsiedler schüttelte den Kopf.
»Also«, fuhr er fort, »beide sind wichtige Leute im Wissenschaftsrat. Wenn Sie gegessen und sich etwas ausgeruht haben, werden sie sich mit Ihnen unterhalten und Ihnen auch behilflich sein, dessen bin ich sicher.«
*
Eine Stunde später saßen die beiden Ratsmitglieder mit ernsten Gesichtern Lucky gegenüber. Dr. Henree drückte den Tabak in seiner Pfeife mit dem kleinen Finger fest und begann, während er Luckys Bericht über seine Abenteuer mit den Piraten lauschte, mit ruhigen Zügen zu rauchen.
»Hast du das Bigman schon alles erzählt?« fragte er.
»Ich habe gerade eine Zeitlang mit ihm geredet«, räumte Lucky ein.
»Und er ist nicht über dich hergefallen, weil du ihn nicht mitgenommen hast?«
»Begeistert war er nicht«, gab Lucky zu.
Conway hingegen machte sich ernsthaftere Gedanken. »Ein Schiff, wie die Sirier es bauen, was?« sagte er gedankenverloren.
»Daran besteht nicht der geringste Zweifel«, antwortete Lucky. »Soviel wissen wir wenigstens.«