Wo bekommen sie also die Vorräte her, um eine große Organisation zu unterhalten, und gleichzeitig begehen sie trotzdem weniger Überfälle als ihre Vorgänger vor fünfundzwanzig Jahren? Und ein Mitglied der Piratenmannschaft, dieser Martin Maniu, hat mir etwas über Ehefrauen und Familien erzählt. Er habe mit Zuchtkesseln zu tun, sagte er. Wahrscheinlich baut er Hefe an. Hansen hatte auf seinem Asteroiden Hefenahrung, und die stammte nicht von der Venus, den Geschmack kenne ich.
Wir wollen doch mal eins und eins zusammenzählen: Sie bauen ihren Nahrungsbedarf auf kleinen, in Asteroidenhöhlen verteilten Hefefarmen an. Kohlendioxyd gewinnen sie direkt aus Kalksteinfelsen, Wasser und Sauerstoff holen sie sich von den Jupitermonden. Maschinen und Antriebsaggregate werden vielleicht vom Sirius importiert oder bei gelegentlichen Überfällen erbeutet. Durch die Überfälle kommen sie an neue Rekruten, Männer wie Frauen.
Es läuft darauf hinaus, daß der Sirius hier eine von uns unabhängige Staatsmacht aufbaut. Man bedient sich unzufriedener Menschen, um eine weitverzweigte Gesellschaft aufzubauen, die wir nur schwer oder überhaupt nicht überwältigen können, falls wir zu lange damit zögern. Die Anführer, die Captain Antons, sind vor allem auf Macht aus und wären es durchaus zufrieden, den Siriern eine Hälfte des terrestrischen Imperiums zu überlassen, solange sie nur die andere behalten könnten.«
Conway schüttelte zweifelnd den Kopf. »Für die wenigen Informationen, die wir haben, ist das ein verdammt großes Sittengemälde. Ob wir die Regierung davon überzeugen können, möchte ich stark bezweifeln. Der Wissenschaftsrat kann nur bis zu einem gewissen Punkt selbständig handeln, weißt du. Leider verfügen wir nicht über eine eigene Flotte.«
»Das ist mir bekannt. Und genau deswegen brauchen wir mehr Informationen. Was wäre, wenn wir, während das Spiel gerade erst begonnen hat, ihre Hauptbasen aufspüren, ihre Anführer gefangennehmen, ihre Verbindungen zum Sirius aufdecken.«
»Nun, was dann?«
»Also, ich bin der Überzeugung, daß die Organisation dann erledigt wäre. Ich bin überzeugt, daß der durchschnittliche >Mann von den Asteroiden<, um mal ihre eigene Bezeichnung zu verwenden, keinen Schimmer davon hat, daß er zu einer Siriusmarionette gemacht werden soll. Wahrscheinlich hat er nur etwas gegen die Erde. Vielleicht ist er davon überzeugt, daß er schlechte Karten hatte, vielleicht ist er sauer, weil er keinen Job oder nicht die entsprechende Beförderung bekommen hat, kurzum, er ist möglicherweise zu der Ansicht gelangt, daß er nicht so gut vorangekommen ist, wie er sollte. Möglicherweise ist er von dem, was er für ein aufregendes Leben gehalten hat, angezogen worden. Vielleicht kommt das alles zusammen. Und dennoch kann man daraus nicht schließen, daß so ein Mann bereit wäre, sich auf die Seite der ärgsten Feinde der Erde zu schlagen. Wenn er dahinterkommt, daß seine Anführer ihn genau dazu mißbrauchen, wird sich die Piratenbedrohung in Luft auflösen.«
Lucky unterbrach sein eindringliches Flüstern, als der Techniker näherkam. Der Mann hielt ein durchsichtiges Band in der Hand, auf dem der Computerschlüssel eingestanzt war.
»Hören Sie mal, sind Sie sicher, daß die Zahlen, die Sie mir gegeben haben, auch richtig sind?«
»Ganz sicher, warum?« erwiderte Lucky.
Der Techniker schüttelte den Kopf. »Etwas stimmt da nicht. Die Schlußkoordinaten befördern Ihren Brocken in die verbotene Zone, die richtige Flugbahn schon eingerechnet. Es ist unmöglich, verstehen Sie.«
Luckys Augenbrauen fuhren in die Höhe. Was die verbotene Zone anging, so hatte der Mann sicher recht. Dort befand sich bestimmt kein Asteroid. Diese Zonen stellten Teile des Asteroidengürtels dar, in den Asteroiden, falls es sie gegeben hätte, Sonnenumlaufzeiten hätten, die einem geraden Bruchteil von Jupiters zwölfjähriger Umlaufbahn entsprachen. Das hätte zur Folge, daß Jupiter und der betreffende Asteroid sich alle paar Jahre um den gleichen Bruchteil im All nähergekommen wären. Die Anziehungskraft des Jupiters würde den Asteroiden langsam aber sicher aus der Zone herausholen. Im Verlaufe der zwei Milliarden Jahre, die seit der Entstehung des Planeten vergangen waren, hatte Jupiter alle Asteroiden aus den verbotenen Zonen gezogen.
»Sind Sie sicher, daß Ihre Berechnungen stimmen?« wollte Lucky wissen.
Der Techniker zuckte die Achseln, als wolle er sagen: »Ich verstehe mein Handwerk.« Und meinte nur: »Wir können es mit dem Teleskop nachprüfen. Das Zweitausendfünfhunderter ist gerade besetzt, aber es eignet sich für Nahbetrachtungen sowieso nicht. Wir nehmen eins der kleineren. Würden Sie bitte mit kommen?«
Das eigentliche Observatorium war wie ein Heiligtum, in dem die Teleskope als Altäre fungierten. Männer waren in ihre Arbeit vertieft und unterbrachen ihre Tätigkeit auch nicht für einen Moment, als der Techniker und die drei Ratsmitglieder eintraten.
Der Techniker führte sie zu einem der Flügel, in die der riesige höhlenartige Raum unterteilt war.
»Charlie«, sagte er, an einen früh kahl werdenden jungen Mann gewandt, »kannst du mal eben Bertha anwerfen?«
»Wozu denn?« Charlie schaute von einer Reihe sternenübersäter Photos auf, über die er bisher gebeugt gewesen war.
»Ich will eine Stelle mit diesen Koordinaten hier überprüfen.« Er hielt das Computerband hoch.
Charlie betrachtete den Streifen flüchtig und runzelte die Stirn. »Wozu denn? Das liegt in den verbotenen Zonen.«
»Würdest du das Teleskop bitte trotzdem einmal darauf einstellen?« erkundigte sich der Techniker. »Es handelt sich um eine Angelegenheit des Wissenschaftsrats.«
»Ach? Ja, natürlich, sofort.« Plötzlich war er bedeutend zuvorkommender. »Es dauert nicht lange.«
Er legte einen Schalter um, und eine flexible Membran hoch oben wölbte sich nach innen und schloß sich saugend um »Berthas« Zylinder. Es handelte sich um ein DreihundertZentimeter-Teleskop, wie es für Nahbeobachtungen benutzt wurde. Die Membran bildete einen luftdichten Abschluß, und darüber konnte Lucky das sanfte Schnurren der sich öffnenden Außenschleuse vernehmen. Fest mit der Membran verbunden, zeigte Berthas großes Auge, nun mehr dem Firmament ausgesetzt, nach oben.
»In der Hauptsache«, erklärte Charlie, »verwenden wir Bertha für Fotografien. Für vernünftige direkte Beobachtungen dreht sich Ceres zu schnell. Wir haben Glück, der Punkt, für den Sie sich interessieren, befindet sich über der Kimm.«
Er nahm seinen Platz in der Nähe des Okulars ein, wobei er auf dem Teleskopschaft ritt, als handele es sich um den steifen Rüssel eines riesigen Elefanten. Das Teleskop stand in einem niedrigen. Winkel, den der junge Astronom nun beträchtlich erhöhte. Sorgfältig justierte er die Schärfeneinstellung.
Man sah nur schwarze Leere.
Er hievte sich aus seinem Hochsitz und kletterte die Sprossenleiter herab. Auf seinen Fingerdruck hin öffnete sich eine Trennwand direkt unterhalb des Teleskops, die den Blick auf eine schwarz gesäumte Grube freigab. Dorthinein konnte man eine Reihe von Spiegeln von Linsen richten, die das teleskopische Abbild scharfstellten und vergrößerten.
Man sah nur schwarzen Himmel.
»Das wär's«, sagte Charlie. Er benutzte eine Meßlatte als Zeigestock. »Der kleine Fleck da ist Metis, ein ziemlich großer Brocken. Der Durchmesser beträgt ungefähr 40 Kilometer, er ist aber Millionen von Kilometern entfernt. Hier können Sie einige Fleckchen sehen, die sich weniger als eine Million Kilometer von der Stelle entfernt befinden, an der Sie interessiert sind, aber sie liegen alle auf der gleichen Seite, jenseits der verbotenen Zonen. Die Sterne haben wir mittels Phasenpolarisation abgedeckt, sie würden sonst nur Verwirrung stiften.«