Lucky wartete.
Er hörte, wie sich die Schleuse öffnete und wieder schloß. Er vernahm das Hallen von Schritten und das Geräusch, wie Helme abgeschraubt wurden, dann Stimmen.
Er rührte sich nicht.
Im Türrahmen erschien eine Gestalt. Helm und Handschuhe fehlten, der Rest des Mannes steckte aber noch in dem eisverkrusteten Raumanzug. Raumanzüge hatten diese Angewohnheit, trat man von draußen, wo der beinahe absolute Nullpunkt herrschte, nach drinnen in die warme feuchte Luft eines Schiffes, begann das Eis zu schmelzen.
Erst als er zwei Schritte ins Innere des Kommandostandes getan hatte, bemerkte der Pirat Lucky. Er stand bewegungslos da, wobei seine Gesichtszüge zu einem fast komisch anmutenden Ausdruck von Überraschung einfroren. Lucky hatte ausreichend Zeit, das dünne schwarze Haar, die lange Nase und die bleiche weiße, vom Nasenflügel bis zu den wölfischen Zähnen verlaufende Narbe, die die Oberlippe in zwei ungleiche Hälften spaltete, zu registrieren.
Die erstaunte Musterung des Piraten ließ Lucky ruhig über sich ergehen. Er befürchtete keineswegs, erkannt zu werden. Angehörige des Rats im aktiven Dienst arbeiteten stets ohne öffentliches Aufsehen zu erregen. Im Hintergrund stand dabei die Überlegung, daß ein allzu bekanntes Gesicht die Verwendbarkeit des Betreffenden einschränken könne. Das Gesicht seines Vaters war erst nach seinem Tod über den SubÄther gegangen. Lucky dachte in einer flüchtigen Anwandlung von Bitterkeit, daß ein größeres Maß an Bekanntheit zu Lebzeiten vielleicht den Piratenangriff verhindert hätte. Aber das war Unsinn, soviel stand fest. Als die Piraten Lawrence Starr zu Gesicht bekommen hatten, war der Angriff zu weit fortgeschritten, als das er noch hätte gestoppt werden können.
»Ich habe einen Blaster«, sagte Lucky. »Ich werde nur schießen, wenn du nach deinem greifst. Keine Bewegung!«
Der Pirat hatte den Mund geöffnet. Er ließ ihn wieder zuklappen.
»Wenn du nach den anderen rufen willst, dann tu's nur«, sagte Lucky.
Der Pirat beäugte ihn mißtrauisch und schrie dann laut, wobei er Luckys Blaster fest im Auge behielt: »Beim flimmernden All, hier ist ein Kerl mit 'ner Kanone.«
Die Antwort war ein Lachen und eine Stimme rief: »Ruhig!«
Ein weiterer Mann betrat den Raum. »Geh' zur Seite, Dingo«, sagte er. Er hatte den Raumanzug ganz abgelegt und stellte mit seiner Erscheinung einen seltsamen Anblick an Bord eines Schiffes dar. Seine Kleidung hätte aus dem vornehmsten Geschäft in International City stammen können und besser auf eine Abendgesellschaft auf der Erde gepaßt. Sein Hemd hatte das seidige Aussehen, das man von bestem Plastex erwarten konnte. Der Schimmer war eher dezent als schreiend, und die fest an den Knöcheln anliegenden Breeches paßten farblich so gut dazu, daß man meinen konnte, es handele sich um einen Einteiler, wenn da nicht der verzierte Gürtel gewesen wäre. Er trug ein zum Gürtel passendes Armband und dazu ein flauschiges himmelblaues Halstuch. Sein kurzes braunes Haar war lockig und sah ganz so aus, als ob es ständig gepflegt würde.
Er war einen halben Kopf kleiner als Lucky, aber der Haltung konnte das junge Ratsmitglied entnehmen, daß jeder Schluß auf eine eventuelle Schwäche wegen geckenhafter Kleidung, fehl am Platze war.
Mit angenehmer Stimme sagte der Neuankömmling: »Ich heiße Anton. Würden Sie Ihre Waffe weglegen?«
»Und dann erschossen werden?« erwiderte Lucky.
»Vielleicht werden Sie schließlich und endlich erschossen, im Augenblick jedenfalls nicht. Ich möchte Ihnen vorher einige Fragen stellen.«
Luckys Haltung veränderte sich keinen Deut.
»Ich halte mein Wort«, sagte Anton. Auf seinen Wangen zeichnete sich ein Anflug von Röte ab. »Das ist meine einzige Tugend, so wie Menschen Tugend verstehen, aber ich halte daran fest.«
Lucky legte den Blaster hin, und Anton nahm ihn in die Hand. Er reichte die Waffe dem anderen Piraten.
»Tu' sie weg, Dingo, und dann verschwinde.« Er wandte sich Lucky zu. »Die anderen Passagiere sind mit den Rettungsbooten entkommen, stimmt's?«
»Das ist eine plumpe Falle, Anton«, bemerkte Lucky.
»Captain Anton bitte.« Er lächelte, aber seine Nasenflügel zitterten.
»Gut, es ist also eine Falle, Captain Anton. Es ist klar, daß Sie wußten, daß hier an Bord weder eine Besatzung noch Passagiere gewesen sind. Das wußten Sie, lange bevor Sie geentert haben.«
»Wußte ich das? Wie reimt sich das denn zusammen?«
»Sie haben sich dem Schiff ohne Funkkontakt oder einen Warnschuß genähert. Sie haben sich auch nicht besonders beeilt. Sie haben die Rettungsboote beim Ablegen nicht beachtet. Ihre Leute haben das Schiff sorglos betreten, ganz so, als ob sie keinerlei Widerstand erwarteten. Der Mann, der mich zuerst gesehen hat, kam hier mit dem Blaster im Halfter hereinspaziert. Die Schlußfolgerung liegt demnach nahe.«
»Sehr gut. Und was machen Sie an Bord eines Schiffes ohne Besatzung und Passagiere?«
»Ich habe Sie gesucht, Captain Anton«, erwiderte Lucky grimmig.
III.
DUELL MIT WORTEN
Antons Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, als er sagte: »Und jetzt haben Sie mich gefunden.«
»Aber bisher nicht unter vier Augen, Captain.« Luckys Lippen wurden betont schmaler und preßten sich aufeinander.
Anton schaute sich schnell um. Ungefähr ein Dutzend seiner Leute mit mehr oder weniger abgelegten Raumanzügen, drängten sich im Raum und starrten sie neugierig an.
Er errötete leicht, und seine Stimme gewann an Lautstärke. »Macht euch an die Arbeit, Gesindel. Ich will einen vollständigen Bericht über das Schiff. Und haltet die Waffen bereit. Vielleicht sind noch mehr Leute an Bord versteckt, und falls sich jemand so wie Dingo überraschen läßt, wird er aus der Schleuse geworfen.«
Von draußen drang ein langsames, scharrendes Geräusch herein.
Antons Stimme verwandelte sich in eine Sirene: »Schnell, schnell!« Eine schlangenartige Bewegung und schon hielt er einen Blaster in der Hand. »Ich zähle bis drei, dann knallt es! Eins... zwei...«
Sie waren verschwunden.
Er blickte wieder Lucky an. Seine Augen glitzerten, und er atmete schnell durch die verengten Nasenlöcher.
»Disziplin ist eine phantastische Sache«, schnaubte er. »Die müssen Angst vor mir haben. Sie müssen sich mehr vor mir als vor der Gefangennahme durch die terrestrische Flotte fürchten.
Dann ist ein Schiff ein Arm und ein Wille. Mein Arm ist mein Wille.«
Ja, dachte Lucky bei sich, ein Arm und ein Wille, aber wessen? Aber wirklich deiner?
Das jungenhafte freundliche und offene Lächeln war wieder auf Antons Gesicht zurückgekehrt. »Erzählen Sie mir jetzt, was Sie von mir wollen.«
Lucky deutete mit dem Daumen auf den immer noch schußbereiten Blaster in der Hand seines Gegenübers. Er lächelte genau wie dieser. »Beabsichtigen Sie zu schießen? Wenn ja, dann bringen Sie es hinter sich.«
Anton war beeindruckt. »Beim All! Sie sind ein eiskalter Junge. Ich schieße, wann es mir paßt. Ich halte das gern so. Wie heißen Sie?« Der Blaster blieb mit tödlicher Ruhe auf Lucky gerichtet.
»Williams, Captain.«
»Sie sind ein großer Bursche, Williams. Sie sehen kräftig aus. Aber trotzdem sitze ich hier und ein Daumendruck von mir und Sie sind ein toter Mann. Das halte ich für äußerst aufschlußreich. Zwei Mann und ein Blaster sind das ganze Geheimnis der Macht. Haben Sie sich je über Macht Gedanken gemacht, Williams?«
»Ab und zu.«
»Darin besteht der alleinige Sinn des Lebens, glauben Sie nicht auch?«
»Vielleicht!«
»Ich merke, daß Sie zur Sache kommen wollen. Also fangen wir an. Warum sind Sie hier?«