Nach zwei Jahren heldenmütigen Dienst kehrte Alik nach Rostow zurück und kam zu kluger und endgültiger Entscheidung nie mehr etwas mit der Armee zu tun. Er kam an der Uni zurück und wechselte von Physik zu Geografie – alles, nur nie wieder diese Mathe...
Als erwachsener und erfahrener Mann wurde Alik vom Dekanat der Fakultät zum Ältesten seiner Studentengruppe ernannt. Das brachte Alik zusätzliche Mühe – er sollte, z. B., die Anwesenheit der Studenten registrieren und an Dekanat melden. So was machte aber Alik nie und niemand verlangte das von ihm – in Sachen der Disziplin war Rostower Uni damals sehr liberal.
Dazu sollte Alik auch die gesamten Stipendien von Studenten der Gruppe in der Universitätskasse bekommen und dann das Geld zwischen den Studenten verteilen. In dieser Zeit bekam in Sowjetunion das Stipendium beliebiger Student, der die halbjährigen Prüfungen mit „guten“ oder „ausgezeichneten“ Noten bestand. Das Stipendium machte die ganze dreißig Rubel. Man sagte oft – zu wenig, um zu leben, zu viel, um zu sterben. Das alles traf aber Stipendium nicht – das war genau genug, um zu sterben. Um zu leben musste man entweder Hilfe von Eltern bekommen, oder selber nachts arbeiten.
Man könnte glauben, dass es stressig sein könnte, mit größer Summe mehrere Tage herumlaufen (wie gesagt, nicht alle Studenten waren mit Gedanken, dass ihre tägliche Anwesenheit an der Uni notwendig ist, einverstanden). Manchmal dauerte es zwei-drei Wochen, bis Alik von diesen Stipendien frei war. Dann kam er zur Idee, nach einigen Monaten seiner Beschäftigung als Älteste der Gruppe, dass wohl nicht alle Studenten das Geld so schnell wie möglich brauchen. Inzwischen könnte Alik das gut benutzen. So begann seine kurze Karriere als Finanzhai. Er arbeitete mit kurzfristigen Krediten. Alik lieh Geld auf niedrigen Zinsen und alle waren zufrieden. Der Profit war eher klein, reichte aber für Essen und Wein.
Man glaubt aufrichtig bis heute, dass Alkoholiker und Studenten in der Sowjetunion Wodka bevorzugten – ein schwerwiegender Fehler. Die beiden Gruppen tranken meistens billige süße Weine. Bis heute schwärmt die Seele von jedem nicht mehr jungen Alkoholiker, wenn er diese Namen der sowjetischen Weine: „Solnzedar“, Portewein „777“, „Plodowo-jagodnoe“ hört. Die waren billig und von schlechter Qualität, wirkten aber vielleicht effektiver als Wodka. Wie auch billig sie waren, konnte Alik sie sich nicht leisten.
Alik mag Gäste und dazu konnte er allein nicht lernen. Wenn es zu periodischen Prüfungen kam, versammelten sich in seiner Wohnung zehn-fünfzehn Studenten, um gemeinsam zu Prüfungen vorzubereiten. Einer von ihnen las Lehrbücher vor und andere hörten zu. Die Vorbereitungen dauerten vierzehn - achtzehn Stunden täglich und von Zeit zu Zeit wollten sogar Studenten essen. Weil sie bei Alik waren, musste er sie füttern. Alik war aber, wie die meisten sowjetischen Bürger, arm. Für solchen Nomaden konnte er nicht sorgen, deshalb aßen sie Brot und trunken Aliks Hauswein, der er selbst produzierte. Man brauchte nur drei Liter von Eingemachtem, etwas Hefe und Wasser dazu. Nach drei Tagen beinhaltete dieses Gesöff schon Alkohol.
Aber als Alik zum Finanzhai wurde, da konnte er seinen Gästen Nudel anbieten und dazu „Plodowo-jagodnoe“. Momentan wurde Alik zum populärsten Gastgeber der Fakultät. Viele Studenten, bekannten und unbekannten, kamen tags und nachts zu ihm und für alle gab es Nudel und „Plodowo-jagodnoe“. Alik war berühmt und genoss seinen Ruhm. Jetzt war es mit zwischenmenschlichen Beziehungen alles O.K., aber es blieb noch einen Traum, den Alik mit dem Geld realisieren könnte, nämlich – ein Auto.
In Wirklichkeit hielte er von Autos seit seiner Kindheit nicht besonders viel, wenn es nicht seinen Freund gäbe... Da war ein guter Freund. Er war noch älter, als Alik, schon verheiratet und hatte sogar ein Kind. Er beeinflusste Alik sehr positiv. Dieser Freund, Igor Drima, der hatte ein Hobby – er spielte Gitarre. Igor spielte Gitarre so gut, dass er eine Rock-Band organisierte, die bei Hochzeiten engagiert wurde. Alik wollte auch dazugehören. Als er noch jung war, versuchte seine Eltern ihm Klavierspielen beizubringen, vergeblich – versteht sich.
Doch die Zeiten wechseln sich. Von da an übte Alik Klavier acht Stunden pro Tag (entschuldige, Uni) und konnte ein halbes Jahr später mit dem Band zusammen spielen.
Igors Band brauchte nicht nur einen Keyboarder, sondern auch einen Sänger, der in englischer Sprache singen könnte. So begann Alik Englisch zu lernen. Er zog es vor, ein Autodidakt zu sein, weil sechs Jahre von Deutschlernen keine Spuren von dieser Sprache in seinem Gehirn hinterließen. Als ihm es einmal gelang, während seinen Armeedienst in der DDR, in einem Dorf spazieren zu gingen, verstand er von Deutschem nur eines – deutsche Sprache ist eine sehr schwere Sprache.
Also, wie gesagt, begann Alik Englisch zu lernen. Er besorgte in der Unibibliothek notwendige Lehrbücher. Zuerst wollte er ausländische Lehrbücher benutzen, aber ein Bekannter von ihm (Lehrer von Beruf) riet ihn davon ab. Er sagte, dass die sowjetischen Bücher die beste sind. Siehe mal – sagte er, man bemüht sich in Westen nicht so sehr, gute Lehrbücher zu schreiben. Es ergibt keinen Sinn, weil man Englisch im Radio hören kann, Fern sehen und, wenn es notwendig ist, kann man nach England fahren und dort lebendige Sprache hören. Doch in der UdSSR haben wir keine solchen Möglichkeiten. Deswegen machen wir unsere Lehrbücher so gut, wie es nur möglich ist. Einige Jahre später nahm Alik wegen bloßer Neugier einiger westlicher Lehrbücher und versuchte sie als Lehrmittel zu benutzen, doch das war total unmöglich. Dann verstand er, dass der alte Lehrer Recht hatte. Aber das passierte viele Jahre danach.
Kurz und gut lernte Alik diese Sprache und konnte dann einige Sätze in Englisch selbst generieren. Was aber alle als bewundernswert hielten, war folgendes: wenn Alik etwas mehr als seine gewöhnliche Norm von „Plodowo-jagodnoe“ trank, fühlte er plötzlich, dass er Englisch praktisch fließend sprechen konnte. Aber Hallo – wenn er noch mehr trank, dann sprach er ausschließlich Englisch. Selbstverständlich konnte niemand ihn verstehen, allenfalls war das nicht von Bedeutung. Studenten waren überzeugt, dass Alik der englischen Sprache mächtig war. Die Aussprache litt, was auch nicht so wichtig war. Außerdem versuchte er die immer wieder verbessern. Einer seiner Freunde sagte ihm, dass sehr hilfreich in Sachen von englischer Aussprache die Übungen mit einem Stück Fleisch im Mund wären. Sähe Alik damals Fleisch in Rostow, dann vielleicht probierte er diese Übung mit Fleisch, doch gerade Fleisch verkaufte man in der Region schon seit Jahren nicht mehr. So übte er stattdessen mit Brot. Das Letzte konnte ja im Mund nicht so lange festhalten, Brot bekam weiche Konsistenz und Alik wurde gezwungen diesen Brei zu schlucken. Er vertilgte während einer einzigen Übung den ganzen Brotlaib und seine schlanke Linie begann etwas kurvenreicher zu sein.
Alik fand inzwischen, dass seine Aussprache neuerdings hervorragend sei. Kaum gäbe es einen Dockarbeiter in Londoner Hafen, der im besoffenen Zustand so undeutlich sprächen könnte, wie Alik im nüchternen. Er und andere wiederum waren zufrieden. Alik wurde zum Sänger und Keyboarder der Band und klang mit englischen Liedern so überzeugend, dass er bald noch auf Italienisch und Deutsch singen wagte.
Also, dieser Freund, Igor Drima, lud mal Alik ein, Igors Familie in seiner Heimatstadt Mariupol zu besuchen. Alik gefiel die Stadt und die freundliche Familie. Wenn sie zuweilen nach Mariupol fuhren, träumte Igor, wie schön es wäre, ein eigenes Auto zu haben und damit zu fahren. Nach einer Zeit steckte Alik die Idee von eigenem Auto auch an. Um diese Idee ohne Wenn und Aber zu realisieren, musste man zwei Hindernisse bewältigen. Erstens, es gab überhaupt keine Autos im freien Handel. Zweitens, um ein Auto zu kaufen, braucht man Geld, dieses kapitalistische Rudiment. So blieb der Traum von einem Auto nur ein Traum.