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Heute kam er zur Arbeit besonders früh. Er sollte für Herrn Gouverneur etwas Fleisch für Schaschlik auswählen. Als ein erfahrener Metzger weiß Sischa, dass für einen ausgezeichneten Schaschlik nur vierhundert Gramm von einem Lamm genommen werden muss. Sischa hatte viel Arbeit vor sich, weil Herr Gouverneur sehr selten alleine aß. Sischa bearbeitete schon fünften Schlachttierkörper, als er einen Mann bemerkte, der sich ihm näherte. Der Mann sah irgendwie bekannt aus.

Sischa ist schon daran gewöhnt, dass jemand seine Arbeit ständig beobachtet, besonders wenn es um hohe Tiere geht. Er denkt, dass das irgendjemand von Gouverneurs Leuten kommt, um Fleisch zu holen. Es ist zwar seltsam, dass der Mann allein kommt – üblicherweise kommen sie mindestens zu dritt, aber was soll's. Der Mann höflich begrüßt Sischa. Sischa antwortet karg, er spricht mit kleinen Männern nicht besonders gern. Er macht seine Arbeit weiter und sieht aus den Augenwinkeln, dass der Mann seinen Metzgerbeil in die Hände nimmt. Sischa duldet es nicht, wenn jemand seine Ausrüstung berührt. Mit strenger Stimme befiehlt er dem Unbekannten das Metzgerbeil in Ruhe lassen. Der unbekannte Mann, der Sischa an jemanden erinnert, tut so, als ob er Sischa nicht hört. Er bewegt seine Hand mit dem Metzgerbeil unerwartet geschickt und graziös. Das irritiert und ärgert Sischa noch mehr.

Sischa ließ Lammkadaver liegen und kommt dem Mann entschieden entgegen. Ohne das zu merken, hielt er ein Metzgermesser in der Hand. Das beeindruckt den Mann nicht im Geringsten. Sie näherten sich zueinander und plötzlich fühlt Sischa, dass etwas nicht stimmt. Er hat eine Ahnung, dass er die Sache nur mit Worten nicht zu Ende bringen kann. Der Mann gehört gewiss nicht zum Gefolge des Gouverneurs. Sischa spürt Angst und gleichzeitig Wut. Er ist satt, Angst von jemandem, der stärker ist, als er, zu haben. Das war der Fall in seiner Kindheit und Jugend. Jetzt ist er selbst stark. Er fürchtet vor niemandem.

 Sischa verlangt vom Unbekannten, das Gelände des Basars unverzüglich zu verlassen. Der Mann hört auf ihn nicht und spielt mit dem Metzgerbeil. Sischa explodiert fast vor lauter Wut. Er kommt dem Mann noch näher und versucht seine Hand zu packen. Der Mann macht eine bedrohende Bewegung mit dem Metzgerbeil. Sischa springt zurück und dann wieder vorwärts. Jetzt ist er für alles bereit. Er hebt Metzgermesser und sticht den Unbekannten in der Hand. Der Letzte weicht aus und das Metzgermesser kratz ihn nur. Das genügt aber, um den Mann in die Rage zu bringen.

Sischa versucht ihn wieder zu stechen. Der Mann macht eine schnelle Bewegung und Sischa sieht seine rechte Hand mit dem Metzgermesser liegend auf dem Aufschnitttisch. Er fühlt keine Schmerzen. Sischa versucht das Metzgermesser mit der linken Hand zu heben. In diesen Moment hackt der Mann ihm diese Hand auch ab. Sischa versteht überhaupt nichts und sieht jetzt den Mann aufmerksam an. Er kennt ihn doch! Das ist dieser Schurke von Buchhaltungausbildungsgruppe! Er versucht etwas zu sagen, aber der Mann schlägt ihm auf dem Kopf. Das Licht schaltet sich für Sischa aus. Er ist tot. Mausetot.

In zwei Stunden findet man auf dem Aufschnitttisch zwei nebeneinander liegende Köpfe – einen vom Schwein und einen vom Sischa.

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Ich gehe wieder mit Google die rostower Straßen durch. Uliza wtoraja Barrikadnaja führt mich zum Rabotschaja Platz. Irgendwann wohnte ich hier. Ich sehe mich um. Früher, noch in sowjetischer Zeiten, war hier der beste Rosengarten von Rostow. Ein alter Gärtner arbeitete hier. Er liebte es, Rosen zu züchten. Obgleich war sein Lohn lächerlich, kaufte er oft die neuen Rosensorten auf eigenen Kosten. Der Gärtner sah scheußlich aus, er hasste Menschen und weigerte sich mit ihnen zu sprechen. Niemand mochte ihn, aber seine Rosen waren wunderschön. Im Sommer, in der Nacht, kam man nach Rabotschaja Platz und wurde von Duft überwältigt.

Der Gärtner ist seit langem tot. Niemand züchtet jetzt Rosen an diesem Platz. Ich sehe mich um. Alles ist irgendwie anders. Ich werde nie wieder mit Google durch die rostower Straßen spazieren gehen. Meine Stadt lebt nur in meiner Erinnerungen. Junge Leute wissen es nicht, dass, wenn man alt ist, Erinnerungen manchmal besser als Internet sind.

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Heute haben wir Poscharskije Koteletty. Sie wissen ja doch, dass auf Russisch Kotelett bedeutet eigentlich Frikadelle. Für Poscharskije Koteletts braucht man gehacktes Hühnerfleisch, das man mit in Milch aufweichendem weißem Brot mischt. Man vermengt die Zutaten und macht Frikadellen. In jeder Frikadelle steckt man ein Stückchen Butter. Man isst Poscharskije Koteletts gleich nach der Zubereitung. Es schmeckt göttlich und dazu passt ein sehr malzaromatisches, liebliches und süffiges Schwarzbier – Schwarzer Esel. Zu diesem Bier habe ich mit Alina keine Meinungsverschiedenheit.

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Valera Pawlowskij kommt langsam nach Hause. Er trägt zwei schwere Taschen. Er war in „Netto“ und wollte eigentlich nur Brot kaufen, aber schon wieder überwältigte ihn Kaufrausch. Jedes Mal, als er aus dem Laden nach Hause kommt, wundert er sich, wie er es nur schafft, das alles zu essen. Es ist Winter und der Bürgersteig ist mit glatter Eisschicht bedeckt. Valera nimmt die Abkürzung, die zu seinem Haus führt, ungeachtet des Schildes, wo steht geschrieben: Auf eigene Gefahr. Er denkt, dass er alles in seinem Leben auf eigene Gefahr machte. Er geht die Treppe runter. Die Stufen sind glitschig. Valera versucht Gleichgewicht zu halten, macht einige unsichere Schritte und fällt runter. Er verletzt linken Ellbogen und Knie. Fluchend und keuchend steht er wieder auf, macht noch einen Schritt und fällt wieder runter. Diesmal schlägt er mit dem Hinterkopf die Stufe. Ihm wird schwindlig und er verliert das Bewusstsein. Die alte Dame im Erdgeschoss sieht aufmerksam Valeras Tanz zu. Sie wartet noch lange fünf Minuten hoffend, dass Valera sich bewegt. Dann geht sie zum Telefon und meldet einen Unfall. Valera bekommt nichts davon. Er liegt bäuchlings auf der Treppe. Aus einer von ihm verlorenen Tüten tropft Sahne auf seinen linken Schuh.

Valera ist Physiker von Beruf. Er hatte aber große Schwierigkeiten, als er wählen musste, was er eigentlich wollte – ein Physiker oder ein Chemiker sein. Physik hat gewonnen, die war damals im Trend. Immer noch die Liebe zu Chemie blieb und Valera schrieb seine Diplomarbeit im Gebiet physischer Chemie. Sein Professor war mit der Arbeit sehr zufrieden und Valera bekam einen Platzt in Aspirantur. Genau drei Jahren später promovierte er und begann seine Karriere im wissenschaftlichen Institut für physische Chemie der Rostower Uni. Valera arbeitete mit Begeisterung, schrieb wissenschaftliche Artikel und nahm in verschiedenen wissenschaftlichen Konferenzen teil.

Einmal fand so eine Konferenz in Riga statt. Valera hielt seinen Vortrag und ging danach durch die Stadt spazieren. Er wollte den Dom besichtigen. Leider existierte damals kein GPS und Valera sollte sich bei Passanten nach dem Weg erkundigen. Er fragte die Menschen. Einige von guten Letten antworteten ihm überhaupt nicht, andere schickten ihn in verschiedenen Richtungen, aber nicht gen Dom. Valera lief schon drei Stunden und war ziemlich müde, als ihm ein russischsprachiges Mädchen aus Weißrussland begegnete, das den richtigen Weg kannte. Das Mädchen war schön und kontaktfreudig. Sie gefiel Valera so sehr, dass er auf seinen Dom-Plan verzichtete und lud gleich das Mädchen ein, in einem Restaurant zu essen.

Diese Planänderung überraschte Valera selbst. Eigentlich hatte er nichts gegen schwaches Geschlecht, aber Studium und Arbeit ließen ihm keine Zeit dafür und er war schon seit langem außer Übung. Doch das Mädchen namens Alena war mit seinem Vorschlag einverstanden und sie saßen sechs Stunden lang im Restaurant und sprachen und sprachen und konnten sich nicht satt zu reden. Es machte nichts aus, dass Alena als Erzieherin in einem Kindergarten arbeitete und nichts von Physik verstand, als auch dass sie viel junger war. Plötzlich fand Valera, dass es noch etwas anderes interessantes zum Thematisieren gab. Alena war vom Staat nach Riga geschickt und sollte als Junge Spezialistin zwei Jahre dort arbeiten. Ihr gefiel es in Lettland nicht. Sie erzählte, dass sie es nicht gewohnte, gehasst zu sein nur weil sie nicht eine Lettin war. In Minsk interessierte niemand für Nationalität der Menschen. In ihrem Kindergarten gab es kein lettisches Kind, da die Erzieherinnen dort Russisch sprachen. Für sie war es nicht neu, dass Valera den Weg zum Dom nicht ausfindig machen konnte. Sie war schon daran gewöhnt.