Löscha lässt sich nicht nur bei „reduziertem Vergleich“ bleiben. Er benutzt auch bestimmte Adverbien wie „klar“, „selbstverständlich“, „unbedingt“, „erstaunlich“, „deutlich“, „natürlich“ und so weiter. Dann klingt seine Rede ungefähr so:
- Verständlich ist das nicht die beste Entscheidung, und es ist auch erstaunlich, dass Sie den größten Fehler nicht sehen.
Jetzt versteht der Gesprächspartner auch nicht, wem es eigentlich verständlich ist und man fürchtet, dass man damit alle meint.
So geht es weiter und nun kommen „Modaloperatoren“ - man muss, man darf nicht, es ist notwendig, es ist unmöglich, man ist verpflichtet, es ist möglich, es ist obligatorisch u.s.w. Jetzt klingt Löschas Bemerkung so:
- Man darf nicht staunen, dass Sie den größten Fehler übersehen konnten und deshalb ist es ganz unmöglich, die beste Entscheidung zu treffen.
Es wird auch Nominalisierung – Bildung eines Substantivs aus einer anderen Wortart, vor allem aus Verben und Adjektiven – benutzt. So sagt Löscha:
- Das Gelächter des Aliks ruft bei mir den Reiz hervor.
Diese Substantivierung wechselt den Sinn des Satzes. Das Ereignis, das man beschreibt, sieht jetzt wie eine Begebenheit aus, die schon passiert ist und liegt außer Kontrolle der sprechenden Person (Ich kann dagegen nichts tun). Im Gegenteil, wenn man denselben Gedanken mithilfe des Verbs ausdrückt, dann spricht man von laufendem Geschehen, die man korrigieren kann.
Man benutzt auch Referenzindizes. Igor sagt:
- Menschen irritieren mich.
Das Wort „Menschen“ hat keinen Referenzindex. Im diesen Fall ist es total unklar, wen genau meint Igor. Oder Rafail klagt:
- Niemand achtet darauf, was ich sage.
Hier haben Wörter „niemand“ und „was“ auch keine Referenzindizes. Man kann nicht verstehen, wer ist dieser niemand und was spricht man dabei. Oder:
- So was kann jemandem irgendwann passieren.
Es ist klar, dass „so was“, „jemand“ und „irgendwann“ keine Referenzindizes besitzen.
Danach folgen Universalquantifikatoren. Das heißt: alle, jeder, überall, immer, niemand, nirgendwo, nie u.s.w. und Universalqualifikatoren – bloß, nur, sogar, einfach, ausschließlich..., die auch keine Referenzindizes haben. So Löscha zu Alik:
- Du sprichst bloß immer und überall so laut und niemand will sogar auf dich hören.
Man kann noch Beurteilungen benutzen: gut, schlecht, richtig, falsch, korrekt, dumm, ehrlich, idiotisch, schwach..., als auch Wörter, die Wiederholung zeigen: wieder, erneut, auch, nochmal... Dazu kommen negative und rhetorische Fragen:
- Alik, willst du uns nicht sagen, wie du wieder zu dieser blöden Entscheidung kam st ? Aber ehrlich, niemand interessiert sich dafür, wie man so dumm sein kann.
Man muss gestehen, dass es schon mal in russischer Geschichte ein großer Meister in Benutzung der NLP-Instrumente war und lange bevor R.Bandler und J.Grinder das Neuro-Linguistisches Programmieren erfanden. Der Name des Meisters war – Genosse Stalin. Er stand neben dem Tisch, wo seine Genossen von Politbüro saßen, rauchte seine Pfeife, die er mit Tabak aus Papirossen „Herzegowina Flor“ stopfte und sprach langsam (er sprach immer sehr langsam und bedeutungsvoll):
- Einige Genossen glauben, dass Genosse Stalin mal Unrecht haben könnte. Ich sage immer wieder – diejenigen, die bloß so denken können, genau die kein Recht haben. Es ist fehlerhaft so zu denken, dass Genosse Stalin nicht immer exakte Antworten weiß. Aber wen interessiert sich doch dafür, an dass, was solche Revisionisten denken? Was glauben Sie, Genosse Beria?
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Wir fahren nach Erfurt. Alina will unbedingt die Ausstellung von Natalja Gontscharowa besichtigen. Es ist schon interessant, dass wir diese Ausstellung nur in Deutschland besuchen können. Fast alle Bilder der Mitbegründerin von Lutschismus wurden gemäß der testamentarischen Verfügung der Pariser Nachlass an die Staatliche Tretjakow-Galerie in Moskau übergeben. Wer hat sie aber dort mal gesehen?
Gontscharowas Werken gefallen uns sehr. Sie konnte alles – von primitivistischem „Lubok“ bis Kubismus und Rayonismus. Doch man kann sie zu keiner Stilrichtung der Malerei einordnen. Sie war zu wild, zu außerordentlich, zu schöpferisch, um sich irgendwelchen Regeln unterzuordnen. Man kann das kaum glauben, dass das alles von einem Künstler gemalt wurde. Und vor allem – explodierende Farben. Ihre Werke kann man nie mit anderen verwechseln.
Gut gelaunt verlassen wir frisch renoviertes Angermuseum, das befindet sich in der Erfurter Waage. Wir laufen durch Altstadt über der pittoreske Krämerbrücke, die sehr schön ist, aber ich verstehe nicht, wie hier Menschen wohnen können. Die Brücke existiert schon seit alters. Die unternehmungslustigen Mönche hatten in Erfurt seit zwölftem Jahrhundert die Furt über den hiesigen Fluss Gera in seinem Besitzt. Sie kapierten sehr schnell, dass Unwetter, dass die Furt unpassierbar machte, minimierte ihren Profit und kamen zur Idee eine Brücke zu bauen. So erwarb der Handelsweg – Via Regia, der durch die Brücke lief, neue Lebendigkeit und Einnahmen für den Brückenübergang neue Maßstäbe. Diese Möglichkeit, so leicht zum Geld zu kommen, ließ die Krämer der edlen Stadt nicht in Ruhe. Zu guter Letzt wurden sie zu stolzen Brückenbesitzer. Seitdem nennt man die Brücke Krämerbrücke. Bürger von Erfurt ließen immer jeder Pfennig für sie arbeiten. Wenn man schon Gelder für die Brücke ausgab, warum denn soll man die nicht weiter benutzen? Kurz und gut bauten die klugen Krämer noch Häuser auf der Brücke. Sie wohnten und gleichzeitig verkauften dort ihre Waren. Das zählt sich bis heute als außerordentlich weise Entscheidung, weil es schon seit Ewigkeit keinen anderen Platz in Erfurt gibt, den so viele Leute besuchen.
Neben der Brücke befinden sich Ruinen der alten Synagoge. Die guten mittelalterlichen Bürger von Erfurt waren bekannt durch die Bezahlung an Mainzer Bischof fürs Verbot des Niederlassungsrechts für Juden in der Stadt. Wozu wäre solch 'ne Konkurrenz brauchbar? Ohnedies war da nicht zu viel Platz für alle...
Wir gehen neben wunderschönem Gildehaus bis zum Domplatz. Hier herrscht der Erfurter Dom mit seiner düsteren Bezauberung. Wir drehen uns nach links um. Wir wollen zu unserem liebsten Lokal „Bit am Dom“, wo man den besten geschmorten Thüringer Rostbrätel kosten kann. Wir essen gegrilltes im Schwarzbier mariniertes Fleisch, das in edlem Pilzrahm gezogen ist. Dazu passt genau wunderschönes Watzdorfer Schwarzbier mit einer betonten Karamellnote. Wir essen draußen und ich kann das Gefühl, dass wir beobachtet werden, einfach nicht loswerden.
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Igor Mechtar kommt nach der Arbeit nach Hause. Er lehrt als Privat-Dozent am pädagogischen Institut der Rostower Uni. Allerdings nicht als Philosoph, sondern als Psychologe. In den letzten Jahren entdeckte er für sich die Primärtherapie von Arthur Janov und wurde von Urschrei so begeistert, dass er Philosophie ganz vergaß. Leider teilen nur wenige Leute seine Vorliebe zu Janov. Deswegen wird Igor immer verspottet, indem man ihm allerhand Schnuller zum Tag der Sowjetarmee, der in Russland als Männertag gilt, schenkt. Obendrein ist es irgendwie beleidigend, der einzige zu sein, der keinen Doktortitel hat. Alle Kommilitonen und jüngere Kollegen sind schon seit langem Doktoren und wollen keineswegs der Gefälligkeit verpassen, ihn daran zu erinnern.