"Natürlich, mein lieber Linksling. Du denkst so, weil du noch nicht bereit bist."
Odeen dachte: Wie kann ich jemals bereit sein, wenn ich nie das Gefühl habe, es gebe nichts mehr zu lernen?
Aber er sprach den Gedanken nicht aus. Er war ganz sicher, daß die Zeit kommen und er die Sache dann begreifen würde.
Er sah an sich herab und hätte fast den unverzeihlichen Fehler begangen, ein Auge herauszuschieben - auch die erwachsensten Denklinge überkam von Zeit zu Zeit ein kindlicher Impuls. Natürlich hatte er das nicht nötig - er konnte alles wahrnehmen und das Auge dabei an Ort und Stelle lassen, und er fand sich befriedigend solide, angenehm fest, weich gerundet und anmutig ausgewölbt.
Sein Körper ließ das seltsam attraktive Leuchten Duas und die beruhigende Klobigkeit Tritts vermissen. Er liebte beide, doch er hätte um nichts auf der Welt mit ihnen getauscht. Weder Körper noch Geist. Natürlich würde er das niemals aussprechen, denn nichts lag ihm ferner, als ihre Gefühle zu verletzen, doch er war immer wieder dankbar, daß er nicht Tritts beschränkte oder - noch schlimmer - Duas abschweifende Auffassungsgabe hatte. Er vermutete, daß es den anderen nichts ausmachte, da sie es gar nicht anders kannten.
Wieder wurde ihm Dua in der Ferne bewußt, und gezielt unterdrückte er das Gefühl. Im Augenblick konnte er gut ohne sie auskommen. Nicht daß sein Verlangen nach ihr nachgelassen hätte, doch er hatte andere Interessen, die ihn immer mehr beanspruchten. Es war eine Folge des Reifeprozesses eines
Denklings, daß er immer mehr Befriedigung an der Nutzung eines Geistes fand, der nur für sich geübt werden konnte - und mit den Hartlingen.
Er gewöhnte sich mit der Zeit immer mehr an die Hartlinge, fand immer mehr Brücken zu ihnen. Er hielt das gefühlsmäßig für richtig, denn er war ein Denkling und die Hartlinge in gewisser Weise Super-Denklinge. (Er hatte diesen Gedanken einmal Losten gegenüber geäußert, dem freundlichsten und wie es Odeen scheinen wollte, auch jüngsten Hartling. Losten hatte Belustigung ausgestrahlt, hatte jedoch nichts gesagt. Und das hieß, daß er es auch nicht abgestritten hatte.)
Odeens ganz frühe Erinnerungen waren voller Hartlinge. Sein Eiterung konzentrierte sich mehr und mehr auf das letzte Kind den kleinen Gefühlsling. Das war natürlich. Auch Tritt würde das eines Tages tun, wenn das letzte Kind kam, falls überhaupt. (Diese letzte Einschränkung hatte Odeen von Tritt, der Dua damit ständig ermahnte.)
Aber gut. Da sein Eiterung so oft beschäftigt gewesen war, hatte Odeen um so früher mit seiner Schulung beginnen können. Er entwuchs seinen Kindereien und hatte bereits viel gelernt, als er Tritt kennenlernte.
Diese Begegnung würde er niemals vergessen. Sie hätte gestern sein können, so frisch war sie ihm noch im Gedächtnis. Er kannte natürlich Elterlinge seiner eigenen Generation; junge Rechtslinge, die vor dem Entstehen der Kinder, die schließlich echte Elterlinge aus ihnen machten, von der künftigen Schwerfälligkeit noch nichts erkennen ließen. Als Kind hatte er mit seinem eigenen Rechts-Bruder gespielt und war sich des intellektuellen Unterschieds zwischen ihnen kaum bewußt (obwohl er rückschauend erkannte, daß die Kluft schon damals vorhanden war).
Er wußte auch vage um die Rolle eines Elterlings in einer Triade. Bereits als Kind hatte er leise Gerüchte über das Verschmelzen gehört.
Als Tritt auftauchte, als Odeen ihn zum erstenmal zu sehen bekam, wurde alles anders. Zum erstenmal in seinem Leben verspürte Odeen eine innere Wärme, zum erstenmal hegte er die Vermutung, daß es da etwas Wünschenswertes gab, das mit Denken überhaupt nichts zu tun hatte. Noch heute erinnerte er sich an die Verlegenheit, die das heraufbeschworen hatte.
Natürlich war Tritt ganz und gar nicht verlegen. Elterlinge waren niemals verlegen, wenn es um die Aktivitäten der Triade ging, und Gefühlslinge waren fast niemals verlegen. Allein die Denklinge hatten dieses Problem.
"Zuviel Nachdenken", hatte ein Hartling bemerkt, als Odeen ihn darauf ansprach, und das war nicht sehr befriedigend gewesen. Inwiefern konnte Denken jemals "zuviel" sein?
Tritt war natürlich noch jung bei ihrer ersten Begegnung. Er war noch so kindlich, daß er seine Klobigkeit nicht im Griff hatte, und seine Reaktion auf die Begegnung war beschämend klar! Er wurde fast durchsichtig an der Außenseite.
"Ich glaube, ich kenne dich noch nicht, Rechtsling", sagte Odeen zögernd.
"Ich bin noch nie hiergewesen", erwiderte Tritt. "Man hat mich hergebracht."
Beide wußten genau, was da passiert war. Das Zusammentreffen war von jemandem arrangiert worden (von einem Eiterung, hatte Odeen damals angenommen, erfuhr jedoch später, daß es ein Hartling gewesen war), der gedacht hatte, sie könnten zueinander passen. Der Gedanke erwies sich als richtig.
Natürlich bestand keinerlei intellektuelle Übereinstimmung zwischen den beiden. Wie hätte das auch möglich sein können, da Odeen mit einer Intensität nach Wissen strebte, die alles andere außer der Existenz der Triade überschattete, während Tritt jede Vorstellung von Lernen überhaupt abging? Was Tritt wissen mußte, wußte er auch ohne Studium.
In seiner Erregung über die Erforschung der Geheimnisse der Erde und ihrer Sonne, der Geschichte und der Vorgänge des Lebens, des ganzen Wieso und Warum des Universums konnte Odeen (in jenen ersten Tagen ihres Zusammenseins) manchmal nicht an sich halten und sprudelte über.
Tritt lauschte ruhig, offensichtlich ohne etwas zu verstehen, doch zufrieden mit seiner Rolle als Zuhörer; während Odeen, ohne Wissen zu vermitteln, mit seiner Rolle als Vortragender gleichermaßen zufrieden war.
Es war schließlich Tritt, der - von seinen besonderen Trieben angeregt - die Initiative ergriff. Odeen plauderte gerade über seine Erkenntnisse bei dem kurzen Mittagsmahl. (Die dickere Substanz von Odeen und Tritt absorbierte die Nahrung so schnell, daß sie ein kurzer Spaziergang in der Sonne schon zufriedenstellte, während sich Gefühlslinge stundenlang aalten und verdünnten, als wollten sie die Mahlzeit absichtlich in die Länge ziehen.)
Odeen, der die Gefühlslinge ignoriert hatte, war mit seiner Rolle als Redner vollauf zufrieden. Tritt, der diese Wesen Tag für Tag wortlos anstarrte, war sichtlich unruhig.
Abrupt näherte er sich Odeen und formte so hastig einen Ausläufer, daß dieser unangenehm gegen den Form-Sinn des anderen stieß. Er legte ihn auf eine Stelle an Odeens oberer Rundung, wo ein leichter Schimmer zum Nachtisch einen willkommenen Zug warmer Luft hereinließ. Tritts Ausläufer verdünnte sich sichtlich angestrengt und sank unter Odeens Haut, ehe dieser, auf das höchste verlegen, zurückwich.
Als Baby hatte Odeen so etwas getan, doch seither nicht mehr. "Laß das, Tritt!" sagte er scharf.
Tritts Ausläufer blieb ausgestreckt hängen und fuchtelte ein wenig in der Luft herum. "Ich will es aber."
Odeen hielt sich möglichst dicht und versuchte seine Oberfläche so Zu verhärten, daß ein Eindringen unmöglich war. "Ich will es nicht."
"Warum nicht?" fragte Tritt hastig. "Es ist nichts Falsches."
Odeen sagte, was ihm gerade in den Sinn kam. "Es hat weh getan." (Das war nicht ganz wahr. Es war kein körperlicher Schmerz gewesen. Aber die Hartlinge gingen einer Berührung mit den Weichwesen stets aus dem Wege. Eine unbeabsichtigte Durchdringung war schmerzhaft für sie, aber sie waren auch anders gebaut als die Weichwesen, völlig anders.)
Tritt ließ sich nicht beirren. In dieser Beziehung konnte sein Instinkt unmöglich fehlgehen. "Es hat nicht weh getan", bemerkte er.
"Na ja, so ist es jedenfalls nicht gut. Wir brauchen einen Gefühlsling."
Und Tritt konnte nur beharrlich sagen: "Ich will es jedenfalls."
Es mußte einfach geschehen; es konnte gar nicht anders kommen, daß Odeen schließlich nachgab. Er tat es immer wieder; das war etwas, das auch dem schüchternsten Denkling passieren mußte. Wie das alte Sprichwort sagte: Man gab es entweder zu oder log.