Nur jenes eine mal hatte sie die künstliche Nahrung gesehen; eine schimmernde Lichtkugel, wie eine winzige Sonne, in einer von den Hartlingen ausgesuchten Höhle. Und sie verspürte noch immer einen bitteren Nachgeschmack.
Wollte man die Speise verbessern? Wollte man ihr einen besseren Geschmack geben, so daß sie womöglich eine Köstlichkeit war? Und würde sie sich dann damit vollschlagen müssen, bis das Völlegefühl ein fast unkontrollierbares Verlangen nach dem Verschmelzen auslöste?
Sie fürchtete diesen Fortpflanzungstrieb. Anders war es, wenn das Verlangen aus der hektischen Stimulierung durch Linksling und Rechtsling erwuchs. Nur der Fortpflanzungstrieb bedeutete, daß sie reif war, einen Baby-Mittling in Gang zu bringen. Und - und das wollte sie nicht!
Es dauerte lange, bis sie sich diese Tatsache eingestand. Sie wollte keinen Gefühlsling hervorbringen. Denn nach der Geburt der drei Kinder rückte unweigerlich die Zeit des Weiterziehens heran, und das wollte sie nicht. Sie erinnerte sich an den Tag, da ihr Eiterung sie für immer verlassen hatte, und so sollte es auf keinen Fall für sie werden. In diesem Punkt erfüllte sie wilde Entschlossenheit.
Den anderen Gefühlslingen war es egal, weil sie zu unausge-füllt waren, um darüber nachzudenken, doch sie war anders. Sie war die komische Dua, der LinksG, wie die anderen sie gerufen hatten, und sie wollte nun auch anders sein. Solange sie das dritte Kind nicht hatte, zog sie nicht weiter; ihr Leben nahm seinen Fortgang.
Sie wollte also dieses dritte Kind niemals haben. Niemals. Niemals!
Aber wie sollte sie es abwehren? Und wie konnte sie das vor Odeen geheimhalten? Wenn Odeen nun etwas merkte...?
Odeen wartete darauf, daß Tritt etwas unternahm. Er war ziemlich sicher, daß Tritt nicht zu Dua an die Oberfläche steigen würde. Das hätte bedeutet, daß er die Kinder allein lassen mußte, und so etwas fiel Tritt immer sehr schwer. Tritt wartete eine Weile ganz ruhig, und als er dann ging, wandte er sich zur Kinderhöhle.
Odeen war fast froh, als Tritt endlich verschwand. Natürlich nicht aus ganzem Herzen, denn Tritt war wütend und schweigsam gewesen, so daß der direkte Kontakt geschwächt war und sich eine Mauer des Mißvergnügens zwischen ihnen aufgerichtet hatte, was Odeen doch traurig stimmte. Es war, als verlangsamte sich das Leben.
Manchmal fragte er sich, ob Tritt das gleiche fühlte... Nein, das war unfair. Tritt hatte seine besondere Beziehung zu den Kindern.
Und was Dua anging - wer wußte schon zu sagen, was Dua fühlte? Wer wußte das überhaupt bei den Gefühlslingen zu sagen? Sie waren so andersartig, daß durch sie Links und Rechts nur mit Mühe zu unterscheiden waren. Aber auch wenn man ihre außergewöhnliche Art hinnahm: bei Dua - ganz besonders bei Dua kannte man sich nicht mehr aus.
Deshalb war Odeen auch fast froh, als Tritt verschwand, denn das Problem war einzig und allein Dua. Die Verzögerung bei der Zeugung des dritten Kindes war wirklich langsam unheimlich, und Dua wurde auch nicht zugänglicher, eher das Gegenteil. Auch Odeen verspürte jetzt eine Unruhe, die ihn immer mehr plagte, die er nicht zu bestimmen wußte - und das war etwas, das er mit Losten besprechen mußte.
Er machte sich auf den Weg in die Hartling-Höhlen, wobei er seine Bewegung zu einem beständigen Fließen werden ließ, das nicht annähernd so würdelos war wie die seltsam erregende Mischung aus Schwanken und Hasten, die das Dahinschlängeln eines Gefühlslings kennzeichnete, und auch nicht so lustig wie die schwerfällige Gewichtsverlagerung eines Elterlings.
(In seinem Geiste bewahrte er ein deutliches Bild Tritts, wie er hinter dem Baby-Denkling hertrottete, der in seinem Alter natürlich fast ebenso schlüpfrig war wie ein Gefühlsling, und er sah auch Dua, die dem Baby den Weg abschnitt und es zurückbrachte, und dann wieder Tritt, der unentschlossen war, ob er das kleine Bündel Leben nun durchschütteln oder mit seiner Substanz umschließen sollte. Schon gleich nach der Geburt hatte sich Tritt für die Babies besser verdünnen können als für Odeen, und als ihn Odeen deswegen aufzog, erwiderte er ernsthaft - denn natürlich konnte er solche Dinge nicht mit Humor behandeln: "Ah, aber die Kinder brauchen es mehr.")
Odeen war stolz auf sein Dahinfließen und hielt es für anmutig und eindrucksvoll. Er hatte einmal mit Losten darüber gesprochen, seinem Lehrer-Hartling, dem er alles gestand, und Losten hatte erwidert: "Aber meinst du nicht, ein Gefühlsling oder Eiterung denkt über seinen Gang genauso? Wenn jeder von euch anders denkt und handelt, sollten euch dann nicht auch unterschiedliche Dinge ansprechen? Eine Triade schließt Individualität nicht aus, weißt du."
Odeen war nicht sicher, daß er diese Individualität richtig begriff. Hatte sie etwas mit Alleinsein zu tun? Die Hartlinge waren allein, natürlich. Sie kannten keine Triaden. Wie konnten sie das nur aushaken?
Odeen war damals noch sehr jung. Sein Kontakt zu den Hartlingen war noch frisch, und es kam ihm plötzlich der Gedanke, daß er ja gar nicht sicher sein konnte, daß die Hartlinge nicht doch Triaden bildeten. Daß es nicht so war, wurde zwar allgemein vermutet, aber stimmte dieses Gerücht? Odeen dachte darüber nach und kam zu dem Schluß, daß er sich erkundigen mußte und die Dinge nicht einfach guten Glaubens hinnehmen durfte.
Und er hatte Losten gefragt: "Bist du ein Linksling oder ein Rechtsling, Herr?" (Bei der Erinnerung an diese Frage mußte Odeen später immer pulsieren. Wie unglaublich naiv war er gewesen! Dabei war es nur ein geringer Trost, daß fast jeder Denkling irgendwann einmal so fragte.)
"Weder noch, kleiner Linksling", erwiderte Losten ganz ruhig. "Es gibt keine Linkslinge oder Rechtslinge bei uns."
"Oder Mittli - Gefühlslinge?"
"Oder Mittlinge?" Und der Hartling veränderte die Anordnung seiner Sinnesorgane auf eine Weise, die Odeen mit der Zeit als ein Zeichen von Belustigung oder Freude erkannte. "Nein. Auch keine Mittlinge. Nur eine einzige Art Hartlinge."
Odeen mußte die Frage stellen. Sie entschlüpfte ihm gegen seinen Willen: "Aber, wie hältst du das aus?"
"Das ist alles anders bei uns, kleiner Linksling. Wir sind daran gewöhnt."
Konnte sich Odeen an so etwas gewöhnen? Da war die elterliche Triade, die sein Leben bisher erfüllt hatte, und da war das Wissen, daß er in nicht allzu ferner Zeit eine eigene Triade bilden würde. Was war das Leben ohne Triade? Er dachte von Zeit zu Zeit eingehend darüber nach. Er bedachte überhaupt alles eingehend, was ihm irgendwie auffiel, und manchmal erhaschte er einen Schimmer der möglichen Bedeutung. Er überlegte, daß die Hartlinge nur sich selbst hatten, daß sie keinen Links oder Rechts-Bruder und auch keine Mitt-Schwester kannten, ebensowenig wie das Verschmelzen oder Kinder oder Elterlinge. Sie hatten nur ihren Geist, nur ihre Wissenschaft vom Universum. Vielleicht genügte ihnen das? Mit zunehmendem Alter begriff Odeen etwas von den Freuden des Forschens. Sie genügten auch ihm fast - fast , dann mußte er wieder an Tritt und Dua denken, und kam zu dem Schluß, daß ihm ohne sie nicht einmal das gesamte Universum genügt hätte.
Es sei denn... Seltsam - hin und wieder hatte er den Eindruck, als könnte sich eine Zeit, eine Situation ergeben, da ... Doch schnell ging diese momentane Einsicht wieder verloren, oder diese Einsicht einer Einsicht, und er kam nicht weiter. Nach einer Weile kam sie allerdings wieder, und in letzter Zeit glaubte er sie auch stärker zu spüren, so daß sie sich fast halten ließ.
Aber das alles war jetzt nicht wichtig. Er mußte sich um Dua kümmern. Er folgte dem altbekannten Weg - einem Weg, den er mit seinem Eiterung zum erstenmal beschriften hatte (so wie Tritt bald seinen jungen Denkling, sein Baby-Links hier entlangführen würde).
Und natürlich überkamen ihn sofort wieder die Erinnerungen.