"Weil die Energie nachläßt. Die Sonne kühlt ab. Mit jedem Zyklus wird es schwieriger, Kinder zu gebären und überhaupt zu leben."
(Ließ sich daraus etwa schließen, daß die Hartlinge auch Kinder zur Welt brachten? Und hieß das, daß auch die Hartlin-ge ihre Nahrung von der Sonne bezogen und nicht aus den Felsen? Odeen überging den Gedanken für den Augenblick.)
"Geht das noch weiter?" fragte Odeen.
"Die Sonne schrumpft immer weiter zusammen, Odeen, und wird eines Tages keine Nahrung mehr abgeben."
"Heißt das, daß wir alle - Hartlinge und Weichwesen - weiterziehen?"
"Was sonst?"
"Wir können nicht alle weiterziehen. Wenn wir Energie brauchen und die Sonne abstirbt, müssen wir andere Energiequellen finden. Andere Sterne."
"Aber, Odeen, alle Sterne kühlen ab. Das Universum geht dem Ende entgegen."
"Wenn die Sterne ihrem Ende entgegengehen, gibt es denn nicht woanders neue Nahrung? Keine andere Energiequelle?"
"Nein, die Energiequellen überall im Universum werden versiegen."
Odeen dachte nach und sagte schließlich: "Also andere Uni-versen. Wir können doch nicht einfach aufgeben, nur weil das Universum am Ende ist." Er zitterte heftig bei diesen Worten. Mit unverzeihlicher Kühnheit hatte er sich über alle Schranken der Höflichkeit hinweggesetzt und war durchscheinend zu einer Größe angeschwollen, die den Hartling deutlich überragte.
Doch Losten ging nicht darauf ein, ließ nur äußerste Freude erkennen. "Wunderbar, mein lieber Linksling. Das müssen die anderen hören!"
Daraufhin war Odeen sofort wieder zu seiner normalen Größe zusammengeschrumpft, verlegen und erfreut zugleich, daß er plötzlich als mein lieber Linksling bezeichnet wurde - eine Anrede, die er noch von niemandem gehört hatte, außer natürlich Tritt.
Kurz darauf hatte Losten ihnen Dua gebracht. Beiläufig hatte Odeen überlegt, ob da vielleicht ein Zusammenhang bestand, doch nach einer Weile gab er das Grübeln auf. Tritt hatte so oft wiederholt, daß Duas Kommen nur seinem Vorsprechen zu verdanken war, daß Odeen nicht weiter darüber nachdachte.
Doch jetzt wandte er sich wieder einmal an Losten. Eine lange Zeit war seit jenen Tagen vergangen, da er zum erstenmal erfuhr, daß das Leben des Universums seinem Ende zuging und daß (wie es sich herausstellte) die Hartlinge entschlossen nach einer Möglichkeit des Überlebens suchten. Er selbst hatte sich seither auf manchen Gebieten umgetan, und Losten selbst gab zu, daß er in der Physik seinem Schüler nicht mehr viel beibringen konnte. Und da es andere junge Denklinge gab, um die er sich kümmern mußte, traf er sich mit Odeen nicht mehr so oft wie früher.
Odeen fand Losten mit zwei halbwüchsigen Denklingen in der Strahlungskammer. Losten sah ihn sofort durch das Glas und kam heraus, wobei er die Tür fest hinter sich schloß.
"Mein lieber Linksling", sagte er und streckte dem anderen in einer Geste der Freundschaft die Ausläufer entgegen (so daß
Odeen wie früher den perversen Wunsch verspürte, sie zu berühren; doch er hielt sich zurück). "Wie geht es dir?"
"Ich wollte dich nicht stören, Losten-Herr."
"Stören? Die beiden kommen eine Weile auch allein zurecht. Sie sind wahrscheinlich froh, daß ich mal verschwinde. Ich bin sicher, daß ich sie mit meinem vielen Gerede sehr ermüde."
"Unsinn. Du hast mich immer fasziniert, und ich bin sicher, daß du sie auch fesselst."
"Na, na. Es ist sehr nett, daß du das sagst. Ich sehe dich regelmäßig in der Bibliothek und höre von anderen, daß du in deinen fortgeschrittenen Kursen gut weiterkommst, und in solchen Momenten fehlt mir mein bester Student doch irgendwie. Wie geht es Tritt? Ist er auf seine Weise noch immer so stur?"
"Er wird von Tag zu Tag sturer. Er gibt der Triade neue Kraft."
"Und Dua?"
"Dua? Ich bin gekommen... Sie ist sehr ungewöhnlich."
Losten nickte. "Ja, ich weiß." Er trug einen Ausdruck zur Schau, den Odeen als Melancholie zu identifizieren wußte.
Odeen wartete einen Augenblick und beschloß dann, direkt zur Sache zu kommen. "Losten-Herr", fragte er, "ist sie uns gebracht worden, Tritt und mir, weil sie ungewöhnlich ist?" "Würde dich das überraschen? Du selbst bist sehr ungewöhnlich, und du hast mir mehrmals gesagt, daß das auch bei Tritt der Fall ist."
"Ja", sagte Odeen aus tiefstem Herzen. "Das ist er."
"Sollte dann eure Triade nicht auch einen ungewöhnlichen Gefühlsling haben?"
"Es gibt viele Möglichkeiten, ungewöhnlich zu sein", meinte Odeen nachdenklich. "In gewisser Weise machen Duas seltsame Angewohnheiten Tritt zu schaffen und bereiten mir Sorge. Dürfte ich dich um einen Rat bitten?"
"Natürlich."
"Sie hat nichts übrig für - für das Verschmelzen."
Losten hörte ihm ernsthaft und allem Anschein nach ohne Verlegenheit zu.
Odeen fuhr fort: "Das Verschmelzen gefällt ihr durchaus, wenn es dazu kommt, aber es ist nicht immer leicht, sie soweit zu bringen."
"Wie steht Tritt zum Verschmelzen?" fragte Losten. "Ich meine, abgesehen von der Lust des Augenblicks? Was bringt es ihm darüber hinaus?"
"Die Kinder natürlich", antwortete Odeen. "Ich mag sie, und auch Dua mag sie, aber Tritt ist der Eiterung. Verstehst du?" (Es wollte ihm plötzlich scheinen, als könnte Losten die Feinheiten einer Triade unmöglich begreifen.)
"Ich versuche zu verstehen. Es scheint also, daß Tritt mehr von dem Verschmelzen hat als nur die Lust. Und wie steht es mit dir? Was hast du davon?"
Odeen überlegte. "Ich glaube, du weißt das. Eine Art geistige Anregung."
"Ja, ich weiß, aber ich wollte sicher sein, daß du es verstehst. Ich wollte sichergehen, daß du es nicht vergessen hast. Du hast mir oft gesagt, daß dir nach einer Periode des Verschmelzens, die immer einen seltsamen Zeitverlust bringt - und ich muß zugeben, ich habe dich oft sehr lange nicht gesehen , plötzlich viele Dinge verständlich waren, die du vorher nicht begreifen konntest."
"Es war, als ob mein Gehirn in der Zwischenzeit aktiv geblieben wäre", sagte Odeen. "Es war, als gäbe es da eine Zeit, die, obwohl ich ihr Verstreichen nicht bemerkte und ich mir meiner Existenz überhaupt nicht bewußt war, irgendwie lebensnotwendig für mich war; eine Zeit, in der ich klarer und intensiver denken konnte, weil mich die weniger intellektuelle Seite des Lebens nicht ablenken konnte."
"Ja, und jedesmal hast du in deinem Weltverständnis einen gewaltigen Sprung vorwärts gemacht. Das ist durchaus üblich bei euch Denklingen, obwohl ich zugeben muß, daß du der einzige warst, der seine Fortschritte mit solcher Geschwindigkeit machte. Ich bin ehrlich der Meinung, daß dir kein Denkling das Wasser reichen kann."
"Wirklich?" fragte Odeen und versuchte nicht ungebührlich erfreut zu erscheinen.
"Andererseits irre ich mich vielleicht " Losten amüsierte sich über den plötzlichen Lichtverlust des anderen , "aber das ist unwichtig. Es geht darum, daß du und Tritt noch etwas aus dem Verschmelzen gewinnt."
"Ja. Ganz gewiß."
"Aber was hat Dua davon?"
Es folgte eine lange Pause. "Ich weiß es nicht", antwortete Odeen.
"Hast du sie jemals gefragt?"
"Nein."
"Wenn sie also", sagte Losten, "aus einem Verschmelzen nur das Lustgefühl mit nach Hause nimmt, und wenn du und Tritt noch etwas Zusätzliches habt - warum sollte sie es dann so gern haben wie ihr?"
"Andere Gefühlslinge brauchen offenbar nicht. .." begann Odeen abwehrend.
"Andere Gefühlslinge sind auch nicht wie Dua. Du hast mir das oft genug selbst gesagt und sogar, wie ich glaube, mit Befriedigung."
Odeen schämte sich. "Ich hatte angenommen, es wäre vielleicht etwas anderes." "Und was sollte das sein?"
"Es ist schwer zu erklären. Wir kennen einander in der Triade, wir erspüren einander; in mancher Beziehung sind wir die Teile eines einzigen Individuums - eines nebelhaften Individuums, das daherkommt und wieder geht. Die meiste Zeit ist dieses Wesen nicht bei Bewußtsein. Wenn wir zu konzentriert darüber nachdenken, verlieren wir es aus dem Griff, so daß es keinerlei Klarheit gewinnt. Wir..." Odeen verhedderte sich hoffnungslos. "Es ist sehr schwierig, einem Außenstehenden die Triade zu erklären..."