Er sprach mit Diderick van Klemens, und van Klemens hielt das Gespräch bruchstückhaft in einer sehr persönlichen Kurzschrift fest. Als Eamont diese Notizen endlich auftrieb, war van Klemens längst tot, und obwohl sie Lamont überzeugten, mußte er zugeben, daß sie ohne weitere Erhärtung keine sehr glaubhafte Geschichte ergaben. Überdies konnte er nicht beweisen, daß Hallam die Bemerkung mitgehört hatte. Lamont hätte bereitwillig ein Vermögen darauf gewettet, daß sich Hal-lam in Hörweite befand, doch diese Bereitwilligkeit ersetzte noch keinen Beweis.
Und einmal angenommen, Lamont konnte den Beweis antreten. Das mochte zwar Hallam in seinem unmäßigen Stolz verletzen, doch seine Position war damit nicht zu erschüttern. Man würde behaupten, McFarland habe seine Bemerkung eben nur als Phantasiegebilde aufgefaßt und es sei erst Hallam gewesen, der mehr darin sah. Es sei Hallam gewesen, der es fertigbrachte, sich vor die Gruppe hinzustellen, es offen auszusprechen und den Spott zu riskieren, der sich einzig und allein gegen ihn gerichtet hätte. McFarland selbst wäre es bestimmt nicht eingefallen, seine "kleine Phantasterei" zu Protokoll zu geben.
Lamont hätte darauf erwidern können, daß McFarland ein bekannter Atomphysiker war, der einen Ruf zu verlieren hatte, während sich Hallam als junger Strahlungschemiker auf dem Gebiet der Atomphysik beliebig äußern konnte und als Außenseiter Verständnis finden würde.
Wie dem auch sei - der offiziellen Niederschrift zufolge sagte Hallam:
"Meine Herren, wir kommen einfach nicht weiter. Ich möchte daher einen Vorschlag machen, nicht weil er notwendigerweise einen Sinn ergibt, sondern weil er meines Erachtens weniger unsinnig ist als alles hier bisher Gesagte... Wir sehen uns mit einer Substanz konfrontiert, Plutonium-186, die eigentlich überhaupt nicht existieren dürfte - geschweige denn als auch nur vorübergehend stabile Substanz , wenn die Naturgesetze überhaupt etwas bedeuten sollen. Daraus folgt also: Da sie unzweifelhaft existiert und zu Anfang auch als stabile Substanz existiert, muß sie, zumindest im Anfang, auch an einem Ort oder in einer Zeit oder unter Bedingungen existiert haben, wo die Naturgesetze nicht die gleichen sind wie in unserem Universum. Kurz gesagt, die Substanz, die wir hier untersuchen, stammt nicht aus unserem Universum, sondern aus einem anderen, einem alternativen Universum, einem Paralleluniversum. Nennen Sie es, wie Sie wollen.
Als die Substanz dann hier auftauchte - und ich will nicht behaupten, ich wüßte, wie der Übertritt vor sich gegangen ist , war sie noch stabil, und ich möchte meinen, das lag daran, daß sie die Gesetze ihres Heimatuniversums mit sich brachte. Daß sie langsam radioaktiv wurde und ihre Radioaktivität dann immer mehr zunahm, bedeutet möglicherweise, daß die Gesetze unseres Universums nach und nach in die Substanz eindrangen, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Ich weise darauf hin, daß zur gleichen Zeit, als das Plutoni-um-186 auftauchte, eine bestimmte Menge Wolfram verschwand, die aus mehreren stabilen Isotopen, darunter Wolf-ram-186, bestand. Vielleicht ist diese Menge in das Paralleluniversum hinübergeglitten. Immerhin ist es logisch anzunehmen, ein Masse-Austausch sei einfacher als ein einseitiger Transport. Im Paralleluniversum ist Wolfram-186 vielleicht so ungewöhnlich wie Plutonium-186 hier. Wolfram-186 mag dort zu Beginn stabil sein und dann langsam zunehmend radioaktiv werden. Es mag dort als Energiequelle dienen, so wie uns das Plutonium-186 hier Energie liefern würde."
Seine Zuhörer mußten mit beträchtlichem Erstaunen gelauscht haben, denn eine Unterbrechung ist nicht verzeichnet, wenigstens nicht bis zu den soeben zitierten Sätzen, nach denen Hallam anscheinend innehielt, um Atem zu schöpfen und sich vielleicht über seine eigene Tollkühnheit zu wundern.
Aus dem Publikum stellte jemand die Frage, ob Professor Hallam andeuten wolle, eine intelligente Kraft im Parauniversum habe den Austausch absichtlich vorgenommen, um eine Energiequelle zu erschließen. Der Ausdruck Parauniversum, anscheinend eine Abkürzung von "Paralleluniversum", wurde damit in die Sprache eingeführt. Den Aufzeichnungen nach fand er in dieser Frage zum erstenmal Verwendung.
Es folgte eine Pause. Dann sagte Hallam, mutiger denn je -und das war der Kernpunkt seiner Großen Einsicht: "Ja, das glaube ich, und ich glaube, daß die Energiequelle nicht nutzbar gemacht werden kann, solange Universum und Parauniversum nicht eng zusammenarbeiten, wobei jedes die Hälfte einer Pumpe baut, die Energie von drüben zu uns herüber und von uns auf die andere Seite transportiert. Dieser Energieaustausch wird durch den Unterschied in den Naturgesetzen der beiden Universen möglich."
Hallam hatte das Wort "Parauniversum" übernommen und machte es sich an diesem Punkt zu eigen. Außerdem gebrauchte er als erster das Wort "Pumpe" im Zusammenhang mit dem Thema.
Der offizielle Bericht möchte gern den Eindruck hervorrufen, als wäre Hallams Äußerung sofort auf Gegenliebe gestoßen, doch das war nicht der Fall. Diejenigen, die überhaupt darüber sprechen wollten, legten sich nur insoweit fest, als sie es für eine amüsante Spekulation hielten. Wesentlich war, daß Kantrowitsch kein Wort sagte. Und das war ausschlaggebend für Hallams Karriere.
Hallam konnte die theoretischen und praktischen Konsequenzen seines Vorschlags natürlich nicht allein verfolgen. Dazu war ein ganzes Team erforderlich, das nun zusammengestellt wurde. Doch kein Mitglied dieses Teams bekannte sich offen zu der Theorie, bis es zu spät war. Als dann der Erfolg feststand, war er in den Augen der Öffentlichkeit natürlich ein Erfolg Hallams und niemandes sonst. Für alle Welt war es Hal-lam und Hallam allein, der die Substanz entdeckt hatte, der die Große Einsicht gehabt und geäußert hatte, und es war deshalb auch Hallam, der zum Vater der Elektronenpumpe gekürt wurde.
In der Folge wurden in verschiedenen Laboratorien einladend Wolframkügelchen ausgelegt. In jedem zehnten Fall erfolgte der Transfer, und neue Mengen Plutonium-186 trafen ein. Auch andere Elemente wurden als Köder bereitgehalten, doch nicht angenommen... Aber wo immer das Plutonium-186 auftauchte, und wer es auch an die zentrale Forschungsstelle weiterleitete, die an dem Problem arbeitete - immer war es für die Öffentlichkeit ein zusätzlicher Brocken "Hallam-Wolfram".
Wieder war es Hallam, der der Öffentlichkeit einige weitere Aspekte seiner Theorie erfolgreich präsentierte. Zu seiner größten Überraschung (wie er später behauptete) erwies er sich als gewandter Autor, und die vereinfachende Darstellung der Materie machte ihm Spaß. Außerdem hat jeder Erfolg seine eigene Trägheit, und die Öffentlichkeit wollte weitere Informationen über das Projekt nur von Hallam entgegennehmen.
In einem längst berühmt gewordenen Artikel in einem Wochenend-Magazin schrieb er: "Wir wissen nicht zu sagen, in welchen Details sich die Gesetze des Parauniversums von den unseren unterscheiden, doch wir können mit einiger Sicherheit vermuten, daß die starke nukleare Wechselwirkung, die in unserem Universum die stärkste bekannte Kraft ist, im Parauniversum sogar noch stärker ausfällt - vielleicht hundertmal stärker. Das bedeutet, daß Protonen leichter gegen ihre elektrostatische Anziehung zusammengehalten werden und daß ein Kern zur Erlangung der Stabilität weniger Neutronen braucht.
Plutonium-186, im anderen Universum stabil, enthält viel zu viele Protonen - oder nicht genügend Neutronen , um in unserem Universum mit seiner geringeren nuklearen Wechselwirkung stabil zu sein. In unserem Universum angekommen, beginnt das Plutonium-186 Positronen abzustrahlen und dabei Energie freizugeben, und mit jedem ausgestrahlten Positron wird innerhalb eines Kerns ein Proton in ein Neutron umgewandelt. Schließlich sind zwanzig Protonen pro Kern zu Neutronen verändert, und Plutonium-186 ist zu Wolfram-186 geworden, das nach den Gesetzen unseres Universums stabil ist. Durch diesen Prozeß sind zwanzig Positronen pro Kern abgesondert worden. Diese stoßen auf zwanzig Elektronen, verbinden sich mit ihnen, vernichten sie und setzen dadurch weitere Energie frei, so daß mit jedem uns geschickten Plutonium-186-Kern unser Universum zwanzig Elektronen verliert.