"Also", sagte Neville, als käme er nun zu Wichtigerem, "nach einer Woche haben Sie wahrscheinlich überhaupt keine Schwierigkeiten mehr... Und Sie brauchen vernünftige Sachen zum Anziehen. Mit den Hosen ist kein Staat zu machen, und das dünne Hemd ist doch sinnlos."
"Es gibt hoffentlich einen Laden, in dem ich Kleidung kaufen kann."
"Natürlich. Wenn Sie sie in ihrer Freizeit erwischen, wird Ihnen Selene bestimmt gern helfen. Sie hat mir versichert, daß Sie ganz in Ordnung sind, Doktor."
"Das freut mich." Denison, der von der Suppe gekostet hatte, schaute in die Tasse, als überlegte er, was er mit dem Rest machen sollte. Grimmig löffelte er weiter.
"Sie hält Sie für einen Physiker, aber da irrt sie sich natürlich."
"Ich bin ausgebildeter Strahlungschemiker." "Aber auf diesem Gebiet haben Sie seit langem nicht mehr gearbeitet, Doktor. Wir sind zwar weit vom Schuß hier oben, aber zu weit nun auch wieder nicht. Wir wissen, daß Sie zu Hallams Opfern gehören."
"Gibt es denn so viele, daß man sie schon als Gruppe ansprechen kann?"
"Warum nicht? Der ganze Mond ist ein Opfer Hallams."
"Der Mond?"
" Gewissermaßen."
"Ich verstehe nicht."
"Wir haben keine Pumpstationen auf dem Mond. Es wurden keine installiert, weil das Parauniversum nicht mitmachte. Die ausgelegten Wolfram-Stücke wurden nicht ausgetauscht."
"Sie wollen doch nicht behaupten, daß das Hallams Schuld ist."
"In negativer Hinsicht schon. Warum kann nur das Parauniversum eine Pumpstation in Gang bringen? Warum nicht wir?"
"Soweit ich weiß, fehlen uns die Kenntnisse, um die Initiative zu ergreifen."
"Und diese Kenntnisse werden uns auch künftig abgehen, wenn jede Forschung in dieser Richtung unterbunden wird."
"Unterbunden?" fragte Denison mit leichter Überraschung.
"Es läuft darauf hinaus. Wenn alle Arbeiten, die unser Wissen in dieser Richtung erweitern könnten, beim Einsatz des Protonensynchrotrons und anderer großer Installationen verzögert werden Anlagen, die unter Kontrolle der Erde und somit unter dem Einfluß Hallams stehen , dann ist die Forschung effektiv unterbunden."
Denison rieb sich die Augen. "Ich muß wohl noch Schlaf nachholen ... Es tut mir leid, ich will damit nicht andeuten, daß Sie mich langweilen. Aber sagen Sie mir, ist die Elektronenpumpe denn so wichtig für den Mond? Bestimmt sind doch die Sonnenbatterien völlig ausreichend."
"Aber sie fesseln uns an die Sonne, Doktor. Sie binden uns an die Oberfläche."
"Nun... Aber warum hat Hallam Ihrer Meinung nach eine so negative Einstellung zu der Angelegenheit, Dr. Neville?"
"Da Sie ihn persönlich kennen, müßten Sie das besser wissen als ich. Er zieht es vor, die Allgemeinheit darüber im unklaren zu lassen, daß das gesamte Elektronenpumpensystem das Produkt der Paramenschen ist und wir nur die Rolle untergeordneter Diener erfüllen. Und wenn wir auf dem Mond einmal den Punkt erreichen, da wir selbst aktiv werden können, wird der Beginn der wahren Technologie der Elektronenpumpe von unserer Entdeckung an gerechnet - und nicht von seiner."
"Warum erzählen Sie mir das alles?" fragte Denison.
"Damit ich keine Zeit verschwende. Gewöhnlich heißen wir Physiker von der Erde willkommen. Wir fühlen uns abgeschnitten hier auf dem Mond, als Opfer einer offen gegen uns gerichteten terrestrischen Politik, und ein Physiker auf Besuch kann uns helfen, auch wenn er vielleicht nur unser Gefühl der Isolierung mildert. Ein Physiker als Immigrant ist uns sogar noch lieber, und wir erklären ihm schnell die Lage und laden ihn ein, mit uns zu arbeiten. Es tut mir daher leid, daß Sie kein richtiger Physiker sind."
Denison sagte ungeduldig: "Das habe ich auch niemals behauptet."
"Und doch wollten Sie das Synchrotron sehen. Warum?"
"Oh, macht Ihnen das zu schaffen? Mein lieber Dr. Neville, lassen Sie es sich erklären. Meine Karriere als Wissenschaftler wurde vor einem halben Menschenalter ruiniert. Ich habe mich entschlossen, mein Leben gewissermaßen zu rehabilitieren, ihm eine neue Bedeutung zu geben, und zwar möglichst weit von Hallam entfernt - hier auf dem Mond. Ich bin Strahlungschemiker, was mich aber für andere Gebiete nicht blind gemacht hat. Die Paraphysik ist heute das aktuelle Feld, und ich habe nach bestem Wissen entsprechende eigene Studien betrieben - aus dem Gefühl heraus, daß ich mich damit am ehesten rehabilitieren könnte."
Neville nickte. "Verstehe", bemerkte er mit deutlichem Zweifel.
"Übrigens, da Sie von der Elektronenpumpe sprachen. Haben Sie schon von den Theorien Peter Lamonts gehört?"
Neville sah den anderen mit zusammengekniffenen Augen an. "Nein, ich glaube, den Mann kenne ich nicht." "Ja, er ist noch nicht berühmt. Er wird es vermutlich auch nie werden -im wesentlichen aus den gleichen Gründen wie ich. Er hat sich mit Hallam angelegt. Sein Name war in letzter Zeit öfter zu hören, und ich habe über ihn nachgedacht. Damit ist wenigstens ein Teil der letzten Nacht herumgegangen." Und er gähnte.
"Ja, Doktor?" drängte Neville. "Was ist mit dem Mann? Wie hieß er doch gleich?"
"Peter Lamont. Er hat einige interessante Gedanken über die Paratheorie geäußert. Er glaubt, daß mit fortschreitendem Einsatz der Pumpe die Starke nukleare Wechselwirkung im Bereich des Sonnensystems grundsätzlich an Intensität zunehmen wird, daß die Sonne sich langsam erhitzen und im kritischen Augenblick eine Phasenveränderung durchmachen wird, die zu einer Explosion führt."
"Unsinn! Können Sie den Grad der Veränderung ermessen, der sich auf kosmischer Ebene ergibt, wenn die Pumpe wie bisher im irdischen Umfang genutzt wird? Selbst als Amateurphysiker sollten Sie erkennen, daß die Pumpe während der Lebensdauer des Sonnensystems unmöglich spürbare Veränderungen m den allgemeinen Verhältnissen im Universum herbeiführen kann."
"Glauben Sie das wirklich?"
"Natürlich. Sie nicht?" fragte Neville.
"Ich bin mir nicht sicher. Lamont führt einen persönlichen Kampf. Ich bin ihm einmal kurz begegnet, und er schien mir ein sehr zielbewußter und doch sensibler Bursche zu sein. Was Hallam ihm angetan hat, stürzt ihn vermutlich in hemmungslose Wut."
Neville runzelte die Stirn. "Sind Sie sicher, daß er mit Hallam quersteht?"
"Dafür bin ich doch wohl Experte."
"Sie meinen nicht, daß das Ausstreuen einer solchen Theorie daß die Pumpe gefährlich ist - ein weiteres Mittel sein könnte, dem Mond eigene Pumpstationen vorzuenthalten?"
"Selbst auf die Gefahr hin, daß man damit Unruhe und Verzweiflung in der Erdbevölkerung heraufbeschwört? Natürlich nicht. Das hieße mit Kanonen auf Spatzen schießen. Nein, ich bin sicher, daß Lamont es ehrlich meint. Ich hatte sogar einmal eigene Ideen in dieser Richtung."
"Weil auch Sie vom Haß auf Hallam getrieben werden."
"Ich bin nicht Lamont. Ich könnte mir vorstellen, daß ich nicht so reagiere wie er. Ich hegte sogar die Hoffnung, der Angelegenheit auf dem Mond nachgehen zu können - ohne Hal-lams Querschießerei, ohne Lamonts Emotionen."
"Hier auf dem Mond?"
"Hier auf dem Mond. Ich dachte, daß man mich vielleicht am Protonensynchrotron arbeiten ließe."
"Und deshalb interessierten Sie sich dafür?"
Denison nickte.
"Glauben Sie wirklich, man läßt Sie an das Synchrotron? Wissen Sie, wie weit die Voranmeldungen reichen?"
"Ich stellte mir vor, vielleicht mit einem der lunaren Wissenschaftler zusammenzuarbeiten."
Neville lachte und schüttelte den Kopf. "Unsere Chancen stehen kaum besser als die Ihren ... Ich sage Ihnen, was wir versuchen können. Wir haben eigene Laboratorien eingerichtet. Dort könnten wir Ihnen eine Ecke einräumen. Vielleicht haben wir auch ein paar kleine Geräte frei. Ob Ihnen unsere Einrichtungen nützen, weiß ich nicht - aber vielleicht läßt sich damit wenigstens ein Anfang machen."
"Meinen Sie, ich hätte damit die Möglichkeit, Feststellungen im Bereiche der Paratheorie zu treffen?"