Denison gehorchte und vertraute sich genußvoll dem überraschenden Möbel an.
"Großartig!" sagte er aufseufzend.
"Mama Selene denkt eben an alles."
Sie kam von hinten, glitt um ihn herum, die Füße auswärts gestellt, als glitte sie auf Schlittschuhen dahin, ließ ihre Beine dann zur Seite schwingen und ließ sich anmutig schwebend auf Ellenbogen und Hüfte neben ihm im Sand nieder.
Denison pfiff. "Wie geht denn das?"
"Es erfordert viel Übung. Versuchen Sie es bloß nicht. Sie würden sich den Ellenbogen brechen. Ich möchte Sie allerdings warnen.
Wenn es mir zu kalt wird, muß ich mich noch zu Ihnen auf die Couch drängen."
"Keine Gefahr", erwiderte er. "Wo wir doch beide in Anzügen stecken."
"Ah, da meldet sich mein mutiger Lüstling... Wie geht es?"
"Ganz gut. Was für ein Erlebnis!"
"Was für ein Erlebnis? Sie haben eben einen Rekord aufgestellt! Haben Sie etwas dagegen, daß ich den Leuten zu Hause von Ihrem tollen Gleiten erzähle?"
"Nein. Man läßt sich ja gern loben... Sie wollen doch hoffentlich nicht, daß ich das noch mal mache?"
"Auf der Stelle? Natürlich nicht. Ich würde es auch nicht tun. Wir ruhen uns nur ein bißchen aus, vergewissern uns, daß Ihr Herzschlag wieder normal ist, und kehren dann zurück. Wenn Sie mal die Beine herumschwingen, kann ich Ihnen die Gleiter abnehmen. Beim nächstenmal zeige ich Ihnen, wie man das macht, damit Sie es allein können."
"Ich bin nicht sicher, daß es überhaupt ein nächstesmal gibt."
"Aber natürlich. Hat es Ihnen denn keinen Spaß gemacht?"
"Ein wenig. In den Pausen zwischen den Wogen des Entsetzens."
"Sie werden sich beim zweitenmal schon weniger fürchten, und beim drittenmal noch weniger und werden schließlich ein ungetrübtes Vergnügen daran haben. Ich mache noch einen Renngleiter aus Ihnen."
"O nein. Ich bin zu alt."
"Nicht auf dem Mond. Sie sehen nur alt aus."
Denison spürte die absolute Stille des Mondes ringsum - eine Stille, die ihn zu durchdringen schien. Er schaute jetzt in Richtung Erde. Ihre Beständigkeit am Himmel hatte ihm während des Gleitens Halt gegeben, und er war ihr dankbar dafür.
"Kommen Sie oft hier heraus, Selene?" fragte er. "Ich meine, allein oder nur zu zweit oder dritt? Sie wissen schon, wenn kein Renntag ist?"
"Praktisch nie. Wenn keine Leute um mich sind, wird es mir schnell zuviel. Daß ich es heute aushalte, erstaunt mich etwas." "Hmm", sagte Denison unverbindlich.
"Sie sind nicht überrascht?"
"Sollte ich das sein? Ich meine, jede Person tut etwas, weil sie es entweder will oder muß - jedenfalls ist es ihre Sache und geht mich nichts an."
"Danke, Ben, so etwas hört man gern. Es ist einer der angenehmen Züge an Ihnen, Ben, daß Sie uns, obwohl Sie Immi sind, gelten lassen. Wir sind ein Untergrundvolk, wir Lunaner, Höhlenmenschen, Korridorwesen. Na und? Was ist daran falsch?"
"Nichts."
"Da sollten Sie mal die Erdchen hören! Und ich bin auch noch Touristenführerin und muß das alles über mich ergehen lassen. Alles, was sie äußern, habe ich schon eine Million Mal gehört. Meistens geht es so " und sie verfiel in die abgehackte Sprechweise eines typischen Erdchens in der Planetarischen Standard-Sprache: " "Aber, Liebes, wie können diese Leute nur die ganze Zeit in den Höhlen wohnen? Fühlen sie sich da nicht schrecklich eingeengt Sehnen sie sich denn niemals nach blauem Himmel und Bäumen und Meer und Wind und Blumenduft... "
Oh, ich könnte das unendlich fortsetzen, Ben. Dann sagen sie auch: "Aber vermutlich wissen sie ja gar nicht, wie der blaue Himmel und das Meer und die Bäume aussehen, und daher fehlt ihnen das alles nicht." Als ob wir das Erdfernsehen nicht empfangen könnten und als ob wir nicht Zugang zur irdischen Literatur hätten - in Büchern, auf Bändern und in Form von Geruchsaufzeichnungen!"
Denison lächelte und fragte: "Wie lautet denn die offizielle Antwort auf solche Bemerkungen?"
"Ach, wir sagen nur: "Wir sind durchaus daran gewöhnt, Madame Meistens sind es nämlich die Frauen. Die Männer interessieren sich viel zu sehr für unsere Blusen und überlegen vielleicht, wann wir sie wohl ausziehen. Wissen Sie, was ich diesen Idioten am liebsten sagen würde?"
"Bitte sagen Sie's mir. Solange Sie nun die Bluse anbehalten müssen, da sie ja in Ihrem Raumanzug steckt, sollten Sie Ihrem Herzen zumindest auf diese Weise Luft machen."
"Sehr komisch, Ihr Wortspiel!... Ich würde am liebsten antworten: "Hören Sie, Madam, warum, zum Teufel, sollten wir uns für Ihre verdammte Welt interessieren? Wir haben keine Lust, an der Außenseite eines Planeten herumzuhängen und darauf zu warten, hinunterzufallen oder in die Luft gesprengt zu werden. Wir wollen nicht, daß Luft an uns zerrt und uns schmutziges Wasser auf den Kopf fällt. Wir wollen Ihre verdammten Bazillen und Ihr Stinkgras und Ihren dummen blauen Himmel und Ihre dummen weißen Wolken nicht. Wir können die Erde am Himmel sehen, wenn wir wollen, und oft wollen wir's nicht. Der Mond ist unsere Heimat, und wir schaffen uns diese Welt nach unseren Bedürfnissen - nur wir. Wir besitzen diese Welt, und wir formen unsere eigene Ökologie, und wir brauchen Ihr Mitgefühl nicht - nur weil wir unseren eigenen Weg gehen. Scheren Sie sich auf Ihre Welt und lassen Sie sich von Ihrer Schwerkraft die Brüste bis auf die Kniescheiben hinabzerren." Das würde ich denen allen gern sagen."
"Gut, gut", meinte Denison. "Immer wenn Sie den Drang verspüren, einem Erdchen diesen Vortrag zu halten, kommen Sie zu mir und reden Sie los. Sie fühlen sich dann besser."
"Wissen Sie was? Von Zeit zu Zeit kommt auch ein Immi mit dem Vorschlag, hier auf dem Mond einen Erdpark einzurichten ein kleines Fleckchen mit hier aufgezogenen Erdpflanzen und vielleicht auch Tieren. Ein kleiner Hauch von Heimat -so wird es meistens begründet."
"Und Sie sind natürlich dagegen."
"Natürlich bin ich dagegen. Ein Hauch von Heimat - für wen? Der Mond ist unsere Heimat. Und jeder Immi, der einen Hauch von Heimat braucht, sollte schleunigst in seine Heimat verschwinden. Manchmal sind Immis schlimmer als Erdchen."
"Ich werde daran denken."
"Sie nicht - bisher jedenfalls nicht", entgegnete Selene.
Es folgte ein kurzes Schweigen, und Denison fragte sich schon, ob Selene jetzt die Rückkehr in die Höhlen vorschlagen würde. Einerseits hatte er das Gefühl, bald zur Toilette zu müssen. Andererseits war ihm in seinem ganzen Leben noch nicht so wohlig entspannt zumute gewesen. Er überlegte, wie lange der Sauerstoff in seinem Tank reichen würde.
Dann fragte Selene: "Würden Sie mir mal eine Frage beantworten?"
"Aber ja. Wenn Sie etwas über mein Privatleben wissen wollen - da gibt es keinerlei Geheimnisse. Ich bin einszweiundsiebzig, wiege fündundzwanzig Pfund auf dem Mond, hatte einmal eine Frau, von der ich jetzt geschieden bin, ein Kind, eine Tochter, die inzwischen erwachsen und verheiratet ist, bin zur Universität gegangen in..."
"Nein. Ben. Eine richtige Frage. Es geht um Ihre Arbeit."
"Natürlich, Selene. Ich weiß allerdings nicht, was ich Ihnen da begreiflich machen kann."
"Nun... Sie wissen, daß Barron und ich ..."
"Ja, ich weiß", sagte Denison abrupt.
"Wir unterhalten uns. Er erzählt mir manchmal etwas. Er sagt, Ihrer Meinung nach würde die Pumpe unser Universum zur Explosion bringen."
"Unseren Teil des Universums. Die Pumpe wird womöglich einen Teil unseres galaktischen Arms in einen Quasar verwandeln."
"Wirklich? Glauben Sie das wirklich?"
"Als ich hier auf den Mond kam, war ich meiner Sache nicht sicher", erwiderte Denison. "Inzwischen bin ich fest davon überzeugt."
"Und wann passiert das?"
"Das kann ich nicht genau sagen. Vielleicht in ein paar Jahren. Vielleicht erst in ein paar Jahrzehnten."