"Daß sie was?"
Lamont wurde sich erst jetzt der Erregung bewußt, die er heraufbeschworen hatte, doch er verstand den Grund dafür nicht. Unsicher sagte er: "Daß sie intelligenter sind als wir - daß sie die eigentliche Arbeit getan haben. Bestehen daran irgendwelche Zweifel, Sir?"
Mit tiefrotem Gesicht hatte sich Hallam hochgestemmt. "Jeder Zweifel!" brüllte er. "Ich dulde hier keinen Mystizismus! Davon schwirrt schon viel zuviel herum! Hören Sie mal, junger Mann, wenn Ihr Geschichtswerk die Meinung vertreten sollte, daß wir Marionetten in der Hand der Paramenschen waren, wird es nicht veröffentlicht werden, geschweige denn von diesem Institut, wenn ich es einrichten kann. Ich lasse es nicht zu, daß die Menschheit und ihre Intelligenz herabgewürdigt und die Paramenschen in den Stand von Göttern erhoben werden."
Darauf blieb Lamont nur der Rückzug. Er war verwirrt und zutiefst bestürzt, einen solchen Sturm entfacht zu haben, wo er doch nur Hilfe suchte.
Und nun mußte er feststellen, daß seine geschichtlichen Quellen plötzlich versiegten. Leute, die vor einer Woche noch gesprächig gewesen waren, erinnerten sich auf einmal an gar nichts mehr und hatten keine Zeit mehr für Interviews.
Lamont war zuerst nur gereizt, dann erfüllte ihn eine zunehmende Wut. Er überarbeitete sein bisher gesammeltes Material mit neuen Augen und begann nun hartnäckig zu insistieren, wo er zuvor nur gefragt hatte. Wenn er dienstlich mit Hallam zusammenkam, runzelte dieser nur die Stirn und schaute durch ihn hindurch, während Lamont seinerseits verächtlich dreinschaute.
In der Folge begann Lamonts Hauptkarriere als Paratheoretiker im Sande zu verlaufen, und er wandte sich entschlossener denn je seiner zweiten Karriere als wissenschaftlicher Historiker zu.
"Dieser verdammte Narr", murmelte Lamont. "Du hättest ihn sehen sollen, wie er in Panik geriet bei der ersten Andeutung, daß die andere Seite vielleicht die ausschlaggebende Kraft gewesen ist. Wenn ich daran zurückdenke, frage ich mich, weshalb ich nicht von vornherein wußte, daß er so reagieren würde. Sei nur froh, daß du nie mit ihm zusammenarbeiten mußtest."
"Bin ich auch", sagte Bronowski gleichgültig. "Obwohl es Momente gibt, da auch du kein Engel bist."
"Du kannst dich nicht beklagen. Bei deiner Arbeit hast du doch keine Probleme."
"Und auch kein Interesse. Wer macht sich schon etwas daraus außer mir und fünf anderen auf der Welt? Vielleicht sind es ja auch sechs - wenn du dich erinnerst."
Eamont hatte es nicht vergessen. "Na ja", sagte er.
Bronowskis gelassenes Äußere täuschte niemanden, der ihn auch nur einigermaßen kannte. Er hatte einen scharfen Geist und drehte und wendete ein Problem, bis er die Lösung gefunden hatte oder bis das Problem derart auseinandergenommen war, daß er die Unmöglichkeit einer Lösung hinnehmen mußte. Nehmen wir einmal die Übersetzung der etruskischen Inschriften, auf die sich sein Ruf gründete. Die etruskische Sprache war bis ins erste Jahrhundert nach Christi noch durchaus lebendig gewesen, doch der kulturelle Imperialismus der Römer hatte nichts übriggelassen, und sie war fast völlig vom Erdboden verschwunden. Die wenigen Inschriften, die die Folgen der römischen Feindseligkeit und Gleichgültigkeit überstanden hatten, waren in griechischen Lettern geschrieben, so daß sie aussprechbar waren - doch das war auch alles. Das Etruskische schien überhaupt keine Verwandtschaft mit den anderen Sprachen ringsum zu haben, es machte einen sehr altertümlichen Eindruck; es schien nicht einmal indogermanischen Ursprungs zu sein.
Bronowski wandte sich daher einer anderen Sprache zu, die keine Verwandtschaft mit den sie umgebenden Sprachen zu haben schien; die anscheinend sehr altertümlich war; die offenbar nicht einmal indogermanische Wurzeln hatte; die jedoch durchaus noch lebte und in einem Gebiet gesprochen wurde, das gar nicht so weit vom ehemaligen Gebiet der Etrusker entfernt war. Diese Sprache war das Baskische, das Bronowski als Schlüssel benützte. Andere hatten das vor ihm versucht und waren nicht weit gekommen. Bronowski jedoch gab nicht auf.
Es war ein schwerer Brocken, denn das Baskische, das schon an sich außerordentlich schwierig ist, bot nur sehr wenig Hilfe. Diese Sprache zunächst auf ihre Struktur in römischer Zeit zu reduzieren und dann auf das Etruskische zu beziehen, war ein geistiges Bravourstück ohnegleichen, und Bronowski versetzte die Philologen der Welt in höchstes Erstaunen, als es ihm gelang.
Der Text der Übersetzungen war überaus langweilig und hatte keinerlei geschichtliche Bedeutung; es handelte sich zumeist um alltägliche Grabinschriften. Dagegen war die Tatsache der Übersetzung aufsehenerregend und sollte, wie es sich herausstellte, für Lamont noch von großer Bedeutung sein.
Doch das dauerte einige Zeit. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, lagen die Übersetzungen schon fünf Jahre vor, ehe La-mont überhaupt zum erstenmal von der Existenz eines ehemaligen Völkerstamms der Etrusker erfuhr. Bronowski kam an die Universität, um einen der jährlichen Festvorträge zu halten, und Lamont, der dieser Pflichtübung normalerweise aus dem Weg ging, machte diesmal eine Ausnahme - nicht weil er die Bedeutung des Vortrags erkannte oder Interesse für das Thema aufbrachte, sondern weil er damals mit einer Studentin romanischer Sprachen befreundet war, die ihn m den Vortrag brachte.
Wie es so kam - das Thema machte ihm sogar Spaß. Zum erstenmal drang die etruskische Zivilisation als eine nicht ganz uninteressante Angelegenheit in sein Bewußtsein, und das Problem der Entzifferung einer noch nicht enträtselten Sprache faszinierte ihn. Als Junge hatte er gern Kryptogramme gelöst, die er dann jedoch zusammen mit anderen kindischen Dingen über Bord geworfen hatte, um sich den imposanteren Kryptogrammen der Natur zuzuwenden. So war er schließlich bei der Paratheorie gelandet.
Nun brachte ihm Bronowskis Vortrag den jungenhaften Spaß am allmählichen Entziffern einer anscheinend zufälligen Symbolreihe wieder ins Gedächtnis und erhob den Vorgang in einen Schwierigkeitsgrad, der ihm Ehre machte. Bronowski war ein Kryptogrammleser im erhabensten Sinne, und Lamont reizte vor allen Dingen das beharrliche Vordringen der Vernunft ins Reich des Unbekannten, das Bronowski beschrieb.
Es wäre sicherlich alles im Sande verlaufen - der dreifache Zufall, daß Bronowski an die Universität kam, daß sich La-mont in seiner Jugend für Kryptogramme interessiert hatte und er mit einem attraktiven jungen Mädchen befreundet war , hätte da nicht am nächsten Tage das Gespräch mit Hallam stattgefunden, das ihn eindeutig und, wie es sich herausstellte, auf immer in Ungnade brachte.
Eine Stunde nach dem Interview war Lamont entschlossen, mit Bronowski zu sprechen. Dabei sollte es um die Frage gehen, die ihm selbstverständlich gewesen war und die Hallam so aufgebracht hatte. Sie legte ihm die Zügel der Zensur an, und Lamont verspürte den Drang zurückzuschlagen - ganz besonders gegen die Stelle, von der die Zensur ausging. Die Paramenschen waren intelligenter als der Mensch. Bisher hatte La-mont das eher als ganz selbstverständlich hingenommen, als etwas mehr Offensichtliches denn Wichtiges. Jetzt war es lebenswichtig geworden. Es mußte bewiesen werden, und dieser Beweis sollte Hallam in den dicken Schädel gehämmert werden - möglichst mit spitzem Nagel.
Schon hatte Lamont seine Heldenverehrung so weit abgestreift, daß er den Augenblick des Triumphs gar nicht erwarten konnte.
Bronowski war noch immer an der Universität. Lamont spürte ihn auf und beharrte auf einem Gespräch.
Bronowski gab sich betont höflich, als Lamont ihm schließlich gegenüber saß.
Lamont überging brüsk die Floskeln, stellte sich spürbar ungeduldig vor und sagte: "Dr. Bronowski, ich freue mich sehr, daß ich Sie vor Ihrer Abreise noch erwischt habe. Ich hoffe, ich kann Sie überzeugen, auch noch länger zu bleiben."
"Das ist vielleicht gar kein Problem", erwiderte Bronowski. "Man hat mir hier an der Fakultät eine Stellung angeboten."