Denisons Blick folgte Selenes eifrig ausgestrecktem Finger. "Himmel", sagte er. "Wo kommt das her?"
Aus der Wand tropfte etwas - eindeutig Wasser. Ein Tropfen nach dem anderen platschte herab - in eine kleine Keramikwanne, die in die Felswand führte.
"Aus dem Gestein. Wir haben nämlich Wasser auf dem Mond. Das meiste können wir aus dem Gips herausholen - jedenfalls in ausreichender Menge, da wir spärlich damit umgehen."
"Ich weiß. Ich weiß. Ich habe bisher noch kein Duschbad zu Ende gebracht. Wie die Lunarier überhaupt sauber bleiben, kann ich mir nicht vorstellen."
"Ich hab's Ihnen doch gesagt. Sie müssen sich zuerst benetzen. Dann drehen Sie das Wasser ab und schmieren sich mit Seife ein. Dann reiben Sie ... Also, Ben, ich bete Ihnen das nicht noch einmal vor. Außerdem können Sie auf dem Mond gar nicht richtig schmutzig werden... Aber wir sprachen über etwas anderes. An einer oder zwei Stellen gibt es tatsächlich Wasserreservoirs, gewöhnlich in Form von Eis in einem Bergschatten nahe der Oberfläche. Wenn wir das Reservoir aufspüren, tropft es heraus. Dieses hier hat getropft, seit der Korridor hindurchgetrieben wurde, und das war vor acht Jahren."
"Aber warum der Aberglaube?"
"Nun, naturgemäß ist Wasser das Element, von dem der Mond abhängt. Wir trinken es, waschen uns damit, begießen damit unsere Nahrung, machen unseren Sauerstoff damit - halten damit alles in Betrieb. Freies Wasser wird natürlich mit großem Respekt behandelt. Als man die Tropfstelle entdeckte, wurden alle Pläne, die Tunnel in dieser Richtung voranzutreiben, aufgegeben. Sogar die Korridorwände blieben unvollendet."
"Ja, das hat wirklich etwas Abergläubisches."
"Na ja, vielleicht kann man es als eine Art Ehrfurcht bezeichnen. Man rechnete nicht damit, daß es länger als ein paar Monate tropfen würde - bei solchen Stellen ist das selten der Fall. Nun, als wir dann den ersten Geburtstag gefeiert hatten, kam die Quelle uns schon ewig vor. So wird sie nun auch genannt: "Die Ewige." Mit diesem Namen ist sie sogar auf den Karten eingezeichnet. Natürlich messen die Leute ihr eine gewisse Bedeutung bei; es geht das Gerücht, daß es ein schlechtes Zeichen wäre, wenn sie nun doch versiegte."
Selene lachte freundlich. "Niemand glaubt das wirklich, aber so halb denkt man doch daran. Verstehen Sie, das Tropfen kann nicht ewig andauern. Eines Tages hat es damit ein Ende. Tatsächlich ist die Tropfgeschwindigkeit seit dem Tage der Entdeckung etwa auf ein Drittel gesunken - die Quelle stirbt also langsam ab. Ich habe das Gefühl, die Leute meinen, wenn sie zufällig ihren letzten Tropfen erlebten, würden sie vom Unglück mit erfaßt. Wenigstens wäre das die vernünftigste Erklärung für die allgemeine Abneigung gegen diesen Ort."
"Sie glauben wohl nicht daran?"
"Ob ich es glaube oder nicht - darum geht es nicht. Ich bin ganz sicher, daß das Tropfen nicht abrupt genug aufhört, daß sich wirklich jemand betroffen fühlen müßte. Es wird nur langsamer tropfen und immer langsamer und langsamer, und niemand wird den genauen Augenblick bestimmen können, da es überhaupt aufhört. Warum sich also Gedanken machen?"
"Ich stimme Ihnen zu."
"Allerdings", meinte sie und leitete elegant zu einem neuen Thema über, "habe ich andere Sorgen, die ich mit Ihnen besprechen möchte, solange wir hier allein sind." Sie breitete die Decke aus und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen darauf.
"Das ist auch der eigentliche Grund, warum Sie mich hierhergeführt haben, nicht wahr?" Er legte sich neben sie, auf den Ellenbogen gestützt, und sah ihr ins Gesicht.
"Sehen Sie, Sie können mich ja schon ganz ruhig anschauen", sagte sie. "Sie gewöhnen sich an mich ... Es muß doch auch auf der Erde Zeiten gegeben haben, als sich niemand über Nacktheit oder teilweise Nacktheit aufregte."
"Ja, solche Zeiten gab es", antwortete Denison, "aber das war vor der Krise. Für meine Generation..."
"Nun, für das Leben auf dem Mond kann ich Ihnen nur raten, sich den Lunariern anzupassen - das ist der beste Weg."
"Wollen Sie mir nun verraten, warum Sie mich hierhergebracht haben? Oder soll ich erst vermuten, daß Sie mich verführen wollen?"
"Das kann ich zu Hause bequemer haben, vielen Dank. Nein, es ist etwas anderes. An der Oberfläche wäre es noch besser gewesen, aber unsere Vorbereitungen, dorthin zu gelangen, hätten zuviel Aufsehen erregt. Unser Ausflug hierher hat das nicht getan, und es ist der einzige Fleck in der Stadt, wo wir vor Störungen einigermaßen sicher sind." Sie zögerte.
"Nun?" fragte Denison.
"Barron ist aufgebracht. Sehr aufgebracht sogar."
"Das überrascht mich nicht. Ich sagte Ihnen ja, daß er sich aufregen würde. Sie hätten ihm nicht erzählen dürfen, ich wüßte, daß Sie Intuitionist sind. Warum hielten Sie es nur für nötig, ihn zu informieren?" "Weil es schwierig ist, vor dem - dem Partner etwas geheimzuhalten. Vermutlich sieht er mich gar nicht mehr als Partner an." "Das tut mir leid."
"Oh, die Sache stimmte sowieso nicht mehr. Sie hat auch lange genug gedauert. Was mir aber zu schaffen macht - viel mehr als das andere , ist die Tatsache, daß er sich heftig dagegen sträubt, Ihre Interpretation der Pionisatorexperimente hinzunehmen, die Sie nach Ihren Oberflächenbeobachtungen gemacht haben." "Ich hab's Ihnen gleich gesagt." "Er behauptet, er hätte Ihre Ergebnisse gesehen." "Er blätterte sie durch und knurrte etwas."
"Das ist aber ziemlich enttäuschend. Glaubt denn jeder nur, was er glauben will?"
"So lange wie irgend möglich. Manchmal auch länger." "Wie steht es da mit Ihnen?"
"Sie meinen, ob ich ein Mensch bin? Gewiß doch. Ich halte mich nicht wirklich für alt. Ich halte mich auch für einigermaßen attraktiv. Ich bilde mir ein, Sie suchen meine Gesellschaft, weil Sie mich für charmant halten - auch wenn Sie darauf bestehen, mit mir über physikalische Probleme zu sprechen." "Das will ich aber wirklich!"
"Nun, ich vermute, Neville hat Ihnen gesagt, meine Daten wären nur akzeptable Fehlerwerte, im Rahmen der Versuche liegende Abweichungen und daher mehr als zweifelhaft - und das stimmt auf eine Weise. Und doch schreibe ich ihnen die Bedeutung zu, die ich von Anfang an erwartet habe."
"Nur weil Sie daran glauben wollen?"
"Nicht nur deswegen. Betrachten wir es einmal so. Nehmen wir an, die Pumpe bringt keinen Schaden, während ich darauf bestehe, daß sie gefährlich ist. In diesem Fall muß ich eines Tages als Narr dastehen, und mein wissenschaftlicher Ruf wäre dahin. Nach Ansicht der Leute, auf die es ankommt, bin ich aber längst ein Narr und habe keinen wissenschaftlichen Ruf mehr."
"Warum das, Ben? Sie haben das schon mehrmals angedeutet. Können Sie mir nicht die ganze Geschichte erzählen?"
"Sie wären überrascht, wie wenig es da zu erzählen gibt. Im Alter von fünfundzwanzig war ich noch so kindisch, daß ich es für nötig hielt, einen Narren zu beleidigen, nur weil er ein Narr war. Da er dafür nichts konnte, war ich natürlich der noch größere Narr. Meine Beleidigung trieb ihn in Höhen hinauf, zu denen er sich allein niemals aufgeschwungen hätte .. ." "Sie sprechen von Hallam?"
"Ja, natürlich. Und mit seinem Aufstieg kam mein Abgang. Und schließlich landete ich hier auf dem Mond." "Ist das so schlimm?"
"Nein, ich finde es sogar gut. Sagen wir also, er hat mir auf lange Sicht einen Gefallen getan... Aber kehren wir doch zum Thema zurück. Ich versuchte gerade zu erklären, daß ich nichts mehr zu verlieren habe, wenn ich die Pumpe für problematisch halte und mich irre. Wenn ich die Pumpe andererseits für harmlos halte und mich irre, vernichte ich die Welt. Gewiß, ich habe den größten Teil meines Lebens bereits hinter mir und könnte mir auch einreden, daß ich gar keinen Grund hätte, die Menschheit übermäßig zu lieben. Doch im Grunde haben mir nur wenige Menschen wirklich weh getan, und wenn nun aus Rache an den wenigen alle anderen zu Schaden kämen, wäre das unverzeihlich.