"Das glaube ich auch." Denison schaute zur Erdsichel auf, beobachtete die fernen Wolkenbänke am Horizont. Er schwieg gedankenverloren, in den Anblick versunken. Als Selene wieder an den Pionisator trat, rührte er sich nicht.
Er beobachtete die Erde in ihrem Sternennest und schaute auf den zackigen Horizont, wo er von Zeit zu Zeit kleine Staubwolken vielleicht kleine Meteoritentreffer - wahrzunehmen glaubte.
Er hatte Selene in der letzten Lunarnacht mit Besorgnis auf ein ähnliches Phänomen hingewiesen.
"Aufgrund der Mondschwankung bewegt sich die Erde etwas am Himmel, und von Zeit zu Zeit gleitet ein Strahl Erdlicht über eine Erhöhung und trifft auf den darunterliegenden Boden", hatte sie erklärt. "Der wird dann wie eine winzige aufsteigende Staubwölke sichtbar. Kommt oft vor. Wir achten schon nicht mehr darauf."
Denison hatte erwidert: "Aber das kann doch manchmal auch ein Meteorit sein. Prallen denn niemals Meteoriten auf?"
"Natürlich. Auch du wirst wahrscheinlich oft getroffen. Dein Anzug schützt dich."
"Ich meine keine winzigen Staubpartikel. Ich meine faßbare Meteoriten, die den Staub wirklich in die Höhe treiben würden. Meteoriten, die dich töten könnten."
"Nun, die fallen hier natürlich auch, aber sie sind seltener, und der Mond ist groß. Bis jetzt ist noch niemand getroffen worden."
Und während Denison den Himmel beobachtete und über Selenes Antwort nachdachte, nahm er eine Erscheinung wahr, die er im ersten unkonzentrierten Augenblick für einen Meteoriten hielt. Doch einen Lichtstreifen konnte es dabei nur auf der Erde geben, in der Erdluft - und nicht auf dem luftlosen Mond.
Das Licht am Himmel war künstlich, und Denison hatte seine Eindrücke kaum bewältigt, als es auch schon zu einem kleinen Raketenfahrzeug heranwuchs, das neben ihm landete.
Eine Gestalt im Raumanzug trat heraus, während der Pilot zurückblieb - ein dunkler Punkt zwischen den Lichtflecken der Landschaft.
Denison wartete. Die Etikette des Raumanzugs erforderte es, daß sich jeder Neuankömmling einer Gruppe näherte und sich bekannt machte.
"Hochkommissar Gottstein", sagte die neue Stimme, "wie Sie wahrscheinlich schon an meinem wackligen Gang erkennen."
"Ben Denison."
"Ja. Das dachte ich mir."
"Suchen Sie mich?"
"Natürlich."
"Mit einem Raumgleiter? Sie hätten..."
"Ich hätte", sagte Hochkommissar Gottstein, "Ausgang P-4 benutzen können, der nicht einmal tausend Meter entfernt ist. Ja, das hätte ich. Aber ich habe nicht nur Sie gesucht."
"Nun, ich will nicht fragen, was ich darunter verstehen soll."
"Ich brauche nicht um den heißen Brei herumzureden. Sie nehmen sicher nicht an, daß mich Ihre Experimente hier an der Mondoberfläche nicht interessieren."
"Die sind kein Geheimnis, und jeder kann sich dafür interessieren."
"Und doch scheint niemand die Einzelheiten so recht zu kennen. Außer daß Sie sich irgendwie mit Problemen befassen, die mit der Elektronenpumpe zu tun haben."
"Das ist eine logische Vermutung."
"Wirklich? Mir will scheinen, daß Versuche dieser Art, wenn sie überhaupt einen Sinn haben sollen, eine ziemlich umfangreiche Apparatur erfordern. Das entspringt nicht meinen eigenen Kenntnissen, verstehen Sie. Ich habe Leute gefragt, die es wissen müssen. Es ist aber ebenso offensichtlich, daß Sie eine solche Apparatur nicht haben. Es kam mir daher der Gedanke, daß mein Interesse an Sie vielleicht verschwendet ist, daß -während meine Aufmerksamkeit auf Sie gerichtet ist - andere sich mit wichtigeren Dingen beschäftigen."
"Warum sollte ich wohl zur Ablenkung dienen?"
"Ich weiß es nicht. Wenn ich es wüßte, wäre ich weniger besorgt."
"Also habe ich unter Beobachtung gestanden." Gottstein lachte leise. "O ja. Seit Ihrer Ankunft. Und seit Beginn Ihrer Versuche hier haben wir das ganze Gebiet in jeder Richtung kilometerweit beobachtet. Seltsamerweise hat es den Anschein, als wären Sie, Dr. Denison, und Ihre Begleiterin die einzigen Menschen an der Mondoberfläche, die nicht nur einfache Routinearbeiten verrichten."
"Warum ist das seltsam?"
"Weil es bedeutet, daß Sie mit Ihrem verrückten Apparat wirklich etwas zu erreichen hoffen - was das auch immer sei. Da ich Ihnen Unfähigkeit nicht zutraue, dachte ich mir also, daß ein kleines Gespräch mit Ihnen ganz nützlich wäre, wenn Sie mir sagen würden, was Sie da tun."
"Ich unternehme paraphysikalische Versuche, Hochkommissar wie die Gerüchte schon besagen. Wozu ich nur noch sagen kann, daß meine Experimente bisher bloß zum Teil erfolgreich gewesen sind."
"Ihre Begleiterin ist wohl Selene Lindstrom L., eine Touristenführerin?"
"Ja."
"Ungewöhnliche Assistentin."
"Sie ist intelligent, arbeitswillig, interessiert und sehr attraktiv."
"Und bereit, mit einem Mann von der Erde zusammenzuarbeiten?"
"Und durchaus bereit, mit einem Immigranten zusammenzuarbeiten, der Lunarbürger sein wird, sobald er sich für diesen Status qualifiziert."
Selene näherte sich. Ihre Stimme klang in den Ohren der Männer auf. "Guten Tag, Hochkommissar. Ich hätte Ihr Gespräch lieber nicht mitgehört - aber in einem Raumanzug bleibt einem auf diese Entfernung nichts anderes übrig."
Gottstein wandte sich um. "Hallo, Miß Lindstrom. Ich wollte auch kein Privatgespräch führen. Interessieren Sie sich für die Paraphysik?"
"O ja."
"Und das Fehlschlagen der Experimente entmutigt Sie nicht?"
"Sie sind nicht völlig fehlgeschlagen", antwortete sie. "Sie sind sogar weniger fehlgeschlagen, als Dr. Denison in diesem Augenblick noch annimmt." "Was?" Denison fuhr so heftig auf dem Absatz herum, daß er fast die Balance verlor und eine feine Staubwolke aufwirbelte.
Alle drei starrten nun auf den Pionisator, über dem in etwa anderthalb Metern Abstand ein Licht leuchtete wie ein großer Stern.
Selene sagte: "Ich habe die Intensität des Magnetfeldes gesteigert, und das Nuklearfeld blieb stabil, blieb bestehen - flaute dann immer weiter ab und ..."
"Floß durch!" rief Denison aus. "Verdammt. Und ich habe es nicht gesehen!"
"Tut mir leid, Ben. Zuerst warst du so gedankenverloren, dann kam der Hochkommissar, und ich konnte einfach nicht widerstehen - ich mußte die Gelegenheit ergreifen..."
"Aber was ist denn das?" fragte Gottstein.
"Das ist Energie, spontan abgegeben von Materie, die aus einem anderen Universum in das unsere fließt", antwortete Deni-son.
Im nächsten Augenblick verschwand das Licht. Gleichzeitig entstand einige Meter entfernt ein zweiter, schwächerer Stern.
Denison stürzte auf den Pionisator zu, doch grazil hastete auch Selene über die Mondoberfläche und erreichte das Gerät als erste. Sie schaltete die Feldstruktur ab, und der ferne Stern erlosch.
"Wie du siehst, ist der Flußpunkt instabil", sagte sie.
"Aber nur geringfügig", erwiderte Denison. "Wenn man bedenkt, daß ein Umspringen um ein ganzes Lichtjahr möglich ist, dann sind hundert Meter schon eine wunderbare Stabilität."
"Aber noch nicht wunderbar genug", entgegnete Selene kurz.
Gottstein schaltete sich ein: "Lassen Sie mich mal raten, worum es geht. Sie meinen, daß die Materie hier oder dort oder irgendwo - willkürlich - in unser Universum herüberfließen kann?"
"Nicht ganz willkürlich, Hochkommissar", antwortete Denison. "Die Wahrscheinlichkeit eines Durchflusses nimmt mit
wachsender Entfernung vom Pionisator ab, und ziemlich plötzlich sogar, würde ich sagen. Der Umfang dieser Abschwächung hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, und ich glaube, wir haben die Sache schon erstaunlich fest im Griff. Trotz allem ist ein Sprung von hundert Metern durchaus denkbar, und Sie haben ja auch einen erlebt."