Gottstein lächelte: "Ist das Miß Lindstroms Rat?"
"Ich bin sicher, daß Miß Lindstrom sich so äußern würde, aber der Vorschlag ist so vernünftig, daß ich auch selber darauf kommen konnte."
Gottstein stand auf, reckte sich und sprang einige Male auf der Stelle auf und ab - gespenstisch langsam, wie es bei der Mondschwerkraft nicht anders möglich war. Bei jedem Sprung winkelte er die Knie an. Schließlich setzte er sich wieder und fragte: "Haben Sie das schon mal versucht, Dr. Denison?"
Denison schüttelte den Kopf.
"Das soll angeblich den Kreislauf in den Beinen fördern. Ich mache es jedesmal, wenn ich das Gefühl habe, daß mir die Füße absterben. Ich werde in Kürze einen Kurzbesuch auf der Erde machen und möchte mich vorher nicht zu sehr an die Lunarschwerkraft gewöhnen. - Wollen wir jetzt mal von Miß Lindstrom sprechen, Dr. Denison?"
Denison fragte in verändertem Tonfalclass="underline" "Was ist mit ihr?"
"Sie ist Touristenführerin."
"Ja. Das sagten Sie schon."
"Und ich sagte auch, daß sie eine etwas seltsame Assistentin für einen Physiker abgibt."
"Im Grunde bin ich nur Amateurphysiker, und da ist sie wohl auch Amateurassistentin."
Gottstein war ernst geworden. "Witzeln Sie nicht herum, Doktor. Ich habe mir die Mühe gemacht, Nachforschungen über sie anzustellen. Und die Fakten sind ganz aufschlußreich -sie wären es jedenfalls gewesen, wenn sich schon früher jemand darum gekümmert hätte. Ich glaube, sie ist Intuitionist."
"Das sind viele, Hochkommissar. Ich bezweifle nicht, daß auch Sie ein leidlicher Intuitionist sind. Daß ich es bin - leidlich jedenfalls , weiß ich ganz sicher."
"Aber es gibt einen Unterschied, Doktor. Sie sind ein vorzüglicher Wissenschaftler, und ich, wie ich hoffe, bin ein vorzüglicher Gesandter... Und während Miß Lindstrom so weit intuitiv denken kann, um Ihnen in fortgeschrittener theoretischer Physik von Nutzen zu sein, ist sie letztlich doch nur ein Touristenmädchen."
Denison zögerte. "Sie hat wenig formelle Ausbildung, Hochkommissar. Ihr Intuitionismus ist von ungewöhnlich hohen Graden, steht aber kaum unter bewußter Kontrolle."
"Ist sie ein Ergebnis des alten genetischen Formungsprogramms?"
"Ich weiß es nicht. Überraschen würde es mich nicht."
"Trauen Sie ihr?"
"Inwiefern? Sie hat mir geholfen."
"Wissen Sie, daß sie die Frau Dr. Barron Nevilles ist?"
"Es besteht eine gefühlsmäßige Bindung, nicht aber eine gesetzliche, wie ich annehme."
"So gesehen, gibt es überhaupt keine gesetzlichen Bindungen auf dem Mond. Der gleiche Neville, den Sie als dritten Autor für Ihre Abhandlung einladen wollen?" "Ja."
"Ist das nur ein Zufall?" "Nein. Neville interessierte sich gleich nach meiner Ankunft für mich, und ich meine, er hat Selene gebeten, mir bei der Arbeit zu helfen."
"Hat sie Ihnen das gesagt?"
"Sie sagte, sie interessiere sich für mich. Das war doch ganz natürlich."
"Machen Sie sich eigentlich klar, Dr. Denison, daß sie bei der Zusammenarbeit vielleicht nur ihre eigenen und die Interessen Dr. Nevilles im Auge hat?"
"In welcher Beziehung könnten sich ihre Interessen von den unseren unterscheiden? Sie hat mir rückhaltlos geholfen."
Gottstein verlagerte sein Gewicht im Stuhl und bewegte seine Schultern wie beim Muskeltraining. Er sagte: "Da ihm die Frau so nahe steht, weiß Dr. Neville natürlich, daß sie Intuitionist ist. Wäre es da nicht natürlich, sie zu gebrauchen? Warum sollte sie sonst Touristenführerin bleiben, wenn damit nicht ihre Fähigkeiten vertuscht werden sollen - aus ganz bestimmten Gründen?"
"Wie ich höre, führt Dr. Neville sehr oft ähnliche Argumente an. Mir fällt es schwer, an solche überflüssigen Komplotte zu glauben."
"Woher wollen Sie wissen, daß sie überflüssig sind? Als mein kleiner Raumgleiter über der Mondoberfläche schwebte -kurz bevor sich der Strahlungsball auf Ihrem Gerät bildete , schaute ich auf Sie hinab. Sie standen nicht am Pionisator."
Denison überlegte. "Nein, das stimmt. Ich schaute mir die Sterne an. Das tue ich zu gern da oben an der Oberfläche."
"Und was machte Miß Lindstrom?"
"Das habe ich nicht gesehen. Sie sagte, sie hätte das magnetische Feld verstärkt und schließlich den Durchfluß bewirkt."
"Ist es üblich, daß sie die Geräte allein bedient?"
"Nein. Aber ich kann ihren Drang verstehen."
"Und hätte es bei dem Vorgang eine Art Ausstoß geben können?" "Ich verstehe nicht... "
"Ich bin nicht sicher, daß ich es selber verstehe. Im Erdlicht war ein kleines Blitzen zu bemerken, als ob etwas durch die Luft huschte. Ich weiß nicht, was das hätte sein können."
"Ich auch nicht", meinte Denison.
"Sie haben keine Erklärung dafür, die sich aus dem Experiment ergeben würde?"
"Nein."
"Was hat Miß Lindstrom also gemacht?"
"Ich weiß es immer noch nicht."
Einen Augenblick lastete die Stille im Zimmer. Dann sagte der Hochkommissar: "Wie ich die Sache sehe, machen Sie jetzt den Versuch, die Durchfluß-Instabilität zu korrigieren, und gehen dann an die Vorbereitung Ihrer Abhandlung. Ich bringe die Dinge am anderen Ende ins Rollen und werde bei meinem bevorstehenden Erdbesuch alle Vorbereitungen zur Veröffentlichung der Abhandlung treffen und die Regierung alarmieren."
Es war ein deutlicher Schlußpunkt. Denison stand auf, und der Hochkommissar sagte leichthin: "Und denken Sie mal über Dr. Neville und Miß Lindstrom nach."
Der Energiestern war diesmal schwerer, dicker und heller. De-nison spürte seine Wärme auf der Helmscheibe und trat einige Schritte zurück. Deutlich war die Röntgenstrahlung herauszuspüren, und obwohl seine Abschirmung ausreichen mußte, war es sinnlos, sie unnötig zu belasten.
"Es läßt sich wohl nicht mehr bestreiten", murmelte er. "Der Durchfluß ist stabil."
"Ganz bestimmt", sagte Selene knapp.
"Schalten wir's also ab, und dann nach Hause."
Sie bewegten sich sehr langsam. Denison war seltsam entmutigt. Es gab keine Ungewißheit mehr, keine Aufregung. Von jetzt anwar ein Fehlschlag ausgeschlossen. Die Regierung interessierte sich für die Versuche; und es konnte nicht mehr lange dauern, bis ihm alles aus der Hand genommen war.
"Ich kann wohl jetzt mit der Abhandlung beginnen", sagte er.
Selene nickte.
"Hast du noch einmal mit Barron gesprochen?"
"Ja."
"Und hat er seine Einstellung geändert?"
"Nicht im geringsten. Er will nichts damit zu tun haben. Ben...?"
"Ja?"
"Ich bin wirklich der Meinung, es hat keinen Sinn mehr, mit ihm zu sprechen. Er wird auf keinen Fall an einem Projekt mitarbeiten, mit dem auch die Erdregierung zu tun hat."
"Aber du hast ihm die Lage doch auseinandergesetzt?"
"Von A bis Z."
"Und er 'will nicht mitmachen?"
"Er hat nach einem Gespräch mit Gottstein verlangt, und der Hochkommissar ist nach seiner Rückkehr von der Erde mit einer Zusammenkunft einverstanden. Bis dahin müssen wir uns schon gedulden. Vielleicht kann ihn Gottstein noch umstimmen, aber ich möchte es eigentlich bezweifeln."
Denison zuckte die Achseln - eine sinnlose Geste im Raumanzug. "Ich verstehe ihn nicht."
"Aber ich", erwiderte Selene leise.
Denison ging nicht darauf ein. Er schob den Pionisator und die Anschlußgeräte in eine Felsspalte und fragte: "Fertig?"
"Fertig."
Schweigend betraten sie Oberflächen-Ausgang P-4, und Denison stieg die Leiter hinab. Selene huschte an ihm vorüber, wobei sie sich mit schnellem Griff hier und da an den Sprossen abbremste - ein Kniff, den Denison längst beherrschte. Trotzdem stieg er nur langsam hinterher, seltsam lustlos, seine fortschreitende Eingewöhnung unter Beweis zu stellen.