Selene näherte sich. Ihre Stimme klang in den Ohren der Männer auf. »Guten Tag, Hochkommissar. Ich hätte Ihr Gespräch lieber nicht mitgehört — aber in einem Raumanzug bleibt einem auf diese Entfernung nichts anderes übrig.«
Gottstein wandte sich um. »Hallo, Miß Lindstrom. Ich wollte auch kein Privatgespräch führen. Interessieren Sie sich für die Paraphysik?«
»O ja.«
»Und das Fehlschlagen der Experimente entmutigt Sie nicht?«
»Sie sind nicht völlig fehlgeschlagen«, antwortete sie. »Sie sind sogar weniger fehlgeschlagen, als Dr. Denison in diesem Augenblick noch annimmt.«
»Was?« Denison fuhr so heftig auf dem Absatz herum, daß er fast die Balance verlor und eine feine Staubwolke aufwirbelte.
Alle drei starrten nun auf den Pionisator, über dem in etwa anderthalb Metern Abstand ein Licht leuchtete wie ein großer Stern.
Selene sagte: »Ich habe die Intensität des Magnetfeldes gesteigert, und das Nuklearfeld blieb stabil, blieb bestehen — flaute dann immer weiter ab und…«
»Floß durch!« rief Denison aus. »Verdammt. Und ich habe es nicht gesehen!«
»Tut mir leid, Ben. Zuerst warst du so gedankenverloren, dann kam der Hochkommissar, und ich konnte einfach nicht widerstehen — ich mußte die Gelegenheit ergreifen…«
»Aber was ist denn das?« fragte Gottstein.
»Das ist Energie, spontan abgegeben von Materie, die aus einem anderen Universum in das unsere fließt«, antwortete Denison.
Im nächsten Augenblick verschwand das Licht. Gleichzeitig entstand einige Meter entfernt ein zweiter, schwächerer Stern.
Denison stürzte auf den Pionisator zu, doch grazil hastete auch Selene über die Mondoberfläche und erreichte das Gerät als erste. Sie schaltete die Feldstruktur ab, und der ferne Stern erlosch.
»Wie du siehst, ist der Flußpunkt instabil«, sagte sie.
»Aber nur geringfügig«, erwiderte Denison. »Wenn man bedenkt, daß ein Umspringen um ein ganzes Lichtjahr möglich ist, dann sind hundert Meter schon eine wunderbare Stabilität.«
»Aber noch nicht wunderbar genug«, entgegnete Selene kurz.
Gottstein schaltete sich ein: »Lassen Sie mich mal raten, worum es geht. Sie meinen, daß die Materie hier oder dort oder irgendwo — willkürlich — in unser Universum herüberfließen kann?«
»Nicht ganz willkürlich, Hochkommissar«, antwortete Denison. »Die Wahrscheinlichkeit eines Durchflusses nimmt mit wachsender Entfernung vom Pionisator ab, und ziemlich plötzlich sogar, würde ich sagen. Der Umfang dieser Abschwächung hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, und ich glaube, wir haben die Sache schon erstaunlich fest im Griff. Trotz allem ist ein Sprung von hundert Metern durchaus denkbar, und Sie haben ja auch einen erlebt.«
»Und der Punkt hätte sich auch an irgendeiner Stelle in der Stadt oder womöglich in unseren Helmen bilden können?«
»Nein, nein«, erwiderte Denison ungeduldig. »Der Durchfluß ist — wenigstens nach der von uns angewandten Methode — weitgehend von der Dichte der Materie abhängig, wie sie in diesem Universum besteht. Die Chancen sind praktisch gleich Null, daß sich der Durchflußpunkt aus einem weitgehenden Vakuum an eine Stelle verlagern würde, wo die Atmosphäre auch nur ein Hundertstel so dicht ist wie in der Stadt oder in unseren Helmen. Es wäre grundsätzlich unpraktisch, den Durchfluß woanders als in einem Vakuum einrichten zu wollen — weshalb wir diesen Versuch auch hier draußen an der Oberfläche machen mußten.«
»Dann ist es also nicht wie bei der Elektronenpumpe?«
»Ganz und gar nicht«, antwortete Denison. »In der Elektronenpumpe findet ein Materieaustausch statt — hier jedoch nur ein einseitiger Durchfluß. Auch sind die betroffenen Universen nicht die gleichen.«
»Ob ich Sie heute abend zum Essen einladen dürfte, Dr. Denison?« fragte Gottstein.
Denison zögerte: »Mich allein?«
Gottstein versuchte sich in Selenes Richtung zu verbeugen, brachte jedoch in seinem Raumanzug nur eine groteske Bewegung zustande: »Es wäre mir eine Freude, Miß Lindstroms Gesellschaft bei anderer Gelegenheit zu genießen, aber heute abend muß ich allein mit Ihnen sprechen, Dr. Denison.«
»Schon gut, nimm ruhig an«, sagte Selene entschieden, als Denison zögerte. »Ich habe morgen sowieso viel vor, und du brauchst Zeit, um über die Stabilität des Durchflußpunktes nachzudenken.«
»Na dann — Selene, läßt du mich wissen, wann du wieder frei hast?«
»Das tue ich doch immer, nicht? Und wir sprechen uns sowieso vorher noch… Warum gehen die beiden Herren nicht schon voraus? Ich kümmere mich um die Geräte.«
15
Barron Neville trat von einem Fuß auf den anderen — auf eine Weise, wie sie ihm von der engen Unterkunft und der Mondschwerkraft diktiert wurde. In einem größeren Raum, bei stärkerer Gravitation, wäre er hastig auf und ab geschritten. So neigte er sich nur von einer Seite auf die andere und glitt dabei immer wieder vor und zurück.
»Dann bist du also sicher, daß es funktioniert. Stimmt das, Selene? Du bist sicher?«
»Ich bin sicher«, antwortete Selene. »Ich habe dir die Geschichte schon fünfmal erzählt.«
Neville schien gar nicht zuzuhören. Mit leiser Stimme sagte er: »Es macht also nichts, daß Gottstein dabei war? Er hat nicht versucht, das Experiment zu stoppen?«
»Nein. Natürlich nicht.«
»Und es gibt keinen Hinweis, daß er seine Macht ausüben wollte, um…«
»Also, Barron, welche Autorität sollte er wohl geltend machen? Kann uns die Erde eine Polizeimacht auf den Hals schicken… Außerdem… oh, du weißt, daß sie uns nicht aufhalten können.«
Neville erstarrte, blieb eine Weile reglos stehen. »Sie wissen es noch nicht? Sie wissen es noch immer nicht?«
»Natürlich nicht. Ben schaute zu den Sternen auf, und dann kam Gottstein. Also versuchte ich den Felddurchfluß, bekam ihn und hatte auch schon das andere in der Tasche. Bens Versuchsanordnung…«
»Nennen wir’s nicht seine Anordnung. Das Ganze war doch deine Idee, nicht?«
Selene schüttelte den Kopf. »Ich habe vage Andeutungen gemacht. Die Einzelheiten kommen von Ben.«
»Aber du kannst das alles nachbauen. Um Lunas willen — wir brauchen nicht mehr zu dem Erdchen zu gehen, nicht?«
»Ich glaube schon, daß ich so viel zusammenbekomme, daß unsere Leute das übrige nachbauen können.«
»Also gut. An die Arbeit.«
»Noch nicht. Verdammt, Barron, noch nicht!«
»Warum nicht?«
»Wir brauchen auch die Energie.«
»Aber die haben wir doch.«
»Nicht ganz, der Durchflußpunkt ist noch ziemlich instabil.«
»Aber das läßt sich abstellen; du hast es selbst gesagt.«
»Ich habe gesagt, ich wüßte vielleicht, wie das geht.«
»Das reicht mir.«
»Trotzdem wäre es besser, wenn wir Ben die Einzelheiten ausarbeiten und den Punkt stabilisieren lassen.«
Schweigen. Auf Nevilles Gesicht erschien ein Ausdruck von Feindseligkeit. »Meinst du, ich schaffe es nicht? Ist es das?«
»Kommst du mit zur Oberfläche hinauf und arbeitest daran?« fragte Selene. Wieder herrschte Schweigen. Schließlich sagte Neville unruhig: »Ich schätze deinen Sarkasmus nicht sehr. Und ich möchte nicht zu lange warten müssen.«
»Ich kann die Naturgesetze nicht umkrempeln. Aber ich glaube, es dauert nicht mehr lange… Und jetzt gehe ich, wenn du nichts dagegen hast. Ich muß zu Bett. Ich habe morgen meine Touristen.«
Einen Augenblick lang schien Neville Anstalten machen zu wollen, auf seine Bettnische zu deuten und seine Gastfreundschaft anzubieten; doch die Geste, wenn sie das ausdrücken sollte, kam nicht recht zustande, und Selene ließ auch nicht erkennen, ob sie sie begriff oder erwartet hatte. Sie nickte müde und ging.