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Roger Gardner war nicht den ganzen Weg gereist, um jetzt ohne weiteres aufzugeben.

«Ihre Schwester gehört aber doch zur Familie«, sagt er.

«Meine Halbschwester.«

«Auch gut.«

«Mr. Gardner«, erklärte ich,»vor vierzig Jahren hat meine Mutter ihre kleine Tochter im Stich gelassen und ist ihrem Mann davongelaufen. Die Strattons haben hinter ihr dichtgemacht. Sie war nur noch ein Dreck, in Großbuchstaben. Für die Tochter, meine Halbschwester, existiere ich gar nicht. Es tut mir leid, aber was ich sage oder tue, würde keinen aus der Familie in irgendeiner Weise beeindrucken.«

«Der Vater Ihrer Halbschwester.«

«Ihn«, sagte ich,»am allerwenigsten.«

Stille trat ein, und während die schlechte Nachricht verdaut und verarbeitet wurde, kam ein schlaksiger blonder Junge aus einem der Schlafzimmer auf der Galerie die Treppe heruntergesaust, winkte mir lässig mit der Hand und trat in die Küche, um gleich darauf mit dem jetzt angezogenen Baby im Arm wieder herauszukommen. Er brachte den Kleinen nach oben, nahm ihn mit auf sein Zimmer und schloß die Tür. Das Schweigen hielt an.

In Rogers Gesicht mehrten sich die Fragen, die er zu meiner Belustigung noch immer nicht stellte. Als Reporter wäre Roger — Lieutenant Colonel R. B. Gardner laut den Rennprogrammen von Stratton Park — ein Totalausfall gewesen, aber ich fand seine Hemmungen erholsam.

«Sie waren unsere letzte Hoffnung«, klagte Oliver Wells vorwurfsvoll.

Wenn er hoffte, mir dadurch Schuldgefühle einzuflößen, war er schiefgewickelt.»Was erwarten Sie denn von mir?«fragte ich einfach.

«Wir dachten…«, begann Roger. Die Stimme versagte ihm, dann fing er sich und versuchte es beherzt noch einmal.»Na ja, wir hatten gehofft, Sie könnten denen vielleicht den Kopf zurechtsetzen.«

«Wie denn?«

«Nun, zunächst mal sind Sie kräftig.«

«Kräftig?« Ich starrte ihn an.»Heißt das, ich soll ihnen buchstäblich die Köpfe zurechtsetzen?«

Anscheinend hatte mein Aussehen sie da unwillkürlich auf Ideen gebracht. Ich war in der Tat großgewachsen und körperlich stark; das ist zum Häuserbauen sehr nützlich. Und ich gebe ja auch zu, daß es mir schon geholfen hat, einen Standpunkt durchzusetzen. Aber manchmal ließ sich Übereinstimmung leichter erzielen, wenn man leise auftrat und die breiten Schultern ein wenig zurücknahm, und von Natur aus neigte ich mehr dazu. Lethargisch nannte mich meine Frau. Zu faul zum Kämpfen. Zu behäbig. Aber die alten Häuser wurden restauriert, die zuständigen Ämter niemals enttäuscht, und ich hatte gelernt, mit Konzilianz und Sachlichkeit an den meisten Planungsbeamten vorbeizukommen.

«Ich bin nicht Ihr Mann«, sagte ich.

Roger klammerte sich an Strohhalme.»Aber Sie sind doch Anteilseigner. Können Sie damit nicht den Krieg beenden?«

«Sind Sie in erster Linie wegen der Anteile zu mir gekommen?«fragte ich.

Roger nickte unglücklich.»Wir wissen nicht, an wen wir uns sonst wenden sollen, verstehen Sie?«

«Sie dachten also, wenn ich vielleicht in die Arena presche, mit meinen Scheinen wedle und schreie: >Schluß jetzt!<, werfen sie alle ihre Vorurteile über Bord und vertragen sich?«

«Es könnte helfen«, sagte Roger, ohne eine Miene zu verziehen.

Ich mußte lächeln.»Zunächst einmal«, sagte ich,»gehören mir nur sehr wenige Anteile. Meine Mutter hat sie damals als Abfindung bei der Scheidung bekommen, und nach ihrem Tod habe ich sie geerbt. Sie werfen hin und wieder eine kleine Dividende ab, weiter nichts.«

Rogers Gesichtsausdruck wechselte von Verwirrung zu Bestürzung.»Soll das heißen, Sie haben noch gar nicht gehört, um was die sich zanken?«fragte er.

«Wie ich schon sagte, ich stehe nicht mit ihnen in Verbindung. «Ich wußte nur, was ich einer kurzen Notiz im Wirtschaftsteil der Times hatte entnehmen können (»Strat-ton-Erben im Streit wegen familieneigener Rennbahn«) und dem deftigeren Kommentar eines Sensationsblatts (»Kampf mit schweren Säbeln in Stratton Park«).

«Ich fürchte, daß Sie bald von ihnen hören werden«, sagte Roger.»Eine Faktion möchte die Bahn einem Bauunternehmen verkaufen. Wie Sie wissen, liegt das Gelände im Nordosten von Swindon, einer Gegend also, die ständig wächst. Die Stadt hat sich über Nacht zu einem Industriezentrum entwickelt. Alle möglichen Firmen lassen sich dort nieder. Swindon strotzt vor neuem Leben. Ihre paar Anteile könnten schon jetzt ziemlich was wert sein und in Zukunft vielleicht noch mehr. Einige Strattons wollen also sofort verkaufen, einige wollen warten, und wieder andere wollen überhaupt nicht verkaufen, sondern weiter die Rennbahn betreiben, und ich hätte eigentlich gedacht, die Sofortverkäufer wären mittlerweile an Sie rangetreten. Jedenfalls werden sie sich jetzt bald an Ihre Anteile erinnern und Sie in den Streit mit hineinziehen, ob es Ihnen paßt oder nicht.«

Er schwieg, da er glaubte, sein Anliegen hinreichend unterstrichen zu haben, und das hatte er wohl auch. Mein aufrichtiger Wunsch, jedem Gezänk aus dem Weg zu gehen, war offenbar der» Realität «zum Opfer gefallen, dem Sammelbegriff eines meiner Söhne für Katastrophen aller Art.

«Und Sie«, bemerkte ich,»gehören natürlich zu der Partei, die möchte, daß die Rennen weitergehen.«

«Hm, ja«, gab Roger zu.»Ja, das möchten wir. Offen gestanden hofften wir, Sie überreden zu können, daß Sie mit Ihren Anteilen gegen den Verkauf stimmen.«

«Ich weiß nicht, ob meine Anteile überhaupt stimmberechtigt sind, und es dürften zu wenig sein, um die Lage entscheidend zu beeinflussen. Aber woher wissen Sie, daß ich welche habe?«

Roger blickte kurz auf seine Fingernägel und entschloß sich, offen zu sein.

«Die Rennbahn ist eine GmbH, wie Sie sicher wissen. Es gibt einen Vorstand und Vorstandssitzungen, und die Anteilseigner werden immer benachrichtigt, wenn die Jahreshauptversammlung stattfindet.«

Ich nickte ergeben. Die Nachricht kam jedes Jahr, und jedes Jahr ließ ich sie links liegen.

«Voriges Jahr nun war die Sekretärin, die sonst das Rundschreiben versendet, krank, und Lord Stratton sagte zu mir, übernehmen Sie das mal, mein Guter…«- er ahmte die Stimme des alten Mannes treffend nach —,»also habe ich die Nachricht verschickt und mir gleichzeitig die Liste mit den Namen und Adressen für die Zukunft kopiert…«, er schwieg einen Augenblick,»falls ich sie noch mal brauchen sollte, verstehen Sie?«»Und jetzt ist die Zukunft da«, sagte ich. Ich überlegte.»Wer hat denn sonst noch Anteile? Haben Sie die Liste zufällig dabei?«

Ich sah ihm an, daß er sie mitgebracht hatte, und auch, daß er nicht so recht wußte, ob es vertretbar war, sie aus der Hand zu geben. Sein gefährdeter Arbeitsplatz wog jedoch schwerer als alles andere, und nach einem ganz kurzen Zögern griff er in die Innentasche seines Tweedsakkos und zog ein sauber gefaltetes Blatt Papier hervor. Eine neue Kopie dem Anschein nach.

Ich faltete sie auseinander und las die ausgesprochen kurze Liste:

William Darlington Stratton (3. Baron)

Die Ehrenwerte Mrs. Marjorie Binsham Mrs. Perdita Faulds Lee Morris, Esq.

«Das sind alle?«erkundigte ich mich verblüfft.

Roger nickte.

Marjorie Binsham, das wußte ich, war die Schwester des alten Lords.»Wer ist Mrs. Perdita Faulds?«fragte ich.

«Ich weiß es nicht«, sagte Roger.

«Bei ihr sind Sie also nicht gewesen. Und zu mir kommen Sie?«

Roger schwieg, aber er brauchte auch nicht zu antworten. Ein ehemaliger Soldat wie er fand es leichter, mit Männern umzugehen als mit Frauen.

«Und wer«, sagte ich,»erbt die Anteile des alten Herrn?«

«Das weiß ich eben nicht«, antwortete Roger verärgert.

«Die Familie schweigt darüber. Sie sagt keinen Piep über das Testament, und bis es vom Gericht bestätigt wird, ist eine Einsichtnahme ja nicht möglich — und darauf können wir noch Jahre warten, wenn’s so weitergeht. Müßte ich raten, würde ich sagen, Lord Stratton hat allen gleiche Anteile hinterlassen. Auf seine Art war er gerecht. Gleiche Beteiligung hieße, daß die Kontrolle nicht bei einem einzelnen liegt, und das ist der Kern des Problems, würde ich meinen.«