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«Die Jungen brauchen endlich feste Wurzeln«, sagte Amanda, damit ihre Vernunftgründe nicht ganz vergeudet waren.

«Ja.«

«Es ist nicht fair, sie von einer Schule zur anderen zu schleifen.«

«Nein.«

«Sie haben Angst, daß sie hier wegmüssen.«

«Beruhige sie.«

«Ich faß es nicht! Können wir uns das leisten? Ich dachte, du hättest gesagt, es wäre nicht drin. Was ist mit der Villa bei Oxford, wo im Wohnzimmer der Baum wächst?«

«Wenn ich Glück habe, kriege ich diese Woche die Baugenehmigung.«

«Aber wir ziehen da nicht hin?«Trotz meiner Zusicherung war sie wieder mehr als besorgt.

«Ich fahre hin«, sagte ich.»Du und die Jungs, ihr könnt hier bleiben, solange ihr wollt. Auf Jahre. Ich werde pendeln.«

«Versprich es.«

«Versprochen.«

«Kein Schlamm mehr? Kein Dreck? Keine Planen mehr als Dach und kein Ziegelstaub in den Cornflakes?«

«Nein.«

«Was hat dich dazu bewogen?«

Der Entscheidungsprozeß, dachte ich, war etwas Rätselhaftes. Ich hätte sagen können, es sei eben der Kinder wegen wirklich Zeit, seßhaft zu werden, zumal der Älteste bald Prüfungen haben würde und kontinuierlichen Unterricht brauchte. Ich hätte sagen können, daß die Welt hier an der Grenze zwischen Surrey und Sussex, auf dem flachen Land, so friedlich und so heil sei wie sonst kaum irgendwo. Ich hätte die Entscheidung ungemein logisch begründen können.

Insgeheim wußte ich aber, daß die alte Eiche den Ausschlag gegeben hatte. Sie hatte mich mächtig angesprochen den Jungen in mir, der im Londoner Großstadtgetriebe aufgewachsen war, umgeben von Landschaften aus Stein.

Ich hatte die Eiche vor einem Jahr zum erstenmal gesehen, und auch damals hatten sich als Flaum die Blätter angekündigt. Ihre starken, gleichmäßigen Äste luden zum Klettern ein, und da ich alleine dort war, stieg ich ohne Hemmungen hinauf, machte es mir in der uralten Krone bequem und betrachtete den Schandfleck von einer Scheune, riesengroß, halb verfallen, die der in Geldnot geratene Grundstückseigentümer bei Strafe nicht abreißen durfte. Eine historische Zehntscheune! Ein Wahrzeichen! Die mußte da stehenbleiben, bis sie von selbst einfiel.

Welch ein Unfug, hatte ich gedacht, als ich von dem Baum herunterkletterte und durch eine knarrende Öffnung, die als Eingang diente, in die Ruine trat. Verrücktgewordene Geschichtsverehrung.

Teile des hohen Daches fehlten. Auf der Westseite hingen die Balken alle schief und quer, ihre Auflager waren völlig verwittert. Ein rostiger, ausrangierter Traktor stand zwischen Bergen von anderem Schrott und jungen Schößlingen, die sich aus Rissen im Betonboden hochkämpften. Ein scharfer Wind blies durch die Lotterlaube, unfreundlich und kalt.

Ich hatte fast sofort gesehen, was sich daraus machen ließ, so als hätte der Entwurf schon lange in meinem Kopf geschlummert und auf seine Stunde gewartet. Es würde ein Haus für Kinder sein. Nicht unbedingt für meine eigenen, aber für Kinder. Für das Kind, das ich gewesen war. Ein Haus mit vielen Zimmern, mit Überraschungen, mit Verstecken.

Die Jungen hatten zu Anfang überhaupt nichts davon gehalten, und Amanda, hochschwanger, war in Tränen ausgebrochen, doch die Baubehörde war hilfsbereit gewesen, und der Grundbesitzer hatte mir die Scheune mit einem Morgen Land drumherum verkauft, als könne er sein Glück nicht fassen. Als die Söhne herausfanden, daß jeder ein eigenes Zimmer als Reich für sich bekommen würde, hörten die Einwendungen wie durch ein Wunder auf.

Ich hatte die Eiche von einem Naturschützer begutachten lassen. Ein Prachtexemplar, hatte er gesagt. Dreihundert Jahre alt. Sie würde uns alle überleben, meinte er, und ihre zeitlose Stärke schien mir Frieden zu geben.

Amanda sagte noch einmaclass="underline" »Was hat dich dazu bewogen?«

Ich sagte:»Die Eiche.«

«Was?«

«Der gesunde Menschenverstand«, sagte ich, und damit war sie zufrieden.

Am Mittwoch erhielt ich zwei weichenstellende Briefe. Der erste kam von der Kreisverwaltung Oxford, die mir mitteilte, daß mein dritter Antrag für den Umbau der Villa mit der Buche im Wohnzimmer abgelehnt war. Ich rief an, um den Grund zu erfahren, da sie den dritten Antrag inoffiziell schon so gut wie genehmigt hatten. Eine verkniffene Stimme erklärte mir, sie seien jetzt der Ansicht, daß die Villa nicht, wie ich vorgeschlagen hatte, in vier kleinere Einheiten aufgeteilt, sondern zu einer zusammenhängenden Wohnung umgebaut werden sollte. Vielleicht könnte ich dafür ja Pläne einreichen. Nein danke, sagte ich. Vergessen Sie’s. Ich rief den Besitzer der Villa an, daß ich am Kauf nicht mehr interessiert sei, und wie vorauszusehen explodierte er vor Wut, aber keine Baugenehmigung, kein Kauf, so hatten wir es fest vereinbart.

Seufzend legte ich auf und warf die Arbeit von drei Monaten in den Papierkorb. Buchstäblich zurück ans Zeichenbrett.

Der zweite Brief kam von einem Anwaltsbüro, das die Familie Stratton vertrat, und war die Einladung zu einer außerordentlichen Versammlung der Gesellschafter von Stratton Park in der kommenden Woche.

Ich rief die Anwälte an.»Wird erwartet, daß ich da teilnehme?«fragte ich.

«Das weiß ich nicht, Mr. Morris. Da Sie aber Anteilseigner sind, war man verpflichtet, Sie auf die Versammlung hinzuweisen.«

«Und was meinen Sie?«

«Allein Ihre Entscheidung, Mr. Morris.«

Die Stimme war vorsichtig und unverbindlich, keinerlei Hilfe.

Ich fragte, ob ich stimmberechtigte Anteile hätte.

«Ja, haben Sie. Jeder Anteil eine Stimme.«

Am Freitag, ihrem letzten Schultag vor den Osterferien, holte ich die Jungen aus der Schule ab: Christopher, Toby, Edward, Alan und Neil.

Sie wollten wissen, was ich mir für ihre Ferien ausgedacht hatte.

«Morgen«, sagte ich ruhig,»gehen wir zum Rennen.«

«Autorennen?«fragte Christopher hoffnungsvoll.

«Pferderennen.«

Sie machten würgende Geräusche.

«Und nächste Woche… auf Ruinensuche«, sagte ich.

Der ohrenbetäubende Protest dauerte bis nach Hause.

«Wenn ich nicht ein anderes schönes, baufälliges Stück finde, müssen wir das Haus hier doch verkaufen«, sagte ich, als ich draußen anhielt.»Ihr habt die Wahl.«

Ernüchtert murrten sie:»Warum suchst du dir keine richtige Arbeit?«, was ich so auffaßte, wie es gemeint war

— als resigniertes Einverständnis mit dem vorgegebenen Programm. Ich hatte ihnen immer gesagt, woher das Geld für Essen, Kleider und Fahrräder kam, und da sie noch nie ernstlich Mangel gelitten hatten, war ihr Vertrauen in Abbruchhäuser unerschöpflich; oft wiesen sie mich spontan auf mögliche Objekte hin.

Nach dem Aus für die Villa hatte ich die Zuschriften auf eine Annonce noch einmal durchgesehen, die ich vor drei Monaten im Spectator aufgegeben hatte:

Suche unbewohnbaren Altbau, egal ob Schloß oder Kuhstall.

Ich ging mehreren interessanten Angeboten nach, um zu sehen, ob sie noch standen. Da sie wegen des jüngsten Einbruchs der Grundstückspreise offenbar alle noch zu haben waren, versprach ich, zur Besichtigung vorbeizukommen, und stellte eine Liste auf.

Ich mochte mir kaum eingestehen, daß die unbewohnbaren Gebäude, die ich dabei ständig im Hinterkopf hatte, die Tribünen von Stratton Park waren.

Nur ich allein wußte, was ich dem dritten Baron schuldig war.

Kapitel 2

Es regnete während des Hindernismeetings in Stratton Park, doch meine fünf Großen — von Christopher, vierzehn, bis Neil, sieben — meckerten weniger über das Wetter als darüber, daß sie an einem Samstag in sauberen, unauffälligen Klamotten herumlaufen mußten. Toby, zwölf, der Fahrer des roten Fahrrads, hatte sich um den Ausflug zu drücken versucht, doch Amanda hatte ihn zu den anderen in den Kombi verfrachtet und uns Coca-Cola und Brötchen mit Schinkenomelett eingepackt, die wir uns bei der Ankunft auf dem Parkplatz schmecken ließen.