«Lassen Sie ihn frei«, rief ich ohne allen Stolz, bereit zu flehen, bereit zu jeder feigen Speichelleckerei, die nötig war.
«Holen Sie ihn sich, sonst zünde ich ihn an.«
Neben Keith stand in einem hohen, kunstgeschmiedeten Behälter eine langstielige, mit lodernder Flamme brennende Fackel, wie man sie bei Grillparties, bei Fackelzügen oder auch zur Brandstiftung bei Ausschreitungen benutzt; Neil auf einer Seite, die Fackel auf der anderen. In der Mitte Keith mit einem Plastikkanister ohne Verschluß.
«Das ist Benzin, Pa«, rief Alan neben mir.»Er hat es auf den Boden geschüttet und angesteckt. Wir dachten, womöglich steckt er uns auch an, und sind weggelaufen, aber er hat Neil erwischt… er darf Neil nicht verbrennen, Pa.«
«Geh raus«, brüllte ich ihn verzweifelt an, und er stockte und blieb abrupt stehen, Tränen auf den Wangen.
Ich lief auf Keith zu, auf sein entsetzliches Grinsen, auf meinen entsetzten Sohn. Ich lief auf das unvermeidliche Feuer zu, lief, so schnell ich konnte, lief rein instinktiv.
Wenn Keith etwas loswerden will, verbrennt er es.
Ich würde ihn über den Haufen rennen, dachte ich. Ich würde mit ihm zu Boden gehen. Er würde mit mir gehen… ganz gleich, wohin.
Er hatte nicht mit einem Angriff gerechnet. Er trat einen Schritt zurück, leicht verunsichert, und Neil schrie weiter. Später wurde mir klar, daß man zu den wahnsinnigsten Mitteln greift, um seine Kinder zu retten.
Im Augenblick waren in meinem Bewußtsein nur Flammen, Zorn, der beißende Geruch von Benzin, ein klares Bild vom weiteren Ablauf.
Er würde den Benzinkanister auf mich schleudern und die Fackel hochreißen, und dafür mußte — mußte — er Neil loslassen. Ich würde ihn von Neil wegstoßen, der damit am Leben bleiben und außer Gefahr sein würde.
Sechs Schritte entfernt, vorwärtsrennend, gab ich alle Hoffnung auf, dem Feuer zu entgehen. Aber Keith würde auch brennen… und sterben… dafür würde ich sorgen.
Eine kleine dunkle Gestalt warf sich auf den letzten Metern plötzlich zwischen uns wie ein Kobold aus dem Nichts, nur Arme und Beine, linkisch, aber schnell. Sie rannte in Keith hinein und brachte ihn aus der Balance, so daß er mit rudernden Armen nach hinten taumelte.
Toby… Toby.
Keith ließ Neil los. Ich stieß meinen kleinen Sohn verzweifelt von ihm weg. Das Benzin schwappte aus dem Kanister und lief Keith in einem glitzernden Strom über die Beine. Schwankend versuchte er dem Brennstoff auszuweichen und stieß gegen den Ständer mit der Fackel. Der Ständer wackelte; wackelte hin und her und kippte dann um; die Flamme neigte sich in einem todbringenden Bogen abwärts.
Ich hechtete nach vorn, schnappte Toby mit rechts, packte Neil mit links, riß sie beide hoch und wandte mich in der gleichen Bewegung zur Flucht.
Ein gewaltiges Zischen ertönte hinter uns, gefolgt von einem Hitzeschwall und einem Prasseln, als wäre die ganze Luft entflammt. Über die Schulter schauend, bekam ich einen Sekundenbruchteil Keith zu sehen, mit weit aufgerissenem Mund, als ob jetzt er schreien wollte. Es sah aus, als holte er Atem dazu, und das Feuer schoß wie von einem Blasebalg angesogen durch den geöffneten Mund in seine Lunge; er brachte keinen Ton heraus, sondern griff sich an die Brust, die Augen weit offen, so daß man ringsum das Weiße sah, und fiel vornüber aufs Gesicht, ein immer schneller brennender Feuerball.
Auch mein Hemdrücken war versengt vom Kragen bis zur Taille, und Tobys Haare standen in Flammen. Ich rannte mit den Jungen in den Armen, rannte weit genug den Gang hinunter, stolperte und fiel hin, ließ Neil fallen, rollte mich auf den Rücken und fuhr Toby mit den Händen durch die Haare.
Verzweifelte Augenblicke. Neil roch nach Benzin, Toby auch, und wir mußten durchs Feuer, durch ein Labyrinth von Feuern nach draußen.
Ich schnappte keuchend erst einmal nach Luft, sammelte Kräfte, legte den linken Arm um Neil, der weinte. Ich bemühte mich, Toby zu beruhigen, und dann kam von hoch oben ein wundervoller Sprühregen, kühles, lebenspendendes Wasser tropfte und fiel zischend auf all die kleinen Feuer um uns herum, löschte schwarz die Flammen und verwandelte die zusammengekrümmte Gestalt von Keith in ein rauchendes Etwas.
Toby drückte sich an meine Brust und starrte mir ins Gesicht, als könnte er es nicht ertragen, woandershin zu sehen.
Er sagte:»Der wollte dich anzünden, nicht wahr, Papa?«
«Ja.«
«Das dachte ich mir.«
«Wo bist du hergekommen?«fragte ich.
«Aus dem Speiseraum, in dem wir zu Mittag gegessen haben. Ich hatte mich versteckt…«Seine Augen waren riesengroß.
«Ich hatte Angst, Papa. «Wasser lief ihm durch die versengten Haare und in die Augen.
«Hätte jeder gehabt. «Ich strich ihm mit den Fingerknöcheln über den Rücken, dem Prachtkerl.»Du warst tapfer wie zehntausend Helden. «Ich rang nach Worten.»Nicht jeder Junge kann von sich behaupten, daß er seinem Vater das Leben gerettet hat.«
Ich merkte, daß das für ihn nicht genügte. Er brauchte mehr, brauchte etwas, das ihn aufbaute, ihm ein bleibendes Gefühl der Selbstachtung gab, eine Kraft, auf die er immer zurückgreifen konnte.
Ich dachte daran, wie seine kleine Gestalt sich auf einen unwahrscheinlich bedrohlichen Gegner geworfen hatte, mit wild flatternden Armen und Beinen, aber erfolgreich.
Ich sagte:»Würdest du gern Karate lernen, wenn wir nach Hause kommen?«
Sein angespanntes Gesicht erstrahlte von Ohr zu Ohr. Er wischte sich die Lippen trocken.»Aber ja, Papa«, sagte er.
Ich setzte mich aufrecht, beide noch an mich gedrückt, und Christopher kam angelaufen, dann auch die beiden anderen, und alle starrten sie an mir vorbei auf den kohlschwarzen, unvorstellbaren Alptraum.
«Geht da nicht hin«, sagte ich im Aufstehen.»Wo ist Colonel Gardner?«
«Wir konnten ihn nicht finden«, sagte Christopher.
«Aber… der Sprinkler?«
«Den hab ich angestellt«, sagte Christopher.»Ich habe gesehen, wie Henry an dem Tag, als du mit der Bahn weg bist, die Schilder aufgeklebt hat. Ich wußte, wo der Hahn war.«
«Hervorragend«, sagte ich, aber kein Wort war gut genug.
«So, und jetzt gehen wir mal raus aus dem Regen.«
Neil wollte getragen werden. Ich nahm ihn hoch, er schlang mir die Arme um den Hals, schmiegte sich eng an mich, und alle sechs schlappten wir klatschnaß hinaus auf den Asphalt.
Roger kam mit seinem Jeep angefahren, stieg aus und starrte uns an.
Wir müssen schon komisch ausgesehen haben. Ein großer Junge, ein kleiner auf dem Arm, die drei anderen dicht dabei, alle tropfnaß.
Ich sagte zu Christopher:»Lauf und dreh den Hahn ab «und zu Roger:»Im Hauptzelt hat es gebrannt. Der Bodenbelag und die Dielen waren stellenweise benzingetränkt und haben Feuer gefangen, aber die Zeltleinwand nicht, da hatte Henry recht.«
«Gebrannt!« Er wandte sich zum Eingang, um selbst nachzusehen.
«Erschrecken Sie nicht«, sagte ich.»Da ist Keith drin. Er ist tot.«
Roger hielt einen Schritt inne und ging dann weiter. Christopher kam schon zurück, und die Jungen und ich fingen an zu zittern, wohl ebensosehr vor Schock und Angst wie des leichten Aprilwindes wegen, standen wir doch naß in unangenehm kalter Luft.
«Setzt euch ins Auto«, sagte ich und wies auf Darts zerbeulte Kiste.»Ihr müßt erst mal trocken werden.«
«Aber Dad.«
«Ich fahre euch.«
Sie drängelten sich hinein, als Roger mit besorgter Miene wieder aus dem Zelt kam.
«Was ist denn bloß passiert?«fragte er eindringlich.»Ich muß die Polizei rufen. Kommen Sie mit ins Büro.«