«Ja.«
«Die wird hier auf der Rennbahn abgehalten, im reservierten Speiseraum der Strattons«, sagte er.»Conrad ist ins Haupthaus noch nicht eingezogen, und er meint, ein nicht so privater Rahmen entspreche ohnehin eher dem Zweck. Werden Sie teilnehmen?«Weniger eine Frage, dachte ich, als eine dringende Bitte.
«Ich habe mich noch nicht entschieden«, sagte ich.
«Ich hoffe sehr auf Sie. Die Meinung eines Außenstehenden tut wirklich not, verstehen Sie? Der Familie selbst fehlt die Distanz.«
«Niemand wird mich da sehen wollen.«
«Noch ein Grund mehr, hinzugehen.«
Das schien mir fraglich, aber ich widersprach nicht. Zeit, die Jungen abzuholen, schlug ich vor, und als ich hinkam,»halfen «sie gerade den Jockeydienern, die Rennsättel und anderes Zeugs in große Wäschekörbe zu verfrachten, während sie mit beiden Händen Rosinenkuchen aßen.
Sie hätten nicht gestört, sagte man mir, und ich hoffte, es stimmte auch. Ich dankte allen. Bedankte mich bei Roger.»Üben Sie Ihr Stimmrecht aus«, sagte er eindringlich. Auch Jenkins dankte ich.»Guterzogene Bande«, meinte er freundlich.»Bringen Sie die ruhig mal wieder mit.«
«Wir haben zu allen >Sir< gesagt«, vertraute mir Neil im Hinausgehen an.
«Wir haben Jenkins mit >Sir< angeredet«, sagte Alan.»Er hat uns den Kuchen besorgt.«
Wir kamen zu dem Kombi und stiegen ein, und sie zeigten mir die Autogramme in ihren Programmheften. Offenbar hatten sie sich in der Jockeystube bestens amüsiert.
«War der Mann nun tot?«fragte Toby, den das immer noch mehr als alles andere beschäftigte.
«Leider ja.«
«Dachte ich mir. Ich hab noch nie einen Toten gesehen.«
«Tote Hunde schon«, sagte Alan.
«Das ist doch was anderes, du Träne.«
Christopher fragte:»Was hat der Colonel damit gemeint, daß du dein Stimmrecht ausüben sollst?«
«Bitte?«»Er hat gesagt: >Üben Sie Ihr Stimmrecht aus.< Und dabei hat er ziemlich besorgt ausgesehen, oder nicht?«
«Tja«, sagte ich,»wißt ihr denn, was Anteile sind?«
«Kuchenstückchen«, tippte Neil.»Wenn jeder eins kriegt.«
«Nehmen wir mal ein Schachbrett«, sagte ich,»das hat vierundsechzig Felder, ja? Und sagen wir, jedes Feld ist ein Anteil. Dann wären es zusammen vierundsechzig Anteile.«
Die jungen Gesichter verrieten mir, daß das Konzept nicht rüberkam.
«Also gut«, sagte ich,»nehmen wir einen Fliesenfußboden.«
Sie nickten sofort. Mit Fliesen kannten sie sich aus als Architektenkinder.
«Nun legt ihr zehn Fliesen längs, zehn quer und füllt dann die Fläche aus.«
«Hundert Fliesen«, nickte Christopher.
«Gut. Jetzt sagen wir mal, jede Fliese ist ein Anteil, ein Hundertstel von der Gesamtfläche. Insgesamt sind es hundert Anteile. Okay?«
Sie nickten.
«Und das Stimmrecht?«fragte Christopher.
Ich zögerte.»Angenommen, ein Teil der Fliesen gehört euch, dann könnt ihr bestimmen, welche Farbe die haben sollen… rot, blau, oder was immer ihr wollt.«
«Über wie viele könntest du bestimmen?«
«Über acht«, sagte ich.
«Du kannst dir acht blaue Fliesen wünschen? Und die anderen?«
«Die anderen zweiundneunzig gehören anderen Leuten.
Die können sich für ihre Fliesen jede Farbe aussuchen, die ihnen gefällt.«
«Das gäbe aber ein Durcheinander«, hob Edward hervor.»Die kriegt man doch nicht alle unter einen Hut.«
«Da hast du völlig recht«, sagte ich lächelnd.
«Aber eigentlich geht es ja nicht um Fliesen, oder?«sagte Christopher.
«Nein. «Ich hielt inne. Ausnahmsweise hörten sie mal alle zu.»Sagen wir, die Rennbahn hier entspricht einhundert Fliesen. Hundert Hundertstel. Hundert Anteile. Ich habe acht Anteile davon. Zweiundneunzig sind in anderen Händen.«
Christopher zuckte die Achseln.»Dann hast du nicht viel. Acht ist noch nicht mal eine Reihe.«
Neil sagte:»Wenn die Rennbahn durch hundert geteilt wird, könnten auf den acht Hundertsteln von Papa ja die Tribünen stehen!«
«Knallkopf«, sagte Toby.
Kapitel 3
Wieso bin ich hingefahren?
Ich weiß es nicht. Ich bezweifle, ob es so etwas wie eine völlig freie Wahl wirklich gibt, denn es liegt wohl in unserer Persönlichkeit begründet, welche Wahl wir treffen. Ich entscheide mich so und so, weil ich bin, wie ich bin, könnte man vielleicht sagen.
Ich entschloß mich aus recht tadelnswerten Gründen hinzufahren, nämlich wegen lockender Privateinkünfte und aus dem eitlen Glauben, ausgerechnet ich könnte womöglich den Drachen zähmen und die im Clinch liegenden Strattons friedlich zusammenführen, wie Roger und Oliver es wollten. Habgier und Stolz… starke innere Antriebe, maskiert als kluge Finanzplanung und tätige Liebe zum Nächsten.
Also schlug ich die Warnung meiner Mutter in den Wind, vergaß ihren guten Rat, brachte meine Kinder in höchste Gefahr und änderte durch meine Anwesenheit ein für allemal das Gleichgewicht der Kräfte bei den Strattons.
Nur, daß es mir an dem Tag der Hauptversammlung natürlich nicht so vorkam.
Sie fand am Mittwoch nachmittag statt, am dritten Tag der Ruinensuche. Montag früh waren die fünf Jungen und ich mit dem großen umgebauten Bus zu Hause losgefahren, der uns schon öfter als Heim auf Rädern gedient hatte, wenn die gerade umzubauende Ruine wirklich einfach unbewohnbar war.
Der Bus hatte einiges für sich: Schlafplätze für acht Personen, eine intakte Dusche, Kochecke, Sofas und Fernsehen. Ich hatte mir von einem Jachtbauer zeigen lassen, wie man Lagerräume scheinbar aus dem Nichts schuf, und wir konnten tatsächlich einen ansehnlichen Haushalt an Bord unterbringen. Viel Freiraum oder Privatsphäre ließ einem der Bus allerdings nicht, und mit zunehmendem Alter hatten die Jungen ihn als Wohnsitz immer peinlicher empfunden.
An dem fraglichen Montag bestiegen sie ihn aber ganz vergnügt, denn ich hatte ihnen versprochen, daß es nachmittags echte Ferien gäbe, wenn ich morgens immer ein verfallenes Haus abklappern könnte, und mit Landkarte und Zeitplan hatte ich mir auch wirklich eine Reihe von Dingen überlegt, auf die sie wild waren. Montag nachmittag fuhren wir Kanu auf der Themse, am Dienstag machten sie eine Kegelbahn unsicher, und jetzt, am Mittwoch, halfen sie Roger Gardners Frau, ihre Garage aufzuräumen, ein mit wundersamer Begeisterung eingelöstes Versprechen.
Ich ließ den Bus am Haus der Gardners stehen und ging mit Roger zu den Tribünen.
«Ich bin zu der Versammlung nicht geladen«, sagte er, als wäre er froh darüber,»aber ich bringe Sie hin.«
Er führte mich eine Treppe hoch, um ein paar Ecken herum und durch eine Tür mit der Aufschrift >Kein Zutritt< in eine Enklave, die im Unterschied zu dem zweckmäßigen Beton für die Allgemeinheit mit Teppichen ausgelegt war. Dann deutete er wortlos auf eine blanke, paneelierte Flügeltür, klopfte mir ermutigend auf die Schulter und ließ mich allein wie ein väterlicher Oberst, der einen Rekruten in sein erstes Gefecht schickt.
Obwohl ich mein Kommen schon bereute, öffnete ich einen der Türflügel und trat ein.
Ich hatte gute Tageskleidung gewählt (graue Hose, weißes Hemd, Schlips, marineblauer Blazer), um mich vorstandsgerecht zu präsentieren. Gepflegte Frisur, ein glattrasiertes Kinn, saubere Fingernägel. Der staub gewohnte, zupackende Bauarbeiter war mir nicht anzusehen.
Die älteren Herren auf der Versammlung trugen Anzüge. Meine Altersgenossen und die Jüngeren waren salopper gekleidet. Zufrieden dachte ich, daß ich es genau richtig getroffen hatte.
Und ich war auch zu der in dem Anwaltsbrief genannten Zeit eingetroffen, doch wie es schien, hatten die Strattons bereits angefangen. Der ganze Clan saß um einen wirklich eindrucksvollen edwardianischen Eßtisch aus altem, mit Schellackpolitur behandeltem Mahagoni herum, ihre Stühle waren neuer, aus den dreißiger Jahren wie die Tribünenbauten selbst.