Der Boden schien ihm entgegenzuspringen. Das dunkle Band eines Flusses huschte unter der Maschine weg, dann hatte Kim einen flüchtigen Eindruck kahler, braungrüner Baumkronen, die sich der Viper wie gierige Klauen entgegenstreckten. Etwas kratzte am Rumpf des Schiffes entlang. Die Viper sprang noch einmal in die Höhe und überschlug sich. Ein Flügel brach ab. Irgendwo explodierte etwas, und dann versank die Welt in einem Chaos aus splitterndem Glas, Flammen und berstendem Metall.
Brandgeruch lag in der Luft, als er erwachte. Sein Hals schmerzte, und sein Rücken fühlte sich an, als hätte ihm jemand stundenlang geduldig hineingetreten. Er bewegte sich vorsichtig, hob die Hand an den Hals und zog sie stöhnend wieder zurück. An seinen Fingerspitzen klebte Blut.
»Bleibt liegen, junger Herr«, sagte eine tiefe Stimme hinter ihm. Kim schrak zusammen. Er wollte den Kopf drehen, doch sofort zuckte ein brennender Schmerz durch Hals und Schultern und zwang ihn, bewegungslos liegenzubleiben. Schritte näherten sich, dann beugte sich ein schwarzes, glänzendes Gesicht über ihn.
»Habt Ihr große Schmerzen, junger Herr?« fragte die Stimme wieder.
Kim schüttelte vorsichtig den Kopf. Er wollte antworten, aber alles, was er hervorbrachte, war ein mühsames Krächzen.
Das schwarze Gesicht beugte sich tiefer herab. Der Widerschein des prasselnden Feuers jenseits der Lichtung übergoß es mit blitzenden Lichtreflexen und gab ihm ein bedrohliches Aussehen.
Kim schauderte. Die riesige schwarze Gestalt mit dem seltsam starren Gesicht flößte ihm Furcht ein.
Er biß die Zähne zusammen, stemmte die Ellbogen in den Boden und versuchte sich aufzurichten, aber der Schwarze drückte ihn mit sanfter Gewalt zurück.
»Ihr dürft Euch nicht bewegen, junger Herr. Ihr seid verletzt.« Eine schwarze, behandschuhte Hand machte sich an seinem Hals zu schaffen. Im ersten Moment verspürte Kim ein heftiges Brennen, das aber sofort wieder verschwand und von einem kühlen, wohltuenden Druck abgelöst wurde. Kim betrachtete seinen Retter genauer. In der herrschenden Dunkelheit war der Mann selbst wenig mehr als ein großer schwarzer Schatten gegen den sternklaren Himmel, und das zuckende Licht der Flammen verfremdete das Bild noch mehr. Trotzdem erkannte Kim jetzt, daß er in kein lebendes Gesicht, sondern in eine schwarze Metallmaske blickte, die zu einem stachelbewehrten Helm gehörte. Überhaupt schien der Mann von Kopf bis Fuß in tiefschwarzes, glänzendes Metall gepanzert zu sein. Ein Ritter - ein riesiger schwarzer Ritter, stellte Kim überrascht fest.
»Wer... bist du?« fragte er. Themistokles' Warnung fiel ihm ein. Märchenmond mochte ein phantastisches Land voll großartiger Wunderdinge sein, die noch keines Menschen Auge erblickt hatte. Aber es gab auch Gefahren hier. Ziemlich handfeste Gefahren, wie sein eigenes Schicksal bewies. Der schwarze Ritter richtete sich auf ein Knie auf und betrachtete Kim eine Zeitlang schweigend durch die schmalen Sehschlitze seiner Maske.
»Kart«, sagte er dann. »Mein Name ist Kart, junger Herr. Aber Ihr sollt nicht reden. Es strengt Euch zu sehr an.« Kim runzelte unwillig die Stirn. Ja, er fühlte sich elend, aber er mochte es nicht, daß man ihn wie ein kleines Kind behandelte. Er schob die Hand des Ritters beiseite, stemmte sich hoch und sank gleich darauf wieder zurück, als ihm schwindelig wurde.
»Ich habe Euch gesagt, daß Ihr Euch nicht anstrengen dürft, junge Herr«, sagte Kart mit leisem Tadel. »Ihr seid noch zu schwach. Sorgt Euch nicht. Wir sind bei Euch.«
Kim blinzelte. Vor seinen Augen begannen plötzlich bunte Kreise zu tanzen. »Wieso wir?« fragte er. »Wer... seid ihr überhaupt? Und wie komme ich hierher?«
Kart schüttelte den Kopf. »Viele Fragen auf einmal, junger Herr«, sagte er. »Wir - das sind meine Männer und ich. Wir brachen auf, um Euch willkommen zu heißen.«
Kim hätte am liebsten laut gelacht, wenn er sich nicht so elend gefühlt hätte.
»Ich weiß, daß wir zu spät kamen«, sagte Kart, als hätte er Kims Gedanken gelesen. »Wir sahen Eure Maschine abstürzen, aber wir konnten nichts tun.«
»Ist sie schlimm beschädigt?« fragte Kim.
Kart drehte den Kopf in die Richtung, aus der das flackernde rote Licht und das Prasseln der Flammen kamen. »Seht selbst.« Er bückte sich, schob die Hände unter Kims Achseln und setzte ihn vorsichtig auf.
Die Viper lag etwa fünfzig Meter von ihnen entfernt am Ende einer breiten, versengten Schleifspur. Der Jäger hatte sich wie ein gewaltiges Geschoß in den Boden gegraben, hatte Büsche, Wurzelwerk und kleinere Bäume zerfetzt und war schließlich am Fuße einer riesigen Eiche zerschellt. Der schlanke Rumpf war zusammengestaucht und an vielen Stellen geborsten. Zu beiden Seiten des zertrümmerten Raumschiffes brannte der Wald, und aus dem zerschmetterten Cockpit drang schwarzer Qualm. Kim beobachtete eine Zeitlang die hochgewachsenen schwarzen Gestalten, die vor dem prasselnden Feuer auf und ab liefen und versuchten, den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Dann schloß er mit einem lautlosen Seufzer die Augen. Die Viper würde nirgends mehr hinfliegen.
»Ihr hattet Glück im Unglück, junger Herr«, sagte Kart. »Ihr wurdet beim Aufprall aus der Maschine geschleudert.«
»Schönes Glück«, murrte Kim. »Ich hätte mir um ein Haar den Hals gebrochen.« Er warf dem Wrack der Viper einen letzten, bedauernden Blick zu, schüttelte den Kopf und versuchte, sich aus eigener Kraft aufzusetzen. Es ging einigermaßen.
»Ihr seid mir entgegengeritten, sagst du?«
Kart nickte. »Ja. Unser Herr schickt uns, Euch den Weg zu zeigen.«
»Euer Herr?« Kim sah den hünenhaften Ritter fragend an. »Du meinst Themistokles?«
Kart zögerte. Er trat einen Schritt zurück und nickte ruckartig. »Meine Männer und ich werden Euch sicher nach Morgon geleiten.«
»Morgon?«
»Das Schloß unseres Herrn«, antwortete der schwarze Ritter. »Es erwartet Euch. Für Euren Empfang ist alles vorbereitet.«
»Der erste Empfang hat mir gereicht«, entgegnete Kim mit gequältem Lächeln. Er versuchte noch einmal aufzustehen und sank mit einem wimmernden Schmerzenslaut zurück.
»Bleibt liegen, junger Herr«, mahnte Kart. »Ihr dürft nicht laufen.«
»Schon gut, schon gut«, fauchte Kim. »Ich habe es begriffen.« Er umklammerte sein Fußgelenk und biß die Zähne zusammen. »Und hör endlich auf, mich junger Herr zu nennen«, fügte er hinzu. »Ich heiße Kim.«
Kart nickte. Kim glaubte die Augen hinter den schmalen Sehschlitzen der Metallmaske spöttisch aufblitzen zu sehen. »Wie Ihr befehlt... Kim.« Er drehte sich um, rief ein paar Worte in einer dunklen, fremden Sprache und machte eine befehlende Geste. Zwei schwarzgepanzerte Ritter eilten herbei, faßten Kim unter den Armen und hoben ihn wie ein Spielzeug hoch.
»He!« beschwerte sich Kim. »Was soll das?«
»Wir haben einen Wagen für Euch vorbereitet. Ihr könnt nicht reiten. Und wir müssen Morgon vor dem Morgengrauen erreichen.« Kart wandte sich um und ging mit steifen Schritten auf den Waldrand zu. Er bewegte sich nicht wie ein Mensch, sondern wie ein großer, perfekter Roboter, fand Kim.
Die Ritter trugen ihn über die Lichtung in den Wald. Ein gutes Dutzend großer schwarzer Pferde war zwischen den Bäumen angebunden; mächtige Tiere mit schwarzem Sattelzeug und gepanzerten Köpfen. Von den Sätteln hingen Waffen und riesige, dreieckige Schilde. Die Tiere schnaubten unruhig, warfen die Köpfe hin und her und versuchten nach den Reitern zu beißen. Einer der Männer schlug dem zunächststehenden Pferd mit der behandschuhten Hand auf die Nüstern.
Kart deutete auf einen vierrädrigen, hölzernen Karren, der hinter den Pferden abgestellt war.
»Wir konnten leider kein edleres Gefährt für Euch finden«, erklärte er. »Aber dies mag angehen, um Euch nach Morgon zu bringen. Es ist nicht weit.«
Die beiden Ritter luden Kim behutsam auf dem mit Kissen ausgepolsterten Karren ab und entfernten sich auf einen Wink ihres Anführers. Kim rutschte in eine einigermaßen bequeme Lage, stützte den Kopf in die Hand und sah sich mit gemischten Gefühlen um. Dieser Wald, die Ritter mit ihren großen, häßlichen Pferden und die Dunkelheit gefielen ihm nicht. Er war erst wenige Augenblicke hier, aber er spürte bereits, daß Märchenmond anders, ganz anders war, als Themistokles gesagt hatte. Und er hatte das sichere Gefühl, daß dies nicht die einzige unangenehme Überraschung war, die ihn hier erwartete.