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Er raffte all seinen Mut zusammen, trat einen Schritt vor und sagte noch einmaclass="underline"

»Du bist nicht Themistokles.«

Es kostete ihn unglaubliche Überwindung, hinzuzufügen:

»Du bist Boraas.«

IV

Boraas lächelte. Die goldenen Ringe an seinen Fingern blitzten, als er die Hände bewegte. Auf die Armlehnen des Thrones gestützt, beugte er sich weit vor.

»Ja«, sagte er. »Ich bin Boraas. Und ich heiße dich auf Burg Morgon willkommen, Kim. Ich habe lange auf dich warten müssen.«

»Auf mich?« fragte Kim überrascht.

»Auf dich. Oder auf jemanden wie dich«, sagte Boraas. »Es bleibt sich gleich.«

»Aber...«

Boraas machte eine herrische Geste. »Geduld, Kim. Du wirst alles erfahren, wenn die Zeit reif ist.«

Kim fuhr wütend auf. »Ich will nichts erfahren, ich...«

»Schweig!« donnerte Boraas. »Ich habe dich nicht herkommen lassen, um mit dir zu diskutieren.«

»Du hast mich kommen lassen... ?«

»Natürlich. Du wärst nicht hier, wenn nicht auf meinen Wunsch. Niemand betritt mein Reich gegen meinen Willen. Ich habe mir erlaubt, die lächerliche Flugmaschine, in der du hierhergereist bist, ein wenig umzudirigieren.«

»Du?« rief Kim verblüfft. »Du warst das?« Er dachte an die unsichtbare Kraft, die die Viper vom Kurs abgebracht und ihn beinah das Leben gekostet hatte. »Dann... dann habe ich dir den Absturz zu verdanken«, sagte er wütend.

Boraas lächelte dünn, machte »tz, tz, tz!« und lehnte sich zurück. »Du betrachtest die Dinge vom falschen Standpunkt aus, Kim«, sagte er. »Du hast mir nicht den Absturz, wohl aber dein Leben zu verdanken. Wäre Baron Kart nicht rechtzeitig mit seinen Männern zur Stelle gewesen, wärst zu gestorben.«

»Baron Kart?«

»Sehr richtig. Ich empfange meine Gäste stets mit der gebührenden Ehre. Aber ich sehe, daß du es nicht zu schätzen weißt. Baron Kart ist mein engster Vertrauter. Betrachte es als Auszeichnung, daß ich ihn und seine Garde sandte, um dich zu holen.«

Kim warf dem schwarzen Ritter einen kurzen Blick zu und wandte sich dann wieder an Boraas.

»Was willst du von mir?« fragte er.

»Eine kluge Frage, Kim. Leider ist sie leichter gestellt als beantwortet.«

Kim musterte den alten Zauberer argwöhnisch. Er mußte an das denken, was Themistokles über Boraas gesagt hatte. Und sein eigenes Erlebnis bestärkte ihn noch in dem Vorsatz, äußerste Vorsicht walten zu lassen. Er würde jedes Wort, das der Zauberer sprach, gründlich überdenken, ehe er antwortete.

»Ich nehme an, mein Bruder hat dir von mir erzählt«, sagte Boraas.

»Dein... Bruder?« fragte Kim überrascht.

Boraas nickte. »Sicher. Themistokles und ich sind Brüder. Sehr verschiedene Brüder, wie ich zugeben muß. Unsere Wege haben sich... getrennt. Vor langer, langer Zeit.«

Natürlich! dachte Kim. Daher die Ähnlichkeit zwischen Boraas und Themistokles. Er hätte von selbst darauf kommen müssen.

»Ja, er hat von dir erzählt«, bestätigte er. »Er hat mir auch gesagt, daß du meine Schwester gefangenhältst.«

Boraas machte eine wegwerfende Handbewegung. »Themistokles versäumt keine Gelegenheit, mir Übles nachzusagen.«

»Dann stimmt es also nicht?«

Boraas zuckte die Achseln. »Deine Schwester ist hier«, antwortete er. »Das stimmt. Und es stimmt auch, daß sie Burg Morgon nicht verlassen darf, ehe nicht gewisse... Dinge geschehen sind.«

»Rebekka ist hier?« rief Kim. »Ich will sie sehen.«

»Eins nach dem anderen, Junge«, sagte Boraas. »Du wirst deine Schwester sehen, sobald die Zeit dafür gekommen ist. Zuerst möchte ich wissen, weshalb Themistokles dich rief.«

»Das weißt du ebensogut wie ich.«

Boraas schüttelte betrübt den Kopf. »Ich weiß es nicht, und auch du weißt es nicht. Du glaubst es nur zu wissen. Aber was immer er dir geboten hat - ich biete dir mehr. Arbeite mit mir zusammen, und du wirst alles haben, was du dir wünschst. Macht, Reichtum, ewiges Leben - alles.«

Kim blickte den Zauberer mit wachsender Verblüffung an. Da stand er hilflos, ein Gefangener dieser Burg und ihrer schwarzen Ritter, und Boraas bot ihm Zusammenarbeit an!

»Du...« stammelte er, »du willst...!«

»Dich!« donnerte Boraas. »Dein Wort und deine Treue, nicht mehr und nicht weniger. Der Streit zwischen mir und meinem Bruder währt nun schon seit unzähligen Jahren. Ich bin es leid, mich immer wieder gegen seine Intrigen schützen zu müssen, meine Burg und mein Land nie in Sicherheit zu wissen. Kämpfe mit mir zusammen, und wir werden siegen. Themistokles hat unserer vereinten Macht nichts entgegenzusetzen.«

»Macht?« fragte Kim ungläubig.

Ein dünnes Lächeln umspielte Boraas' Lippen. »Ich weiß, was du jetzt denkst. Aber du irrst. In dir schlummert Macht, eine Kraft, die vielleicht noch größer ist, als Themistokles sich träumen ließ. Aber du allein kannst sie nicht erwecken. Ich kann es. Komm zu mir, und wir werden diesen Schandfleck von der Landkarte des Universums fegen. Gemeinsam sind wir mächtig, Kim. Allmächtig!«

Kim schauderte. In einer blitzartigen Vision sah er noch einmal das graue, kranke Land, durch das sie gekommen waren, an sich vorüberziehen. Das Reich der Schatten. Und er sah, wie sich dieses Reich ausbreitete, über das Schattengebirge hinwegflutete wie eine alles erstickende Welle, die Land um Land, Welt um Welt verschlang, und schließlich den ganzen Kosmos umfaßte, ein Universum der Schrecken und des Leids.

»Niemals!« sagte er.

Boraas zeigte sich nicht im mindesten überrascht. Lächelnd betrachtete er einen der juwelengeschmückten Ringe an seinen Fingern.

»Ich habe diese Antwort erwartet«, sagte er gleichmütig. »Fürs erste jedenfalls. Aber wir haben Zeit.«

»Zeit?«

»Ich bin überaus geduldig, Kim«, sagte Boraas sanft. »Du wirst Gelegenheit bekommen, deine Entscheidung zu überdenken.«

»Niemals!« wiederholte Kim mit Nachdruck. »Du kannst mich für zehn Jahre in deine Verliese werfen, und ich werde dennoch nicht auf deiner Seite kämpfen.«

»Das mag sein. Vielleicht jedoch nach zwanzig Jahren. Oder nach hundert. Wir haben alle Zeit der Welt, Kim.« Er grinste zufrieden. »Aber ich brauche deine Zustimmung gar nicht, weißt du«, fuhr er in leichtem Plauderton fort. »Du bist bereits auf halbem Weg zu mir. Du weißt es nur noch nicht. Aber auch wenn du es wüßtest, wärest du machtlos. Im Gegenteil - das Wissen würde die Entwicklung nur beschleunigen. Du beginnst schon, mich zu hassen. Oh, noch spürst du es nicht, aber nach den ersten Tagen im Kerker wirst du es fühlen. Du wirst fühlen, wie der Haß in dir wächst, wie er sich ausbreitet, schleichend, unaufhaltsam. Du wirst dich dagegen wehren, aber es wird dir nichts nützen. Du wirst in einem dunklen, schweigenden Kerker sitzen, allein mit dir und deinem Haß, und nach einiger Zeit wirst du an nichts mehr denken als an das, was ich dir und deiner Schwester angetan habe. Und dann wirst du beginnen, Pläne zu schmieden. Pläne für einen Ausbruch, für eine Flucht. Du weißt, daß eine Flucht nicht gelingen kann. Und dann, irgendwann, wirst du anfangen, Mordpläne gegen mich zu ersinnen. Du wirst an nichts anderes mehr denken als an deinen Haß und deine Rache. Und dann, Kim, wenn du ausgezehrt bist von Haß, dann wirst du bereit sein.« Er beugte sich vor, faltete die Hände und stützte das Kinn darauf. »Ja!« sagte er. »Themistokles hatte recht, mit jedem Wort, das er dir über mich erzählt hat. Mein Reich ist das Reich der Schatten, des Bösen. Und der Haß ist böse. Er ist eine unserer stärksten Triebkräfte. Der Haß wird auch von dir Besitz ergreifen, auch und gerade gegen deinen Willen. Und dann, Kim, dann gehörst du mir!«

»Hör auf!« schrie Kim. Er hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und krümmte sich wie unter Schmerzen zusammen. »Hör auf!« schrie er noch einmal. »Hör auf! Hör auf! Hör auf!«