Boraas lachte schallend.
»Du spürst es schon, nicht wahr? Aber noch bist du nicht bereit. - Bringt ihn weg!«
Kim reagierte blitzschnell. Eine schwarze, behandschuhte Hand griff nach ihm, aber er schlug den Arm beiseite. Der Laserstrahler sprang wie von selbst in seine Hand.
»Keinen Schritt weiter!« rief er.
Boraas lachte gellend auf. »Packt ihn!« befahl er.
Ein Ritter machte einen Schritt, und Kim drückte ab.
Nichts geschah.
Kim blickte ungläubig auf den Strahler, drückte noch einmal ab und noch einmal. Aber der tödliche Lichtblitz blieb aus. »Narr!« höhnte Boraas. »Glaubst du wirklich, ich würde noch da sitzen, wenn eure Waffen hier funktionierten? Was glaubst du, warum dein Fahrzeug ausfiel? Kein Erzeugnis eurer Technik kann hier funktionieren, keines!« Er lachte und wurde übergangslos ernst. »Aber wenn du gerne mit Blitzen spielst - das kannst du haben!«
Seine Hand zuckte wie eine zustoßende Natter vor. Ein blauer, knisternder Funke lief über seine Finger, raste auf Kim zu und schmetterte ihm die Waffe aus der Hand.
Kim schrie auf. Er taumelte zurück und umklammerte seinen Arm. Ein wahnsinniger Schmerz tobte bis in die Schulter hinauf. Dann wich alles Gefühl aus seinen Muskeln. Der Arm sank wie gelähmt herab.
Ein schwarzer Ritter packte Kim, drehte ihn grob herum und stieß ihn vor sich her durch den Saal. Boraas' höhnisches Gelächter verfolgte ihn bis auf den Gang hinaus.
»Wir sehen uns wieder, Kim!« rief er. »Bald! Vielleicht eher, als dir lieb ist. Denk daran. Und daran, was ich dir prophezeit habe!«
Dann schlug der schwere Vorhang hinter Kim und seinem Bewacher zusammen und schnitt Boraas' Gelächter ab.
Der Ritter führte ihn durch ein Labyrinth von Stiegen und Gängen tiefer und tiefer in die Burg. Kim dachte nicht an Flucht. Er wußte, daß er seinem Bewacher nicht entkommen konnte. Und wenn doch, würde er sich bloß in den verworrenen Gängen und Hallen der Burg verirren. Nein - er mußte auf eine bessere Gelegenheit warten.
Schließlich gelangten sie in einen fensterlosen, niedrigen Gang. Ein unheimlicher, grünlicher Schimmer breitete sich darin aus. Auf dem Boden faulten Abfälle und schlammiges Wasser. Der Gestank war unerträglich.
Der Ritter öffnete eine schwere Holztür. Ein halbes Dutzend Stufen führten in einen fensterlosen Kerker hinab. Von der Decke tropfte Wasser. Als Kim zögernd über die Schwelle trat, huschte eine Ratte über seinen Fuß und verschwand quiekend in der Dunkelheit.
Dann schlug die Tür hinter ihm zu. Kim stand da, ballte die Fäuste und wartete, bis seine Knie aufhörten zu zittern.
Er war gefangen - rettungslos. Er dachte daran, was Themistokles über den Herrn der Schatten und seine unterirdischen Verliese gesagt hatte.
Noch nie war es einem lebenden Menschen gelungen, aus Boraas' Kerker zu entkommen.
Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war. Dreimal hatte er sich zum Schlafen auf den feuchten Steinboden gelegt, und sieben- oder achtmal waren ihm durch eine schmale Klappe in der oberen Hälfte der Tür eine Schale mit Wasser und kleine Stücke eines bitterschmeckenden Brotes gereicht worden, das er mit Widerwillen herunterschlang. Er verbrachte Stunde um Stunde damit, in der absoluten Finsternis seines Gefängnisses zu hocken und Fluchtpläne zu schmieden, einer so perfekt - und so aussichtslos - wie der andere.
Schließlich, als Kim sich zum vierten Mal niedergelegt hatte und mit schmerzenden Gliedern und fiebriger Stirn eingeschlafen war, wurde die Tür seines Kerkers erstmals geöffnet.
Kim fuhr schlaftrunken hoch, als ihn das rostige Quietschen weckte. Schwaches rötliches Licht fiel in einem dreieckigen Streifen vom Gang herein und beleuchtete die große Gestalt des schwarzen Ritters, der in den Kerker getreten war.
»Komm mit. Unser Herr will dich sprechen!«
Kim nickte gehorsam und stand mit zitternden Knien auf. Er spürte plötzlich, wie schwach er war. Das Licht tat seinen an die lange Dunkelheit gewöhnten Augen weh, und als der Ritter ihm die Hand auf die Schulter legte und ihn mit sanftem Druck die Treppe hinaufschob, hätte er vor Schmerzen am liebsten aufgeschrien. Er stolperte und wäre gestürzt, wenn sein Bewacher nicht blitzschnell zugegriffen hätte.
Kim schüttelte die Hand trotzig ab und ging aus eigener Kraft weiter. Elend und krank, wie er sich fühlte, erschien ihm der Weg jetzt viel weiter als beim ersten Mal. Er hätte sich gern ein wenig ausgeruht. Aber sein Bewacher trieb ihn unbarmherzig weiter.
Sie durchquerten den Thronsaal und stiegen über eine schmale, steinerne Wendeltreppe weiter nach oben. Am Ende der Treppe lag eine niedrige Kammer, von der eine Tür auf die runde, von einer meterhohen Steinbrüstung eingefaßte Plattform eines Turmes hinausführte.
Dort stand Boraas und erwartete ihn. Der Zauberer trug einen wallenden schwarzen, silberbestickten Mantel. In den Händen hielt er einen dünnen silbernen Stab, einem Zepter nicht unähnlich, der von einer stilisierten Schlange mit weit aufgerissenem Maul umwunden war.
Kim hob die Hand vor die Augen, als er in den hellen Sonnenschein hinaustrat.
»Nun?« begann Boraas ohne Einleitung. »Hast du es dir überlegt?« Er entließ den Ritter mit einer Handbewegung und stellte sich Kim gegenüber, mit dem Rücken an die Brüstung gelehnt.
Eine Weile musterte er Kim schweigend. »Du willst nicht antworten«, stellte er sachlich fest. »Das habe ich befürchtet. Vielleicht sollte ich dich noch eine Zeitlang einsperren.« Er drehte nachdenklich den Stab in den Händen und wartete offensichtlich auf eine Antwort.
Kim schwieg beharrlich. Boraas hatte ihn sicher nicht aus dem Kerker heraufholen lassen, um sich mit ihm zu unterhalten. Er wollte etwas von ihm, irgend etwas, was anscheinend doch nicht soviel Zeit hatte, wie er Kim hatte weismachen wollen.
»Ich hoffe, du warst mit der Unterbringung zufrieden«, sagte Boraas spöttisch. »Burg Morgon ist nicht darauf eingerichtet, so hohe Gäste wie dich zu beherbergen. Aber wir geben uns Mühe.«
»Es ging«, antwortete Kim sarkastisch. »Ich habe schon besser geschlafen, aber ich will mich nicht beschweren.«
Boraas lachte.
»Du gefällst mir, Kim«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob aus dir die Tapferkeit eines Mannes oder die Verstocktheit eines Kindes spricht, aber du gefällst mir. Komm her.«
Kim folgte widerwillig seiner Aufforderung. Boraas drehte sich um, lehnte sich über die steinerne Brüstung und deutete mit dem Stab nach Westen.
»Mein Reich«, sagte er stolz. »Alles, so weit du sehen kannst, gehört mir. Es gibt kein lebendes Wesen zwischen diesen Bergen, das sich meinen Befehlen widersetzen würde.«
Sie standen auf dem höchsten Turm der Burg. Der Blick schweifte ungehindert über das weite, graue Land, über Wälder, Ebenen und Sümpfe bis an den Fuß des Schattengebirges. Kim versuchte die Entfernung bis dahin zu schätzen, aber die ungeheure Höhe der schneebedeckten Gipfel machte es unmöglich. Er sah nur, daß es weit war, drei, vier Tagereisen, vielleicht noch weiter.
Boraas folgte seinem Blick und grinste hämisch. »Du denkst an Flucht, nicht wahr?« sagte er. »Nun, du wirst dich damit abfinden müssen, daß es unmöglich ist, Morgon gegen meinen Willen zu verlassen. Das haben vor dir schon andere versucht.«
Kim ging nicht darauf ein.
»Was willst du?« fragte er.
»Du weißt es. Ich habe dir vor vier Tagen ein Angebot gemacht. Ich wiederhole es jetzt.«
»Meine Antwort lautet nein!«
Boraas schwieg eine Weile. Ein Windstoß bauschte seinen Umhang, und Kim konnte für einen Moment die glänzendschwarze Rüstung sehen, die der Magier darunter trug.
»Nun gut«, sagte Boraas schließlich. »Vielleicht habe ich dich unterschätzt. Spielen wir mit offenen Karten. Ich habe nicht soviel Zeit, wie ich dich glauben machen wollte.«
»Ich weiß«, murmelte Kim. »Sonst hättest du mich nicht holen lassen.«