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Kim nickte. »Ich kann dir gar nicht genug dafür danken. Aber du hast mir noch immer nicht gesagt, warum du es getan hast.«

»Ich mag die Schwarzen nicht«, antwortete Ado gleichmütig.

»Aber es war gefährlich.«

»Wieso war? Die Schwarzen werden den Wald umgraben, wenn sie dich nicht finden. Aber mach dir keine Sorgen. Hier bist du in Sicherheit. Sie kommen nie hierher. Jedenfalls«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu, »bis jetzt nicht.« Er zuckte die Achseln, gähnte ungeniert und beugte sich etwas vor. Kim bemerkte, daß er ein bißchen nach abgestandenem Wasser roch.

»Ihr lebt immer hier?« fragte er. »Du und... dein Vater?« Ado nickte. »Ja. Früher war Mutter noch bei uns. Aber das ist lange her.«

»Ist sie... gestorben?« fragte Kim.

Ados Gesicht nahm einen harten Zug an, und ein eigenartiger Ausdruck trat in seine Augen. »Nein«, sagte er, schon wieder gefaßt. »Sie ist nicht gestorben. Die Schwarzen haben sie geholt. Aber das ist lange her. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern. Ich war noch zu klein. Vater hat es mir erzählt.«

»Wer ist dein Vater?«

Ado lächelte. »Mein Vater eben, wer sonst? Wenn du wissen willst, was er ist, frag ihn selbst.«

Kim fühlte sich unbehaglich. Er merkte, daß er ein Thema angeschnitten hatte, über das Ado nicht gerne redete.

»Ich hoffe, du bekommst keinen Ärger, wenn dein Vater erfährt, was du getan hast«, sagte er besorgt.

Ado schüttelte energisch den Kopf. »Bestimmt nicht. Vater mag die Schwarzen genausowenig wie ich. Aber jetzt möchte ich etwas von dir wissen. Wer bist du, und wo kommst du her? Jemanden wie dich habe ich hier noch nie gesehen.«

Kim beantwortete gehorsam alle Fragen, die Ado ihm stellte. Es waren ihrer nicht wenige. Ados Neugier schien unersättlich. Er ließ ihn kaum einen Satz zu Ende sprechen, ohne ihn wiederholt zu unterbrechen, stellte Zwischenfragen und erkundigte sich nach jeder Kleinigkeit. Dabei brannte Kim selbst darauf, seinen Gastgeber auszufragen. Er hatte noch nie ein Wesen wie Ado gesehen, und nach allem, was ihm Boraas und Themistokles über das Reich der Schatten erzählt hatten, überraschte ihn Ados Existenz doppelt. Aber er geduldete sich. Immerhin hatte Ado ihm das Leben gerettet und dabei sein eigenes in Gefahr gebracht.

Schließlich, nach Stunden, wie es ihm vorkam, hatte er seine Geschichte bis zu dem Punkt erzählt, wo Ado aufgetaucht war. Erschöpft hielt er inne, fuhr sich mit der Hand über die Augen und gähnte.

»Du bist müde«, sagte Ado schuldbewußt. »Ich hätte dich nicht so lange mit Fragen quälen dürfen. Die Flucht aus Morgon muß dich sehr mitgenommen haben.«

Kim nickte. Er konnte sich vor Müdigkeit kaum noch aufrecht halten. Es war jedoch eine angenehme Müdigkeit. Sehnsüchtig schielte er nach dem Bett hinüber.

»Wenn du willst, kannst du dich hinlegen und schlafen«, sagte Ado. »Ich werde aufpassen, bis...« Er blickte zum Eingang und lauschte. »Vater kommt«, sagte er dann.

Kim folgte verwundert seinem Blick. Er konnte beim besten Willen nichts hören. Doch Ado hatte sich nicht getäuscht. Ein Schatten erschien im Eingang, dann schob sich eine große, breitschultrige Gestalt in die Höhle. Ado sprang auf und eilte seinem Vater entgegen. Kim erhob sich ebenfalls und deutete eine zaghafte Verbeugung an.

Ado hatte nicht übertrieben. Sein Vater war wirklich sehr, sehr seltsam. Er war alt, sehr alt, und er ging gebeugt, als trüge er eine unsichtbare, schwere Last auf den Schultern. Doch man sah ihm an, daß er früher einmal eine imponierende Erscheinung gewesen sein mußte. Sein Gesicht war schmal und von scharfen Falten durchzogen, und auf dem Kopf trug er eine verbeulte, fleckige Krone, wie ein Versatzstück aus dem Kindertheater. Aber sie wirkte bei ihm nicht lächerlich, sondern irgendwie traurig, fand Kim.

Ados Vater warf seinem Sohn einen fragenden Blick zu und trat Kim einen Schritt entgegen.

»Besuch«, stellte er fest. Und dann, mit einem Stirnrunzeln: »Du bist der, den sie suchen.«

Kim begann sich unwohl zu fühlen. Nach dem Gespräch mit Ado hatte er eine andere Begrüßung erwartet.

»Ja«, sagte er unsicher. »Ich fürchte, ja. Ich bin... mein Name ist Kim. Kim Larssen.«

»Kim Larssen«, wiederholte Ados Vater nachdenklich. »Ich bin der...« Er zögerte kurz und setzte dann bitter hinzu: »Der Tümpelkönig. Und ich vermute, daß Ado dich hierhergebracht hat.«

Kim nickte. Tümpelkönig... Ein seltsamer Name. Und doch auch wieder passend, auf eine seltsame, schwer zu beschreibende Art.

Ado konnte seine Zunge nicht länger im Zaum halten und sprudelte heraus, was geschehen war. Sein Vater hörte ihm schweigend zu, nickte dann ein paarmal mit dem Kopf und ging mit schlurfenden Schritten zum Tisch. Kim bemerkte, daß seine Füße kleine, feuchte Spuren auf dem Lehmboden hinterließen.

»Deshalb also die Aufregung«, murmelte er. »Ich bin früher nach Hause gekommen, weil ich mir nicht erklären konnte, was passiert ist. Die Schwarzen durchsuchen den ganzen Wald.« Er blickte seinen Sohn durchdringend an. »Es war nicht sehr klug von dir, ihn hierherzubringen, Ado«, sagte er. »Wenn er die Wahrheit spricht und wirklich aus Morgon entkommen ist...«

»Es ist die Wahrheit!« begehrte Kim auf.

»Dann wird Boraas nicht eher ruhen«, fuhr der Tümpelkönig fort, »als bis er ihn wieder eingefangen hat. Noch niemandem ist es gelungen, Boraas derart an der Nase herumzuführen.« Er fuhr sich mit den Fingern durch seinen langen, nassen Bart und seufzte. »Du wirst nicht hierbleiben können, Junge«, sagte er.

»Aber Vater!« rief Ado erschrocken. »Du willst ihn doch nicht wegjagen!«

»Natürlich nicht. Aber die Schwarzen werden hierherkommen. Wenn nicht heute, dann morgen.«

»Wir könnten ihn verstecken«, versuchte es Ado noch einmal.

»Sicher. Fürs erste. Aber Boraas würde nicht aufgeben. Früher oder später würde er ihn entdecken.« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Er kann hier nicht bleiben.«

Kim nickte müde. »Ich möchte Ihnen keine Schwierigkeiten bereiten«, sagte er niedergeschlagen.

»Es geht nicht um mich, Kim«, antwortete der Tümpelkönig. »Du bist es, der in Gefahr ist. Aber«, aus seiner Stimme sprach Mitgefühl, »aber ich sehe ein, daß du am Ende deiner Kräfte bist. Einen Tag magst du hierbleiben und dich ausruhen. Morgen abend werde ich dich zum Rand des Waldes begleiten.«

Kim seufzte dankbar. Nach allem, was er durchgemacht hatte, war eine Nacht Schlaf in einem richtigen Bett eine paradiesische Aussicht. Am liebsten hätte er sich sofort hineingelegt, aber der Tümpelkönig war noch nicht fertig.

»Zuerst will ich mir deinen Arm ansehen.«

Kim streifte gehorsam den Ärmel hoch. Er biß die Zähne zusammen, als der Tümpelkönig die Wunde untersuchte und schließlich behutsam mit den Fingern darüber strich. Es tat weh, aber nur für einen Augenblick. Dann geschah das gleiche, was Kim schon einmal bei Baron Kart erlebt hatte. Ein kühles, taubes Gefühl breitete sich in seinem Arm aus, und der Schmerz war wie weggeblasen. Ado holte eine Holzschale mit Verbandszeug herbei, und sein Vater versorgte Kims Arm mit einer ans Wunderbare grenzenden Geschicklichkeit, die einen Arzt hätte vor Neid erblassen lassen. Offensichtlich verfügten die Bewohner dieses Landes über ungewöhnliche Fähigkeiten, die in Kims Heimat nahezu unbekannt waren.

Kim fragte den Tümpelkönig danach. Doch dieser schüttelte betrübt den Kopf. »Für dich mag das alles neu und verwunderlich sein«, sagte er. »Aber es ist nichts dagegen, wie es war, bevor Boraas kam.«

Kim konnte mit dieser Antwort nicht viel anfangen, doch er war zu müde, um weitere Fragen zu stellen. Er kletterte ins Bett und war eingeschlafen, noch ehe er sich richtig ausgestreckt hatte.

Als Ado ihn weckte, fiel goldenes Sonnenlicht durch den Höhleneingang, und in der Luft lag der Geruch nach gebratenem Fisch.