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Priwinn deutete auf den Holzstapel in der Mitte der Lichtung. »Wir brauchen Feuer.«

Rangarig knurrte. »Schlag doch diesen beiden großen Tölpeln die Köpfe zusammen«, sagte er. »Vielleicht gibt's einen Funken.« Aber er hob trotzdem den Schädel, visierte den Brennholzstapel kurz an und gähnte dann herzhaft. Ein armdicker Feuerstrahl schoß aus seinem Rachen, sengte eine schwarze Spur ins Gras und setzte das Holz mit einem lauten Knall in Brand. Kim sprang mit einem Aufschrei zurück, als die Flammen emporschossen. Rangarig legte den Kopf wieder auf die Vorderfüße und schlief auf der Stelle weiter.

Priwinn kam grinsend ans Feuer geschlendert. »Siehst du«, sagte er. »Es geht auch ohne Feuersteine.«

Kim nickte erstaunt. Natürlich hatte er gehört, daß Drachen im allgemeinen und im besonderen imstande waren, Feuer zu speien. Aber er hatte das, wie so vieles, für eine Übertreibung gehalten.

»Jetzt fehlt nur noch Gorg mit dem Frühstück«, brummte Kelhim. Aber sie mußten noch fast zehn Minuten warten, bis der Riese wiederkam. Und als er schließlich aus dem Wald trat, trug er kein Wildbret, sondern nur seine mächtige Keule über der Schulter.

»Das Feuer aus!« befahl er. »Schnell.«

Kelhim legte mißmutig den Kopf auf die Seite. »Warum?« brummte er. »Ich habe Hunger.«

Gorg war mit ein paar langen Schritten bei ihnen und trat das Feuer aus. Funken stoben und brennende Äste flogen davon. »Schwarze!« sagte er. »Eine ganze Abteilung schwarzer Reiter ist auf dem Weg hierher!«

»Was heißt eine ganze Abteilung?« fragte Kelhim.

Gorg trampelte weiter im längst erloschenen Feuer herum. »Fünfzehn bis zwanzig«, berichtete er. »Und wenn wir nicht verdammt rasch machen, daß wir wegkommen, reiten sie uns glatt über den Haufen.«

»Aber wie können sie wissen, daß wir hier sind?« fragte Kim.

Gorg lachte. »Rangarig ist nicht leicht zu übersehen«, sagte er. »Außerdem gibt es kaum etwas, was Boraas verborgen bleibt. Seine Reiter werden ihm gemeldet haben, daß wir auf dem Weg nach Westen sind. Und es gehört nicht viel dazu, zwei und zwei zusammenzuzählen und herauszubekommen, was wir vorhaben.«

»Reg dich nicht auf«, beruhigte ihn Kelhim. »Du hast selbst gesagt, daß es höchstens zwanzig sind. Ich werde mich darum kümmern.«

»Nichts wirst du!« sagte Gorg barsch. »Ich fürchte mich genausowenig vor ihnen wie du, aber wir können uns nicht damit aufhalten, uns mit ihnen herumzuprügeln. Je eher wir die Klamm der Seelen erreichen, desto besser. Ich wecke jetzt diese verschlafene Eidechse, und dann fliegen wir weiter. - He, Rangarig!« brüllte er dem Drachen ins Ohr. »Aufwachen! Wir müssen weiter!«

Rangarig grunzte. Sein Schwanz zuckte, fällte einen mittelgroßen Baum und fegte wie zufällig Gorg von den Füßen. Dann lag der Drache wieder still und schnarchte ungerührt weiter. Gorg rappelte sich fluchend hoch und trat dem Drachen zweimal mit solcher Wucht vor die Schnauze, daß der Boden dröhnte.

Rangarig öffnete träge ein Auge. »Hat man denn nirgends seine Ruhe?« Er gähnte und riß dabei den Rachen sperrangelweit auf. Der Riese sprang kreischend zur Seite, als eine fast meterlange Feuerzunge in seine Richtung zuckte. »Verschlafene Eidechse, wie?« grollte der Drache. »Darüber reden wir noch, alter Freund. - Na los, worauf wartet ihr noch?« Er machte sich so niedrig wie möglich und entfaltete den rechten Flügel ein wenig, so daß die vier Freunde wie über eine Leiter auf seinen breiten Rücken klettern konnten. Sie flogen weiter, wenn auch nicht mehr so hoch und so schnell wie in der vorangegangenen Nacht. Trotzdem glitt das Land mit phantastischer Geschwindigkeit unter ihnen davon. Nach einer Weile trat der Wald zurück und machte einer grausigen Hügellandschaft Platz.

»Ist es noch weit?« schrie Kim über das Rauschen der Flügel hinweg.

Gorg antwortete, ohne sich umzudrehen: »Sehr weit, Kim. Zwei, vielleicht drei Tagereisen, wenn wir ohne Pause durchfliegen. Aber das können wir nicht. Rangarig braucht bald wieder eine Pause. Der Gute wird alt. Früher hat er länger durchgehalten, aber neuerdings muß er von Zeit zu Zeit ein Mittagsschläfchen halten.«

Rangarig schüttelte ärgerlich den Kopf. Die Bewegung warf Gorg um ein Haar aus dem Sitz.

Kim klammerte sich erschrocken an den hornigen Zacken auf Rangarigs Rücken fest. »Laßt den Blödsinn!« rief er ärgerlich.

Rangarig lachte grollend, flog dann aber merklich ruhiger weiter. Der Charakter der Landschaft änderte sich immer wieder. Nach einer Weile breitete sich eine steinige Ebene unter ihnen aus, auf der nur wenige Büsche und vereinzelte, kränklich aussehende Grasinseln wuchsen. Dann Berge, nicht sonderlich hoch, aber steil und unwegsam. Rangarig zog dicht über die Gipfel hinweg und steuerte schließlich eine kahle, windumtoste Hochebene an. Sie wurden kräftig durchgeschüttelt, als der Drache zu einem recht unsanften Landemanöver ansetzte.

Rangarig stieß einen Seufzer aus, der das Heulen des Windes übertönte. »Genug«, meinte er. »Vielleicht finde ich hier ein wenig Schlaf.« Er schüttelte sich, als Gorg, für seinen Geschmack zu langsam, von seinem Rücken herunterstieg. Der Riese landete fluchend auf dem harten Fels.

»Flegel!« schimpfte Gorg. »Nur weil du so groß bist, glaubst du dir alles erlauben zu können, wie?«

»Nicht alles«, fauchte Rangarig. »Aber eine Menge. Und jetzt will ich schlafen. Hier oben werden wir ja wohl ungestört sein.« Er rollte sich zusammen und bildete mit seinem Körper eine Höhle, in der sie Schutz vor dem eisigen Wind finden konnten.

Die mächtigen goldenen Flanken des Drachen hielten sie sicher und warm. Sie alle spürten die Anstrengungen der überstandenen Nacht. Kim kuschelte sich wohlig in Kelhims warmes Fell. Aber er fand keinen Schlaf. Zu viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Nach einer Weile stand er auf, vorsichtig, um die anderen nicht zu wecken, kroch aus dem Schutz des Drachenkörpers hervor und trat an die Felskante. Der Stein fiel mehr als hundert Meter senkrecht unter ihm ab, und die kahle, felsige Landschaft setzte sich nach Westen hin fort, so weit der Blick reichte. Mehr noch als der kalte Wind ließ dieser Anblick Kim frösteln. Es war eine Kälte, die aus seinem Inneren kam und gegen die keine noch so warme Decke und kein Feuer etwas nützten.

Kim drehte sich halb um, als er Schritte hörte. Es war Priwinn.

»Kannst du auch nicht schlafen?« fragte der Steppenprinz. »Nein«, sagte Kim und wandte sich wieder dem Bild der Landschaft zu. »Wie heißt diese Gegend?« fragte er leise.

Priwinn trat neben ihn. Er steckte fröstelnd die Hände unter die Achseln und scharrte mit dem Fuß über den harten Stein. »Sie hat keinen Namen«, sagte er. »Es ist ein Teil des Schattengebirges.«

»Hier?« sagte Kim erstaunt. »So weit im Herzen Märchenmonds?«

Priwinn nickte. »Eine Zunge«, erklärte er. »Ein Arm des Gebirges, der weit ins Land hineinreicht. Es entstand vor undenklichen Zeiten, lange bevor Caivallon oder Gorywynn errichtet wurden, als Völker und Menschen dieses Land bewohnten, von denen heute nur noch die Sage berichtet. Die Menschen waren damals anders als heute.«

»Anders?«

Priwinn lächelte. »Es ist eine Sage, Kim, ein Märchen, mehr nicht.«

»Erzähle«, bat Kim.

»Damals«, begann der Steppenprinz, »so berichtet die Sage, waren die Menschen anders. Sie waren mächtig, viel mächtiger als wir, und es gab kein lebendes Wesen unter der Sonne, keine Pflanze, kein Tier, das sich ihrem Willen widersetzen konnte. Ich glaube, sie waren ein bißchen so wie die Leute dort, wo du herkommst. Sie beherrschten das Land zu beiden Seiten des Schattengebirges. Sie lebten in großen, prächtigen Städten und hatten Maschinen, mit denen sie schneller als jeder Vogel durch die Luft fliegen konnten. Eines Tages aber griffen sie nach den Sternen, und als sie erkennen mußten, daß sie sie trotz all ihrer Macht und all ihrer Maschinen nicht erreichen konnten, wurden sie böse und verbittert. Neid und Mißgunst schlichen sich in ihre Herzen. Ihre Maschinen wurden immer vollkommener, aber im gleichen Maße, in dem ihr Reichtum wuchs, wuchs auch die Unzufriedenheit, und schon bald blickten die Bewohner der einen Stadt mißtrauisch auf die der anderen, ob diese auch ja nicht mehr besaßen als sie selbst, ob deren Maschinen nicht noch ein bißchen mehr ausrichten konnten als ihre eigenen. Es kam zu Streitigkeiten, zu Zwist, und das Reich zerfiel in viele kleine Reiche, die einander bald zu bekriegen begannen. Ihre Waffen waren fürchterlich, Kim. Sie schleuderten Feuer aufeinander, spalteten die Erde und setzten den Himmel in Brand. Aber trotz aller Kriege und all dieser Schrecken wuchs ihr Reichtum weiter, bauten sie immer neue Maschinen und mit ihnen immer fürchterlichere Waffen. Jedermann wußte damals, daß diese Entwicklung nicht gutgehen konnte, aber obwohl jeder es wußte, rührte keiner einen Finger, um etwas dagegen zu tun. Schließlich kam es zu einem letzten, schrecklichen Krieg. Der Himmel brannte, und die Erde erbrach geschmolzenes Gestein und giftige Gase. Selbst das Schattengebirge wankte unter den furchtbaren Schlägen, die der Mensch der Erde zufügte. Die Erde barst von einem Ende zum anderen, und ein Riß, tiefer als die tiefste Schlucht, trennte die beiden kämpfenden Parteien voneinander.«