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»Das... äh...« stotterte der Bauer, »das glaube ich euch gerne. Es ist nur...«

»Ein bißchen ungewöhnlich, nicht wahr«, brummte Kelhim. »Aber wenn Ihr uns für komisch haltet, dann solltet Ihr erst mal aus dem Fenster sehen, guter Mann.«

Der Bauer starrte den Bären verständnislos an. Schließlich drehte er sich um und trat zögernd ans Fenster. »Ein Drache!« stieß er hervor. »Ein goldener Drache!« Er fuhr herum und starrte die vier Freunde ehrfürchtig an. »Aber es... es gibt doch nur einen goldenen Drachen«, murmelte er.

Gorg nickte und stieß sich dabei den Schädel an der Decke, daß das morsche Holz krachte. »Ganz recht«, antwortete er. »Das ist er. Rangarig.«

Der Bauer erbleichte. »Aber dann... dann müßt Ihr Gorg sein!«

Gorg verzog beleidigt die Lippen. »Kennt Ihr noch einen anderen Riesen?«

»Riese?« brummte Kelhim. »Wo ist hier ein Riese?«

Gorg warf ihm einen wütenden Blick zu, stieß sich abermals den Kopf und kam endlich auf die Idee, sich zu setzen.

Kim grinste, als er die Verwirrung des Bauern sah. Aber er hatte Mitleid mit den verängstigten Frauen. »Macht euch nichts draus, gute Leute. Die beiden streiten sich immer. Aber ihr solltet sie einmal sehen, wenn sie kämpfen.«

»Die schwarzen Reiter...« murmelte der Bauer. »Ihr seid wirklich im letzten Moment gekommen. Eine Minute später, und eure Hilfe hätte niemandem mehr genützt.«

»Auch noch meckern«, schimpfte Gorg. »Da haut man ihn raus, und er beschwert sich, daß man nicht eher gekommen ist.«

Der Bauer war nun völlig verwirrt. Sein Blick irrte unsicher zwischen Gorg und Kelhim hin und her.

Schließlich mischte sich Priwinn ein. »Du solltest dich schämen, Gorg«, sagte er. »Die armen Leute so zu verunsichern.«

Gorg senkte in gespielter Zerknirschung den Kopf, und auch auf den Gesichtern des Bauern und seiner Familie erschien ein erstes, zaghaftes Lächeln. Schließlich löste sich die Spannung in einem befreiten Lachen.

Gemeinsam begannen sie, die Leichname der schwarzen Reiter hinauszutragen und die Spuren des Kampfes zu beseitigen, so gut es ging. Priwinn, Gorg und Kim packten kräftig mit an, und schon nach knapp einer Stunde erinnerten nur noch eine zerbrochene Fensterscheibe und eine rußgeschwärzte Stelle auf dem Fußboden an den Kampf, der hier vor kurzem stattgefunden hatte.

Kim fiel auf, wie verhältnismäßig gelassen die Bauernfamilie den Tod eines der Ihren hinnahm. Er wartete, bis er mit Priwinn allein war, und brachte dann die Rede darauf.

Priwinn nickte, als hätte er die Frage erwartet.

»Ich weiß nicht viel über deine Welt und die Menschen, die dort leben, Kim«, sagte er nachdenklich. »Aber mir scheint, daß ihr ein sehr seltsames Volk seid.«

»Weil wir um unsere Toten trauern?«

Priwinn lächelte nachsichtig. »Nein, Kim, das tun wir auch. Nur anders. Jeder von uns weiß doch, daß das Leben nicht ewig währt. Für manche, wie Themistokles oder Rangarig, dauert es lange, andere sterben schon früh, vielleicht als Kind oder schon als Säugling. Es steht nicht in unserer Macht, etwas daran zu ändern. Und wir wollen es auch gar nicht. Der Körper, Kim, diese verwundbare Hülle, um die ihr euch so große Sorgen macht, ist nichts als ein Instrument, eine Art Werkzeug, dessen sich der Geist bedient, um damit seinen Willen auszuführen. Wir lieben unsere Geschwister und unsere Eltern so wie ihr die euren, aber wir lieben in erster Linie das, was sie sind. Ihre Körper mögen vergehen, doch das heißt nicht, daß sie tot sind. Tot, Kim, wirklich tot ist ein Mensch erst in dem Moment, wo man ihn vergißt.«

»Das verstehe ich nicht«, murmelte Kim.

»Aber es ist so einfach«, erklärte Priwinn geduldig. »Vielleicht ist dies der grundlegende Unterschied zwischen euch und uns. Wir haben erkannt, daß kein Mensch aus sich allein heraus lebt.«

»Ich lebe ganz gut aus mir heraus«, sagte Kim.

»Das glaubst du«, widersprach Priwinn. »Aber es stimmt nicht. Du lebst, aber das ist auch alles. Auch ein Stein lebt, wenn du Leben mit Existieren gleichsetzt. Aber leben, wirklich leben kannst du nur durch die anderen. Du lebst, weil das, was du sagst und tust, das Leben, Fühlen und Denken anderer beeinflußt, und umgekehrt. Und du stirbst auch erst, wenn sich niemand mehr deiner Worte und Taten und somit deiner selbst erinnert. Erst wenn du aus den Gedanken aller Menschen verschwunden bist, bist du wirklich tot. Der brave Mann, den die schwarzen Reiter erschlugen, lebt in der Erinnerung seiner Familie weiter. Und auch in deiner, wenn auch nur für kurze Zeit.«

Kim dachte lange über Priwinns Worte nach. Und schließlich begann er ihren Sinn zu begreifen. Er war drüben im Schattenreich gewesen, und er hatte dieses tote, abgestorbene Land ohne Menschen gesehen. Das Reich der Schatten war wirklich tot. Es hatte die Erinnerung an seine Vergangenheit verloren. - Doch nein, das stimmte ja gar nicht! Der Tümpelkönig und sein Sohn Ado fielen ihm ein. Waren sie nicht der beste Beweis für das, was ihm Priwinn zu erklären versuchte?

Kim trat ans Fenster und blickte hinaus. Das Land lag in trügerisch friedlicher Stille vor ihm. Die Sonne stand hoch am Himmel, es ging auf Mittag zu. Rangarig hatte sich im Windschutz des Hauses zusammengerollt und schnarchte so laut, daß die Fensterscheiben klirrten. Und doch war dieser Friede nur eine brüchige Fassade, hinter der jederzeit aufs neue Tod und Verderben hervorbrechen konnten.

Er drehte sich um und sah der Bauersfrau zu, die hereingekommen war, um das Mittagessen aufzutragen. Sein Magen, seit zwei Tagen mit nicht viel mehr als eisiger Luft und dem Gedanken an Essen gefüllt, meldete sich knurrend, und der Anblick des riesigen Fleischstückes in der Pfanne ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Trotzdem galt es zuvor noch, eine wichtige Sache zu klären.

»Ihr werdet von hier fortmüssen«, sagte Kim. »Noch mehr schwarze Reiter werden nachkommen, und sie werden euch für den Tod ihrer Kameraden verantwortlich machen.«

»Das mag sein, junger Herr. Aber ich wüßte nicht, wohin wir gehen könnten. Auch die Nachbarhöfe sind nicht mehr sicher.«

»Ihr könntet versuchen, euch nach Gorywynn durchzuschlagen«, schlug Kim vor.

»Zehn Tagreisen?« sagte Priwinn an Stelle der Bauersfrau. »Du vergißt, daß nicht jeder auf dem Rücken eines Drachen reiten kann, Kim.« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Der einzig sichere Ort wären die Berge. Ihr könntet sie in einem Tag erreichen. Hier seid ihr jedenfalls nicht mehr sicher. Zwar ist keiner der Reiter entkommen, aber auch die Stille hat Augen und Ohren. Ihr müßt weg.«

Lautes Gepolter ließ sie herumfahren. Es war Gorg, der gebückt durch die Diele kam, um sich dann ächzend am Tisch niederzulassen.

»Rangarig, Kelhim und ich haben beraten«, sagte der Riese, nachdem er die Kleinigkeit von zehn Äpfeln und einem ganzen Laib Brot, den die Bäuerin leichtsinnigerweise auf den Tisch gelegt hatte, verspeist hatte und sich genießerisch mit der Hand über den Mund gefahren war. »Die Schwarzen werden wiederkommen, und wenn Brobing und seine Familie dann noch hier sind, sieht es schlecht für sie aus.«

»Könnte Rangarig sie nicht nach Gorywynn zurückbringen?«

Gorg wiegte den Schädel. »Der Gedanke ist nicht schlecht. Aber es sind vier Tage - zwei hin und zwei zurück. Diesen Zeitverlust können wir uns nicht leisten.«

»Und was schlägst du vor?«

Gorg rutschte am Boden hin und her und versuchte vergeblich, seine Beine in eine bequeme Lage zu bringen. »Wir nehmen sie mit«, sagte er schließlich.

Kim erschrak. »Zur Klamm der Seelen?« fragte er ungläubig. »Die Frauen und das Kind auch?«

Gorg winkte beschwichtigend mit der Hand. »Natürlich nicht mit hinein«, sagte er. »Aber die Umgebung dort ist sicher. Auch die schwarzen Reiter werden sich kaum in ihre Nähe wagen. Und wenn doch, so bieten die angrenzenden Berge genügend Verstecke. Außerdem«, fügte er nachdenklich hinzu, »wäre es nicht unbedingt von Nachteil, einen Freund in der Nähe zu wissen.«