»Aufgeben?« schrie es aus Kim. »Nach allem, was du mir gesagt hast?«
»Ja. Es ist sinnlos weiterzukämpfen, Kim. Alles, was du getan hast, nutzte uns und schadete Märchenmond. Auch unsere Begegnung hier gehört mit zu unserem Plan. Gib auf, und ich werde dir das Leben schenken. Boraas' Angebot gilt noch immer. Komm zu uns, und du findest Macht und Reichtum statt Tod und Untergang. Überlege es dir gut, Kim. Es ist deine letzte Chance.«
Kim schüttelte entschieden den Kopf. Seine Verzweiflung hatte grimmiger Entschlossenheit Platz gemacht.
»Niemals!«
»Wie du willst. Es ist dein Leben, das du wegwirfst.«
»Bist du so sicher?« fragte Kim. »Ich habe gelernt, mich zu wehren, Kart.«
»Das weiß ich. Und glaube mir - nichts liegt mir ferner, als dich zu unterschätzen.«
»Dann kämpfe!« rief Kim.
Sein Schwert zuckte hoch, zielte nach Karts Brustpanzer und traf ins Leere, als der Baron mit einer blitzschnellen Bewegung auswich. Kim wirbelte herum und riß seinen Schild hoch. Karts Morgenstern begann zu kreisen, langsam, dann immer schneller, ein tödlicher Kreis aus schwarzem Stahl und Stacheln, und krachte schließlich mit betäubender Wucht auf den Schild herab. Kim wankte zurück und tauchte unter einem zweiten Schlag hindurch. Sein linker Arm war taub, und in der Schulter wühlte ein unbarmherziger Schmerz. Kim schlug zu, wich aus und trieb Kart mit einem blitzschnellen Hieb zurück.
Kart nickte anerkennend. »Du kämpfst gut«, lobte er. »Aber nicht gut genug!«
Wieder raste der Morgenstern herab, und wieder fing Priwinns Schild den Hieb im letzten Moment ab. Kim schrie vor Schmerz auf und schlug gleichzeitig zurück. Sein Schwert schrammte über Karts Brustpanzer und glitt ab, aber der Schlag ließ den Baron zurücktaumeln und verschaffte Kim für einen Augenblick Luft.
Er stöhnte. Seine ganze linke Seite brannte wie Feuer. Im Holz des Schildes zeigten sich lange, gezackte Risse. Noch ein paar solcher Schläge, und der Kampf war vorüber. Mit letzter Kraft hob Kim sein Schwert, täuschte einen waagrechten Stich vor und drehte die Klinge im letzten Moment aufwärts. Kart keuchte vor Überraschung. Er versuchte den Hieb mit dem Griff seiner eigenen Waffe aufzufangen. Kims Klinge glitt daran ab, schlug auf Karts behandschuhte Faust und prellte ihm die Waffe aus der Hand.
Kim sprang zurück und deutete schwer atmend auf den Morgenstern.
»Heb ihn auf«, preßte er mühsam hervor.
In Karts Augen blitzte es verwundert auf.
»Heb ihn auf«, wiederholte Kim. »Ich kämpfe nicht gegen einen Waffenlosen.«
Kart bückte sich nach seiner Waffe und sprang dann blitzschnell zurück. »Deine Ritterlichkeit wird dich das Leben kosten«, sagte er. »Noch einmal wirst du eine solche Chance nicht bekommen!« Er schwang die Stahlkugel hoch über den Kopf, duckte sich und griff mit wütendem Knurren an. Kim sprang zur Seite, wich der niedersausenden Stahlkugel aus und führte gleichzeitig einen Hieb gegen Karts Beine. Die Klinge prallte von den stählernen Beinschienen ab, aber der Schlag brachte Kart aus dem Gleichgewicht. Er stolperte, ruderte mit den Armen und fiel der Länge nach hin. Kim setzte mit einem triumphierenden Schrei nach und riß das Schwert hoch.
Aber er hatte nicht mit Karts Reaktionsgeschwindigkeit gerechnet. Schnell wie eine Schlange wälzte sich der Baron auf den Rücken, fing den Schlag mit seiner Waffe auf und trat mit aller Wucht nach Kims Brust. Sein stahlgepanzerter Fuß krachte gegen den Harnisch und schleuderte Kim meterweit zurück. Kim keuchte. Ein grausamer Schmerz schoß durch seinen Körper. Er bekam keine Luft mehr, und vor seinen Augen wallten blutrote Nebelschwaden. Verschwommen sah er, wie Kart auf die Füße sprang und auf ihn zukam. Instinktiv duckte sich Kim hinter seinen Schild und hob gleichzeitig das Schwert, als der Morgenstern herunterschwang. Die stählerne Kugel rutschte an der Klinge entlang. Ein grausamer Schlag riß Kims Arm hoch, schleuderte ihm die Waffe aus der Hand und ließ ihn in die Knie brechen.
Kart lachte schadenfroh.
»Nun, kleiner Held?« sagte er. Seine Stimme zitterte vor Anstrengung. »Tut es dir jetzt leid, daß du mir eine Chance gelassen hast?«
Kim schwieg verbissen. Das Schwert lag mehr als zwei Meter hinter ihm. Ebensogut hätte es auf dem Mond oder irgendwo in Gorywynn liegen können. Er war wehrlos.
»Nimm dein Schwert«, sagte Kart. »Du hast mir eine Chance gewährt. Nun gewähre ich sie dir.«
Kim zögerte.
»Du traust mir nicht?« fragte Kart lauernd. »Nimm das Schwert auf. Ich habe keine Bedenken, einen Waffenlosen zu töten.«
Kim stemmte sich hoch und ging rückwärts auf seine Waffe zu. Karts Augen verfolgten mißtrauisch jede seiner Bewegungen.
»Heb es auf!« donnerte Kart.
Kim holte tief Luft, bückte sich und griff nach der Klinge. Im gleichen Augenblick sprang Kart vor und ließ den Morgenstern mit vernichtender Kraft niedersausen. Kim warf sich zur Seite. Seine Finger verkrampften sich um den Schwertgriff. Der Morgenstern schlug auf seinen Schild auf und brach ihn krachend entzwei. Die Wucht des Schlages schmetterte Kim zu Boden. Blind vor Schmerz rollte er herum, riß instinktiv das Schwert hoch und wartete auf den letzten, tödlichen Hieb.
Aber dieser blieb aus. Ein harter Ruck ging durch die Waffe in Kims Händen, und Baron Kart taumelte mit einem röchelnden Laut zurück. Der Morgenstern polterte zu Boden. Kart stolperte ein paar Schritte rückwärts, brach in die Knie und sank langsam vornüber.
Kim starrte verblüfft auf die Spitze seines Schwertes. Die Klinge schimmerte von Blut. Kart mußte direkt in die Waffe hineingelaufen sein.
Langsam ließ Kim das Schwert sinken, er erhob sich und ging zu dem gestürzten Riesen hinüber. Der schwarze Baron lebte noch, doch der Boden unter ihm rötete sich mehr und mehr von seinem Blut. Als Kim neben ihm niederkniete und in seine Augen blickte, sah er, daß der Tod bereits die Hand nach ihm ausgestreckt hatte.
»Gut... gekämpft, kleiner Held«, stieß Kart mühsam hervor. »Zu gut... für mich... ich... hätte dir vielleicht doch keine Chance geben sollen.« Er lachte bitter. »Ist das nun Zufall oder der Wink einer höheren Gerechtigkeit?«
»Gerechtigkeit?«
»Ja, Gerechtigkeit. Vielleicht war es die Strafe für... für meine Heimtücke. Aber vielleicht ist es auch richtig so. Vielleicht mußtest du siegen, um endgültig zu verlieren.«
Kim dachte einen Moment über Karts Worte nach. Waren dessen Sinne schon so verwirrt, oder war dies noch eine letzte, hinterhältige Drohung?
»Hör mir zu, Kim«, flüsterte Kart mit ersterbender Stimme. »Du hast dich tapfer geschlagen, und auch wenn wir auf verschiedenen Seiten stehen, so achte ich Mut und Tapferkeit auch bei meinen Feinden. Darum will ich dir einen Rat geben. Und diesmal meine ich es ehrlich.« Er hielt inne. Als er fortfuhr, spürte Kim, wieviel Kraft es ihn kostete, die Worte hervorzustoßen. »Der Weg, der vor dir liegt, ist schwer. Selbst ich hätte nicht den Mut, ihn zu gehen. Aber du kannst es schaffen. Achte auf alles, was dir begegnet. Gerade was harmlos erscheint, mag eine tödliche Gefahr bergen.« Er wollte noch mehr sagen, aber die Stimme versagte ihm. Seine Atemzüge versiegten. Er war tot.
Kim kniete noch lange neben dem Toten. Vergeblich wartete er darauf, daß sich so etwas wie Triumph oder Zufriedenheit einstellte. Sosehr er seine Seele auch durchforschte, von solchen Gefühlen war nichts zu finden. Allenfalls Trauer. Trauer und fast etwas wie Abscheu vor sich selbst. Er hatte einen Menschen getötet. Die Tatsache, daß dieser Mensch sein Feind war und unsägliches Leid über diese Welt und ihre Bewohner gebracht hatte, änderte nichts daran. Nach seinem Gewissen war Kim ein Mörder.
Er stand auf, löste den zerbrochenen Schild von seinem Arm und bückte sich, um sein Schwert vom Boden aufzuheben. Seine Fingerspitzen verharrten sekundenlang auf dem schwarzen Griff, und für einen Augenblick sah er nichts außer der schwarzen, blutbesudelten Klinge.