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Aber nichts geschah. Der Mantel reagierte nicht, und die Reihe der Männer rückte schweigend näher.

Kims Gedanken überschlugen sich. Er mußte irgend etwas falsch gemacht haben. Er versuchte es noch einmal, voller Inbrunst und mit aller Kraft, deren er fähig war. Aber auch jetzt blieben die magischen Kräfte des Mantels stumm.

»Gib auf«, sagte ein Mann. »Wirf die Waffe fort und vergiß, weswegen du gekommen bist. Es ist leicht!«

Kim schrie verzweifelt auf, riß das Schwert hoch über den Kopf und sprang vor. Ein Aufschrei lief durch die Reihe der Gegner. Kim schlug in blinder Angst um sich und hackte sich eine Gasse durch die entsetzt zurückweichenden Männer. Er stolperte vorwärts, rannte einen Mann über den Haufen und schlug mit der Breitseite des Schwertes zu, als sich ein anderer auf ihn stürzen wollte. Mit einem dumpfen Schmerzenslaut ging der Angreifer zu Boden, und Kim taumelte weiter. Hände griffen nach ihm, zerrten an seinem Umhang und an seiner Waffe, versuchten ihn niederzuringen. Kim hieb weiter um sich, trat, kratzte und verschaffte sich noch einmal Luft.

Aber die Verschnaufpause währte nur Sekunden. Ein riesiger, bärtiger Mann kam auf dem Rücken eines Zentauren herangaloppiert, schwang eine Keule und schlug Kim die Waffe aus der Hand. Vielstimmiges Triumphgeschrei gellte in Kims Ohren.

Ein drittes Mal rief Kim die Zauberkraft des Mantels an.

Ein hoher, glockenheller Ton schwang über die Lichtung. Ein schimmernder Regenbogen senkte sich vom Himmel herab, trieb die Angreifer auseinander und legte sich wie ein weicher, schmiegsamer Mantel um Kims Körper. Ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit durchströmte ihn, und von einer Sekunde auf die andere verlor er alle Angst.

Kim fühlte sich wie von unsichtbaren Händen emporgehoben. Der See und die Lichtung und schließlich der ganze verzauberte Garten fielen unter ihm zurück. Mit einem Mal erfaßte ihn große Müdigkeit. Das gleiche, warme Gefühl, das er schon einmal erlebt hatte, damals im Thronsaal von Gorywynn, als das Orakel durch seinen Mund gesprochen hatte, überkam ihn - ein Empfinden, als berühre ihn eine große, sanfte und beschützende Hand.

Aber noch ehe er an den Gedanken anknüpfen konnte, sank er in tiefen, traumlosen Schlaf.

Er erwachte in einem weichen, wohligen Bett. Leise Musik erfüllte die Luft, und irgendwo waren Stimmen, die sich gedämpft unterhielten, ohne daß er die Worte verstehen konnte. Er blinzelte, öffnete dann mit einem Ruck die Augen und setzte sich auf. Das Bett befand sich in einem kleinen, schlichten Raum mit weißen Wänden und weißer Decke.

»Du willst also unbedingt den Regenbogenkönig sprechen«, sagte eine sanfte Stimme. Kim fuhr erschrocken herum und erblickte einen jungen, einfach gekleideten Mann - kaum älter als er selbst, gerade an der Schwelle vom Knaben zum Mann -, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte und Kim mit einem Ausdruck von gutmütigem Spott musterte.

»Wer bist du?« fragte Kim.

»Beantworte erst meine Frage«, beharrte der andere. »Warum willst du den Herrn sprechen?«

Kim zögerte.

»Du kannst ruhig antworten. Hier droht dir keine Gefahr mehr. Du bist sicher.«

»Das habe ich schon öfter geglaubt«, murmelte Kim.

Der junge Mann lächelte. »Dein Mißtrauen ist berechtigt; aber hier kannst du es vergessen.«

»Trotzdem...« Kim schüttelte entschieden den Kopf. »Mein Anliegen werde ich dem Regenbogenkönig persönlich vortragen und sonst keinem.«

Der junge Mann seufzte tief. »Nun gut«, sagte er, indem er sich mit einer kraftvollen Bewegung von der Wand abstieß und zur Tür ging. »Folge mir. Ich bringe dich zu ihm.«

Kim schwang verblüfft die Beine auf den Boden. »So... so schnell geht das?« fragte er verwundert.

»Warum nicht? Dein Weg hierher war schwer genug, oder?« Der junge Mann bewegte die Hand, und die Tür glitt lautlos vor ihnen in die Wand zurück. Ein schmaler, sanft erhellter Gang nahm sie auf. Sie durchquerten ihn, traten durch eine zweite Tür und gelangten schließlich in einen kreisrunden, vollkommen leeren Raum. Wieder bewegte der junge Mann die Hand. In der Mitte des Raumes erhob sich eine schlanke Säule aus weißem Marmor. Auf deren Spitze lag eine faustgroße Glaskugel, die mildes Licht verstrahlte.

»Nun, Kim, trage dein Anliegen vor.«

Kim blickte verwundert auf. »Ich...«

»Du wolltest mit dem Regenbogenkönig sprechen. Nun, ich bin hier. Also sprich.«

Kim wich vor Schreck einen halben Schritt zurück. »Du?« stotterte er. »Ich meine... Sie... Sie sind...«

»Bleib beim Du«, winkte der Regenbogenkönig ab. »Eine Unterscheidung in Du- und Sie-Personen, wie sie bei euch Menschen üblich ist, kennt man bei uns nicht.«

»Aber...« stammelte Kim, »ich dachte, Sie... du wärest...«

»Älter?« lächelte der Regenbogenkönig. »Um weise zu sein? Vielleicht mit langem weißem Bart und schütterem Haar?« Er lachte. »Auch so ein Irrglaube von euch Menschen. Ich bin unsterblich. Warum sollte ich als gebrechlicher Greis herumlaufen, wenn ich mir ein beliebiges Alter aussuchen kann? Doch nun zu dir«, wechselte er unvermittelt das Thema. »Ich habe deinen Weg hierher aufmerksam verfolgt. Du bist sehr tapfer für einen Jungen deines Alters, weißt du das?«

Kim nickte impulsiv, lächelte dann verlegen und schüttelte den Kopf.

»Keine falsche Bescheidenheit«, sagte der Regenbogenkönig ernst. »Schon Hunderte sind vor dir diesen Weg gegangen, und nur die wenigsten haben ihr Ziel erreicht - das heißt fast erreicht. Du bist seit langer Zeit der erste, der auch die letzte Prüfung bestanden hat.«

Kim nickte. »Der Zaubergarten...«

»Ja. Alle jene, die du dort getroffen hast, sind gleich dadurch die Klamm der Seelen gelangt. Sie haben den Tatzelwurm bezwungen oder überlistet, und auch die Weltenwächter und der Vogel Rok konnten sie nicht aufhalten. Nur mit sich selbst sind sie nicht ins reine gekommen.«

»Aber warum?« fragte Kim. »Warum hast du diese Falle errichtet, so kurz vor dem Ziel?«

»Es ist keine Falle, Kim. Erinnere dich an die Worte Roks, dieses streitlustigen alten Knaben. Nur wer wirklich festen Willens ist, kann sein Ziel erreichen. Sie alle, all diese großen, starken Helden, die du gesehen hast, wußten im Grunde selbst nicht, warum sie gekommen waren. Sie gaben sich mit Scheingründen zufrieden, wie zum Beispiel, um zu Reichtum und Ruhm zu gelangen, oder auch aus reiner Abenteuerlust. Nur wer sich selbst erkennt und weiß, warum er hierherkam, nur der kann mich sehen, Kim. So wie du.« Kim nickte schuldbewußt. Auch er hatte vergessen, warum er sich auf den Weg gemacht hatte. Er hatte geglaubt, sein Leben riskiert zu haben, um Märchenmond zu retten; aber das stimmte nicht. Erst der Anblick der Elfe hatte ihm die Augen geöffnet.

»Du bist gekommen, um deine Schwester zu retten«, sagte der Regenbogenkönig.

Kim nickte. »Die Elfe. Hast du sie geschickt?«

»Ja. Jeder, der den verzauberten Garten betritt, bekommt noch eine Chance. Aber die wenigsten erkennen sie.«

Kim raffte all seinen Mut zusammen. Er sah dem Regenbogenkönig gerade in die Augen und sagte: »Wirst du mir helfen?«

»Helfen - wobei?« fragte der König. »Gesetzt den Fall, ich würde dir einen Wunsch erfüllen - nur einen Kim, nur einen einzigen -, wie würde er lauten? Soll ich deine Schwester aus Morgons Verliesen befreien und euch dorthin zurückbringen, wo ihr herkamt? Aber dann würde Märchenmond untergehen, mit all seinen Menschen und Tieren und Wundern. Oder soll ich Gorywynn retten und die schwarzen Heere in die Flucht schlagen? Aber dann bliebe Rebekka in der Gewalt Boraas'. Welchen Wunsch würdest du wählen?«

Kim schwieg lange. »Du verlangst Unmögliches«, sagte er dann. »Du stellst mich vor eine Wahl, die ich nicht treffen kann. Ich möchte...«

»Du möchtest, daß ich beides tue«, unterbrach ihn der Regenbogenkönig. »Du sagst, ich stelle dich vor eine grausame Wahl, aber du vergißt, daß du als Bittsteller kommst. Dein Mut hat mir imponiert, Kim, und deshalb will ich dir einen Wunsch erfüllen. Einen einzigen nur. Überlege gut, ehe du dich entscheidest.«