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Sein Blick glitt über den Schreibtisch und blieb auf dem Monitor des Commodore-Computers hängen. Seltsam - er konnte sich gar nicht erinnern, ihn eingeschaltet zu haben. Ja, er war jetzt fast sicher, es nicht getan zu haben. Sonderbar. Höchst sonderbar. Und ein bißchen beunruhigend. Kim dachte eine Weile angestrengt nach, verwarf dann aber den Gedanken, der ihm gekommen war. Ganz egal, was für Purzelbäume die Wirklichkeit heute zu schlagen schien - mit Märchenmond und dem Zauberer Themistokles hatte das unheimliche Verhalten seines Computers ganz bestimmt nichts zu tun. Im Land der Träume funktionierte nicht einmal ein Feuerzeug - geschweige denn ein Computer. Er betrachtete die flirnrnernde grüne Leuchtschrift auf dem Bildschirm noch ein paar Sekunden. Woran erinnerte ihn dieses Bild? Dann zuckte er mit den Schultern, schaltete das Gerät aus und machte Licht im Zimmer. Die weiße, schattenlose Neonhelligkeit vertrieb die dumpfe Furcht, die sich in Kims Seele eingenistet hatte. Er sah auf die Uhr - es war nach sieben. Sein Vater war wohl schon längst von der Arbeit zurück, und Kim wunderte sich, daß es nicht schon an der Tür geklopft hatte - als Auftakt zu dem Donnerwetter, das sein alter Herr machen würde, wenn er erfuhr, was sein Sohn in der Klinik getrieben hatte. Nachdenklich schaltete Kim das Licht wieder aus, öffnete die Tür und trat auf den Korridor hinaus.

Es war sehr still im Haus. Ganz leise hörte er die Stimmen seiner Eltern, die sich im Wohnzimmer unterhielten, untermalt vom Gebrabbel des Fernsehers. Sein Vater war also tatsächlich schon zu Hause.

Kim wappnete sich innerlich für die Auseinandersetzung, die ihm bevorstand. Er atmete tief und entschlossen ein, drehte sich dann aber auf dem Absatz herum, noch bevor er den ersten Schritt getan hatte.

Statt nach unten ins Wohnzimmer ging er den Flur weiter hinauf und blieb vor Rebekkas Zimmer stehen. Vielleicht konnte er noch vorher ungestört mit ihr sprechen. Er lauschte. Aus dem Zimmer drang nicht das kleinste Geräusch, aber das besagte nichts - seit die Kinder eigene Radios und Cassettenrecorder besaßen, hatte Vater eingesehen, daß sich der Einbau schalldichter Türen sehr positiv auf den Familienfrieden auswirkte.

Kim klopfte.

Keine Antwort.

Er klopfte abermals und etwas heftiger, wobei er gleichzeitig mit angehaltenem Atem ins Erdgeschoß hinunter lauschte, ob er damit nicht etwa seine Eltern alarmierte, bekam wieder keine Antwort und drückte schließlich behutsam die Klinke herunter.

Die Tür war nicht abgeschlossen - und Rebekka war nicht da. Auf dem aufgeschlagenen Bett saß nur Kelhim, der einäugige, zerrupfte Teddybär. Was seltsam war, denn Rebekka machte kaum einen Schritt ohne den Teddy; ja, sie nahm ihn manchmal sogar mit in die Badewanne. Wie in Kims Zimmer war es auch hier beinahe vollständig dunkel. Statt vom Bildschirm eines Computers kam das einzige Licht von der Beleuchtung in dem großen Terrarium, das auf einem niederen Schrank neben dem Fenster thronte; der unheimliche, blauweiße Schein verlieh den Dingen ein ebenso unwirkliches Aussehen wie vorhin das Computerlicht in Kims Zimmer.

Kim blieb einen Moment enttäuscht unter der Tür stehen und wandte sich dann dem Terrarium zu. Rebekka hatte das Ding samt seiner beiden kaltblütigen Bewohner - zwei nur handgroße rotgrüne Zwergen-Leguane - vergangenes Jahr zu Weihnachten bekommen, während sich Kim für den Computer entschieden hatte. Becky ließ keine Gelegenheit verstreichen, ihm zu versichern, wie blöde sie seinen Computer fand, und Kim hielt umgekehrt nicht mit seiner Ansicht hinterm Berg, für wie langweilig er die beiden Mini-Echsen hielt.

Aber jetzt faszinierte ihn plötzlich irgend etwas daran. Es war, als zöge das von kaltem bläulichem Licht erfüllte Glasbecken seinen Blick magisch an.

Er trat näher heran und ließ sich in die Hocke sinken. Eines der beiden Tiere (war es Rosi oder Rosa? Er hatte nie begriffen, wie seine Schwester die beiden Salamander auseinanderhielt - für ihn sahen sie absolut gleich aus) hatte sich wie üblich unter einem Stück Rinde verkrochen, so daß nur die Schwanzspitze zu sehen war. Das andere Tier war halb auf den kleinen Plastikbaum geklettert, der die rechte Hälfte des Terrariums einnahm.

Kim blinzelte verblüfft. Das Tier hing wirklich in einer komischen Haltung da. Es war ein Stück den Baum hinaufgeklettert, hatte sich aber gleichzeitig halb um den Stamm herumgewickelt und klammerte sich mit seinen winzigen Krallen an der Kunststoffoberfläche fest. Es sah fast aus wie eine Schlange, die sich um einen Stab gewunden hatte, mit halb geöffnetem Maul und starren, glitzernden Augen, die ihn durchdringend anzustarren schienen. Kim bezweifelte, daß das Tier begriff, was es da auf der anderen Seite der Glasscheibe sah; falls es ihn überhaupt sah. Trotzdem fröstelte ihn bei dem Anblick. Rasch stand er auf, verließ das Zimmer und ging ins Erdgeschoß hinunter.

Die Eltern saßen im Wohnzimmer und sprachen miteinander. Als Kim eintrat, unterbrachen sie ihr Gespräch. Vater blickte ihn einen Moment lang mit undeutbarem Ausdruck an, dann deutete er mit einer Kopfbewegung auf einen freien Platz auf der Couch, und Kim setzte sich gehorsam. Sein Blick streifte den Femseher. Der Ton war fast ausgeschaltet, aber auf der großen Mattscheibe flimmerten die Bilder eines Science-fiction-Films: Gewaltige Raumschiffe rasten im Tiefflug über die Oberfläche eines öden, verbrannten Planeten, auf dem sich Männer und Frauen in zerfetzten Kleidern verzweifelt gegen die Angriffe eines riesigen Roboterheeres verteidigten. Der Film war nicht besonders gut gemacht, die Tricks waren mies. Kim hatte einen geübten Blick für so etwas. Trotzdem staunte er. Science-fiction- und Fantasy-Geschichten waren seine große Leidenschaft. Er hätte gewußt, wenn ein solcher Film angekündigt gewesen wäre. Seine Angewohnheit, immer als erster die Fernsehzeitschrift danach zu durchsuchen, hatte schon mehr als einmal zum Krach mit seinen Eltern geführt - vor allem, wenn er vergaß, die Zeitschrift zurückzugeben, oder erst, nachdem er alles, was ihn interessierte, herausgeschnitten hatte.

Sein Vater räusperte sich jetzt übertrieben, und Kim fuhr ein wenig schuldbewußt zusammen. Er riß seinen Blick von der Mattscheibe los. Aber nicht ganz. Aus dem Augenwinkel verfolgte er weiter die Handlung, die wirklich nicht besonders intelligent war - aber irgendwie spannend war sie doch, wie es schien.

»Wenn du deine Aufmerksamkeit gütigerweise vielleicht mir zuwenden würdest, wäre ich dir sehr dankbar, mein Sohn«, begann sein Vater.

Kim seufzte innerlich. Wenn Vater diesen Ton anschlug, dann war es wirklich ernst. Kim tat wenigstens so, als interessiere ihn die Handlung des Fernsehfilms nicht.

»Ja?« fragte er verlegen.

Der Ausdruck auf dem Gesicht seines Vaters wandelte sich von Sturm zu Orkan. »Spiel bitte nicht den Dummkopf, Junge«, sagte er streng. »Du weißt ganz genau, was ich von dir wissen will. Ich hätte dich schon vor einer Stunde gerufen, aber deine Mutter wollte nicht, daß ich dich wecke.«

Er legte eine Pause ein, um seine Worte besser wirken zu lassen, und Kim blinzelte rasch und - wie er hoffte - unauffällig zum Fernseher hinüber. Auf der Mattscheibe war jetzt die Großaufnahme eines der Roboter zu sehen. Das Ding war so primitiv gemacht, daß sich Kim einbildete, es selbst besser machen zu können. Das Gesicht war kein Maschinengesicht, sondern ähnelte einer jener furchteinflößenden Masken, wie sie Eishockey-Torwarte zu tragen pflegten. Nur ein Detail war wirklich gut: Hinter dem schmalen Schlitz im oberen Drittel der Maske waren keine Augen zu sehen, sondern eine flimmernde grüne Leuchtschrift. Der Anblick war sehr beunruhigend, denn obwohl Kim nicht wußte, weshalb, hatte er wieder das bestimmte Gefühl, daß ihn dieses Bild an etwas erinnerte. Etwas nicht sehr Angenehmes. »Also - was war heute nachmittag los?« fragte Vater, als er endlich begriff, daß er keine Antwort auf sein Schweigen bekommen würde.

»Ich weiß es nicht«, gestand Kim. »Ich hatte das Gefühl, diesen Jungen zu kennen. Ich ... ich mußte einfach hin, verstehst du?«