Выбрать главу

Da schien sich etwas in dem grünen Auge zu ändern. Für einen Moment flackerte es, dann beugte sich die eiserne Gestalt vor, packte mit der linken, kräftigen Hand die Kette, mit der Themistokles angebunden war, und riß mit aller Gewalt daran.

Nicht einmal seine Kräfte reichten aus, die Kette aus Zwergenstahl zu zerbrechen; wohl aber den Stuhl, auf dem der Zauberer saß. Krachend brach das Möbel zusammen, und Themistokles stürzte schwer zu Boden.

Die beiden Flußmänner vor der Tür fuhren erschrocken herum, auch ihr eiserner Begleiter hob sein Schwert. Und mit einemmal ging alles so schnell, daß Kim nicht einmal alles mitbekam.

Priwinn stürzte mit einem gellenden Schrei vor und durchbohrte den Eisenmann mit seinem magischen Schwert. Seine Begleiter fielen so rasch über die beiden Flußleute her, daß diese sich gar nicht wehren konnten. Binnen kurzem lagen sie hilflos und von starken Armen niedergehalten am Boden, während Priwinn und dicht hinter ihm auch Kim über den gestürzten Eisenmann hinwegsetzten und auf Themistokles zurannten.

Das hieß - Kim rannte auf ihn zu. Priwinn riß mit einem abermaligen gellenden Schrei sein Schwert in die Höhe und stürzte sich auf den zweiten Eisenmann. Der Zwergenkönig riß erschrocken die Arme in die Höhe und wollte ihm den Weg vertreten, aber Priwinn rannte ihn einfach über den Haufen, schwang seine Klinge und enthauptete den stählernen Koloß mit einem einzigen, gewaltigen Hieb. Polternd stürzte die Gestalt zu Boden und blieb reglos liegen.

Indessen kniete Kim hastig neben Themistokles nieder. Der alte Mann stöhnte leise, aber er schien sich bei dem Sturz vom Stuhl nicht ernsthaft verletzt zu haben. Er war nur schwach und unendlich müde. Seine Augen blickten Kim voll Erschöpfung und Trauer an, als wüßte er, daß seine Lebenszeit endgültig abgelaufen war. Der Anblick brach Kim fast das Herz. Es war nicht das, was die Flußleute Themistokles angetan hatten: Es war so, wie Rangarig vor so langer Zeit gesagt hatte: Der Zauber dieser Welt erlosch, und mit ihm lief auch die Zeit ihres ältesten und mächtigsten Magiers ab.

»Was ist mit ihm?« fragte Priwinn gehetzt. »Ist er verwundet? Haben sie ihm etwas getan?«

»Nein«, flüsterte Kim. Er schüttelte langsam den Kopf, erhob sich wieder und beugte sich dann noch einmal herab, um Themistokles aufzuhelfen. Priwinn wollte ihm beistehen, aber Kim wehrte seine Hand ab und hob den zerbrechlichen Körper des alten Mannes ganz allein in die Höhe. Themistokles schien fast nichts mehr zu wiegen. Obwohl er einst hochgewachsen war, spürte Kim sein Gewicht jetzt nicht halb so schwer wie das des Zwerges auf den Armen. Kims Augen füllten sich mit Tränen, als er sich umdrehte und Themistokles behutsam zu dem einfachen Bett neben der Tür trug, um ihn daraufzulegen, »Was ist mit ihm?« fragte Priwinn noch einmal. Seine Stimme klang scharf, und als Kim auch diesmal nicht antwortete, da riß er ihn grob an der Schulter herum.

Kim schlug seine Hand beiseite und funkelte ihn an. »Er stirbt, du Narr!« sagte er wütend. »Siehst du das nicht?« Priwinn wurde kreidebleich und beugte sich vor, um dem Zauberer ins Gesicht zu sehen. Und auch Kim trat an sein Lager heran.

Themistokles öffnete die Augen und lächelte ganz schwach. Seine Stimme war so leise, daß sie einem Flüstern glich, und doch war sie klar und deutlich zu verstehen. »Noch nicht, kleiner Held«, sagte er lächelnd. »Meine Zeit läuft ab, aber noch ist es nicht soweit. Unsere Welt stirbt, und ich mit ihr, doch es gibt eine Rettung. Du hast uns einmal geholfen, Kim. Tu es noch einmal.«

»Aber wie?« fragte Kim verzweifelt. »Ich ... ich habe alles versucht! Ich würde mein Leben geben, wenn es etwas nützte.«

»Manchmal ist ein Leben zuwenig«, flüsterte Themistokles traurig. »Hilf ihnen, Kim. Du bist vielleicht der einzige, der es jetzt noch kann. Ich bin zu schwach dazu.«

Und damit schloß er die Augen. Seine Atemzüge wurden flacher und ruhiger; er war in einen tiefen, tiefen Schlaf gesunken, aus dem er vielleicht nie wieder erwachen würde.

Obwohl die Schlacht entschieden war, tobten noch Scharmützel die ganze Nacht hindurch. Überall in den Gassen hatten sich noch Gruppen der Flußleute verschanzt, die sich mit erbitterter Kraft verteidigten, obwohl sie längst eingesehen haben mußten, daß sie nichts mehr gewinnen konnten. Aber nach und nach wurde das Klirren der Waffen und das Schreien und Rufen leiser, und die Stadt füllte sich mit anderen, nicht minder falschen Geräuschen: dem Klappern von Pferdehufen auf dem gläsernen Pflaster, dem Lachen und Singen der Männer, die ihren Sieg feierten, dem Prasseln großer Feuer, die überall im Freien entzündet worden waren, denn das Heer war viel zu gewaltig, als daß die Männer allesamt in den Häusern Unterkunft hätten finden können. Auch die Burg hallte bald wider von Schritten und Stimmen, denn Priwinn und seine Heerführer hatten sie zu ihrem Hauptquartier erkoren.

Kim bemerkte von all dem nicht viel. Er saß an Themistokles Bett, hielt die schmale faltige Hand des Alten in der seinen und wartete gebannt darauf, daß der Zauberer erwachte. Manchmal war er allein, manchmal waren Steppenreiter oder auch Baumleute bei ihm, und ein- oder zweimal kam Priwinn herein und sprach ihn an, bekam aber niemals eine Antwort.

Erst lange nach Mitternacht fuhr Kim aus seinem Brüten hoch, als er Lärm von der Tür her hörte und einen Moment später der Steppenkönig hereinkam, gefolgt von einer mehr als doppelt mannshohen, breitschultrigen Gestalt, die einen zappelnden Zwerg in der linken und einen lautstark schimpfenden Jungen in der rechten Hand trug, als wären sie Puppen.

Ein roter Federball saß auf seiner rechten Schulter, und zwischen seinen Beinen glitt die schwarze schlanke Gestalt Sheeras ins Zimmer.

»Gorg!« rief Kim erleichtert. »Du lebst!«

»Na ja«, meinte Bröckchen, vorlaut wie immer. »War knapp. Wäre ich nicht rechtzeitig gekommen, hätten sie ihn erwischt.«

Der Riese grinste. Er setzte den Jungen - bei dem es sich um niemand anderen als Peer handelte - vor Kim auf den Boden. »Natürlich lebe ich«, sagte er. »Was hast du denn gedacht?«

»Der Bursche da behauptet, er gehört zu dir«, sagte Priwinn und deutete auf Peer. »Ist das wahr?«

»Er ist mein Freund«, bestätigte Kim.

Peer starrte den Steppenkönig haßerfüllt an, und plötzlich fiel Kim wieder ein, was er ihm erzählt hatte an ihrem ersten Abend in den Höhlen der Zwerge. Er warf Peer einen fast beschwörenden Blick zu und stand auf. »Er hat mir bei der Flucht geholfen«, fuhr er fort. »Ohne ihn hätte ich es kaum geschafft.«

Der Blick, mit dem Priwinn den Jungen musterte, war gleichfalls alles andere als freundlich. Offensichtlich beruhte die Abneigung auf Gegenseitigkeit, dachte Kim. Und dann fiel ihm etwas anderes ein. Er drehte sich herum und blickte zu Gorg hinauf, der noch immer den zappelnden Zwerg in der linken Hand trug, als hätte er ihn dort glattweg vergessen. »Laß ihn herunter, Gorg«, bat er.

Der Riese sah ihn erstaunt an und tauschte einen fragenden Blick mit Priwinn, ehe er tat, was Kim verlangte. Er setzte Jarrn auf den Boden, hielt aber weiter dessen Schulter fest. Der Zwerg spuckte Gift und Galle und versuchte, die Finger des Riesen aufzubiegen, natürlich ohne den mindesten Erfolg.

»Laß ihn gehen«, sagte Kim.

»Wie bitte?« wiederholte Priwinn ungläubig.

Kim nickte und deutete mit einer Kopfbewegung auf Jarrn. »Ich habe ihm die Freiheit versprochen«, sagte er. »Wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre Themistokles jetzt vielleicht tot.«

»Unsinn!« behauptete Priwinn. »Wir hätten diese Lumpen schon irgendwie überwältigt. Bist du verrückt, ihn freilassen zu wollen? Weißt du, wer das ist?«