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Das begann ihn neugierig zu machen. Eine sonderbare Art von Erregung erfaßte ihn. Hastig drückte Kim die Klinke herunter, riß die Tür auf und stürmte auf den Gang hinaus. Peer hatte sich bereits etliche Stufen weit die gläserne Wendeltreppe hinunter bewegt und war seinen Blicken fast entschwunden. Kim griff rasch aus, um aufzuholen, verfiel dann aber in das gleiche Tempo wie der schlafwandlerische Junge und ging in zwei Schritten Abstand hinter ihm her. Er bezweifelte, daß Peer es bemerkt hätte, wäre Kim neben ihn getreten oder nicht einmal, hätte er versucht, ihn zu berühren und festzuhalten. Aber Kim wollte auf keinen Fall ein Risiko eingehen.

Langsam gingen sie die gewaltige Wendeltreppe bis in die Eingangshalle des Schlosses hinab, wo Peer sich nach links wandte, nicht der Tür nach draußen zu, sondern auf eine der schmalen Nebenpforten hin, die in jene Bereiche führten, die der Dienerschaft vorbehalten waren und durch die er mit Priwinn schon einmal eingedrungen war, um zu Themistokles zu gelangen. Die Halle war reichlich bevölkert. Zahlreiche Männer hatten ihr Lager hier aufgeschlagen. Die meisten lagen auf dem nackten Boden oder benutzten Decken und Sättel als Kopfkissenersatz. Einige waren noch wach und redeten leise miteinander. Und als Kim an ihnen vorbeikam, blickte einer dieser Männer auf und sprang erschrocken in die Höhe.

»Herr!« rief er. »Was -?«

Auf seinen Zügen breitete sich ein Ausdruckvon Verblüffung aus, als er das Gesicht unter dem schwarzen Helm der Zauberrüstung erkannte, der fast augenblicklich in Mißtrauen und Zorn umschlug. »Wer bist du?« fragte er scharf. »Was fällt dir ein, diese Rüstung anzulegen, Bursche?«

Kim war viel zu überrascht, um zu antworten. Er rührte sich nicht einmal, als der Mann die Hand ausstreckte und ihn grob an der Schulter zu rütteln begann. »Rede!«

Kim blickte hastig zu Peer hin. Der Junge hatte die Pforte fast erreicht. Es blieb keine Zeit, sich mit diesem Mann zu streiten. So hob er den Arm und wollte die Hand des Kriegers abstreifen, aber der Griff des Mannes verstärkte sich nur noch, und er schüttelte Kim immer heftiger.

»Du sollst antworten, Kerl!« schrie er. Jetzt waren auch andere aufgestanden und traten neugierig hinzu. Kim hatte endgültig genug, zumal Peer in diesem Augenblick durch die geschlossene Tür hindurchschritt und verschwunden war. Mit einer groben Bewegung fegte er den Arm, der ihn gepackt hielt, beiseite - und schrie auf, als der Mann blitzschnell mit der anderen Hand zuschlug und ihm eine Ohrfeige versetzte. Zwar nahm ihr der schwarze Helm den größten Teil ihrer Wucht, aber Kim stolperte doch zurück und stürzte der Länge nach zu Boden.

Ein dumpfer Schmerz schoß durch seinen Hinterkopf und wurde für einen Moment so heftig, daß er rote Schleier vor den Augen sah. Zu allem Unglück biß er sich auch noch auf die Zunge und spürte salziges Blut im Mund. Benommen richtete er sich etwas auf und stöhnte, als sich der Mann, der ihn zu Boden geschlagen hatte, über ihn beugte und ihn grob in die Höhe zerrte.

Aber bevor Kim ein weiterer Schlag treffen konnte, erscholl eine scharfe Stimme.

»Was ist da los?«

Kim blinzelte, als er die Gestalt in braunem Leder erkannte, die im Zickzack zwischen den schlafenden Kriegern hindurch auf sie zueilte. Er hatte Priwinn so lange nicht mehr in seiner angestammten Kleidung gesehen, daß ihm der Anblick zuerst falsch vorkam. Und noch etwas war daran - nein, nicht daran, sondern an dieser ganzen Situation! - das ihn zutiefst erschreckte.

»Was geht hier vor?« fragte Priwinn noch einmal mit Schärfe und stockte dann mitten im Schritt, als er Kim erkannte. Erst war er einfach fassungslos, aber dann breitete sich ein Ausdruck freudiger Überraschung auf seinem Gesicht aus.

»Kim!« rief er. »Du hast dich also entschieden!«

War das noch ein Traum?

Priwinn fuhr herum und schrie den Mann an, der Kim gepackt hatte: »Laß ihn sofort los, du Narr! Weißt du nicht, wer das ist?! Es ist Kim!«

Offensichtlich war dieser Name dem Mann keineswegs fremd, denn er ließ Kim hastig los und wurde kreidebleich. Priwinn trat mit einem schnellen Schritt an ihm vorbei und legte dem Freund die Hand auf die Schulter. »Ich bin froh, daß du dich entschieden hast. Stell dir vor, Rangarig ist zurück, und er ist wieder völlig in Ordnung! Er und der Tatzelwurm wollen mit uns gemeinsam gegen die Eisenmänner kämpfen! Jetzt wird alles gut!«

Das war kein Traum, dachte Kim fast hysterisch. Hastig streifte er Priwinns Hand ab und deutete auf die Tür, durch die Peer hindurchgegangen war. »Peer ...«, flüsterte er. Priwinn blickte fragend. »Was ist mit ihm?«

»Er ... er ist doch ... hier vorbeigegangen«, murmelte Kim. »Verzeiht, aber Ihr müßt Euch täuschen«, sagte der Mann jetzt demütig, der Kim noch vor Augenblicken angebrüllt und geschlagen hatte. »Hier ist niemand vorbeigegangen.« Kims Kopf flog mit einem Ruck herum. »Bist du sicher?!« keuchte er.

»Völlig, Herr«, antwortete der andere kleinlaut. »Nur Ihr wart hier. Deshalb meine Verwirrung - Ihr schient... wie in Trance...«

»Was soll das heißen?« mischte sich Priwinn ein. »Was -« Kim hörte gar nicht mehr zu. Sie hatten ihn nicht gesehen! Keiner dieser Männer hier hatte Peer gesehen, nur er. Und Kim hatte plötzlich die entsetzliche Gewißheit, was das bedeutete. Es war kein Traum! Er erlebte all dies WIRKLICH! Ohne auch nur zu hören, was Priwinn oder sonst jemand sagte, riß er sich los und stürmte hinter dem Freund her. Mit ein paar gewaltigen Sätzen erreichte er die Pforte und rüttelte vergeblich daran, bis er begriff, daß sie verschlossen war. Priwinn rief ihm etwas zu, aber Kim verstand nicht, was er sagte, statt dessen riß er das Schwert aus dem Gürtel und ließ die Klinge mit aller Macht auf den Riegel heruntersausen. Mit einem berstenden Knall zersprang das farbige Glas des Riegels, und gleich die ganze Tür in tausend Stücke, und Kim stürmte hindurch, ohne auf Priwinns überraschte Rufe oder die trappelnden Schritte der anderen hinter sich zu achten.

Hinter der zerborsten Tür lag ein langer, staubiger Gang, der sichtlich schon lange nicht mehr benutzt worden war. Etliche Türen zweigten von ihm ab. Sie standen alle offen, so daß Kim im Vorbeilaufen einen Blick in die dahinterliegenden Räume werfen und feststellen konnte, daß Peer nicht dort war. Nur am Rande bekam er mit, wie Priwinn hinter ihm in den Korridor stürmte und ihn immer wieder bat, stehenzubleiben oder ihm wenigstens zu sagen, was los sei. Aber Kim rannte nur schneller, bis er das Ende des Ganges erreichte und dort vor einer weiteren, verschlossenen Tür stand. Diesmal mußte er zwei- oder dreimal mit dem Schwert zuschlagen, bis der Riegel nachgab und er die Tür mit der Schulter aufsprengen konnte. Priwinns Schritte hinter ihm kamen näher, aber Kim achtete nicht darauf.

Er registrierte auch kaum, wie etwas an seinen Beinen vorbeischoß und in der grauen Dämmerung vor ihm verschwand. Erst im Nachhinein, als Bröckchen von seiner Schulter hüpfte und dem Schatten mit überraschender Behendigkeit folgte, begriff er, daß es der Kater Sheera gewesen war. Offensichtlich hatte das Tier, anders als sein Herr Priwinn, den Jungen sehr wohl gesehen.

Vor Kim lagen die ersten Stufen einer schmalen, sich in engen Drehungen die Erde hinabwindenden Treppe. Eine zentimeterdicke Staubschicht bewies, daß hier lange niemand mehr hinuntergegangen war. Keinerlei frische Spur zeigte sich darin, und doch wußte Kim mit Sicherheit, daß Peer diesen Weg genommen hatte. So schnell er nur konnte, hetzte er die Treppe hinab, wobei er oft auf den glatten Stufen ausglitt und sich an den Wänden festhalten mußte. Einmal stürzte er und kollerte ein ganzes Stück weit scheppernd in die Tiefe, ohne sich aber ernsthaft dabei zu verletzen.