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»Themistokles!« schrie er. »Wach auf! Ich flehe dich an, wach auf!«

Auch Sheera und Bröckchen, die auf dem Bett des Magiers hockten, bemühten sich nach Kräften, ihn aufzuwecken.

Aber der alte Mann rührte sich nicht. Priwinn schüttelte ihn verzweifelt, so daß sein Kopf hin- und herrollte und sich sein Gesicht wie unter Schmerzen verzog. Aber seine Augen blieben geschlossen, und Kim wußte, daß er auch nicht erwachen würde. Vielleicht nie mehr.

Schließlich hob er den Arm und drückte Priwinns Hand mit sanfter Gewalt beiseite. »Laß ihn«, sagte er leise. »Er kann uns nicht mehr helfen.«

Priwinn fuhr herum und hob die Faust, als wollte er ihn schlagen. Sein Gesicht verzerrte sich, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Aber der Zorn, den Kim darin sah, galt nicht ihm, und es waren Tränen der Hilflosigkeit, nicht der Wut.

»Es ist vorbei«, murmelte Kim. Müde stand er auf und warf einen letzten, langen Blick auf den schlafenden Zauberer herab. Dann zog er das Schwert aus der Scheide. Er legte es auf den Tisch zurück, von dem er es mitten in der Nacht genommen hatte; in dem Traum, der kein Traum gewesen war.

»Das war sehr klug von dir, mein Junge.«

Kim drehte sich ohne Hast zur Tür herum und sah den Mann an, der gesprochen hatte. Er war groß und hatte ein dunkles, von einem kurzgeschnittenen, schwarzen Bart beherrschtes Gesicht. Er trug die Kleidung der Flußleute, aber um seine Stirn lag ein silberner Reif, so daß Kim annahm, daß er wohl König oder Heerführer war, oder vielleicht beides. Seine Augen waren hart, aber nicht so grausam, wie Kim es befürchtet hatte, und sein Gesicht war das eines starken, aber nicht gnadenlosen Mannes.

»Und Ihr, König Priwinn«, fuhr der Fremde fort, »solltet Euch ein Beispiel an Eurem Freund nehmen und die Waffe senken. Es ist vorbei.«

Priwinn starrte den Mann wortlos an, dann begannen seine Lippen zu zittern, und seine Hand schloß sich so fest um den Griff des Schwertes, daß das Blut aus seiner Haut wich. »Niemals!« sagte er leise. »Ihr habt vielleicht gewonnen, aber ich ergebe mich nicht. Eher sterbe ich!«

Und damit riß er das Schwert in die Höhe und stürzte sich auf den Fremden.

Mit einer blitzschnellen Bewegung trat Gorg dazwischen, riß Priwinn zurück und entrang ihm das Schwert. Er warf die Klinge mit solcher Macht gegen die Wand, daß sie zerbrach, dann setzte er den Freund beinahe sanft wieder zu Boden und schüttelte den Kopf. »Laß es gut sein, Priwinn«, sagte er leise. »Er hat recht. Es ist vorbei. Dein Tod nützt niemandem etwas.«

Priwinns Augen füllten sich abermals mit Tränen. Mit einem Schrei riß er sich los, fuhr herum und begann, mit beiden Fäusten auf die Brust des Riesen einzuhämmern. Gorg wehrte sich nicht, sondern stand einfach da und blickte traurig auf ihn herab. Nach einigen Augenblicken hörte Priwinn auf, auf ihn einzuschlagen. Mit hängenden Schultern und schluchzend wich er zurück.

»Dann tötet mich«, sagte er. »Tut, was Ihr wollt.«

»Wir wollen nicht Euren Tod, König Priwinn«, sagte der andere. Er lächelte auf eine sonderbar milde, verzeihende Art. »Das war es nie, was wir wollten. Wir wollten nur das Leben führen, das uns gefällt. Erst als Ihr versucht habt, uns Eure Art von Glück aufzuzwingen, da haben wir zur Waffe gegriffen.«

Er trat einen Schritt weiter in das Zimmer hinein und zugleich zur Seite, um einem Eisenmann Platz zu machen, dann beugte er sich über Themistokles' Lager und blickte nachdenklich auf den alten Mann herab. »Das also ist Themistokles. Ich habe viel von ihm gehört.«

»Er stirbt«, sagte Kim leise.

»Das tut mir leid«, antwortete der König der Flußleute. Und so wie er es sagte, klang es ehrlich. »Aber er war ein alter Mann«, fuhr er fort. »Und er hat ein langes Leben gelebt, viel länger als jeder von uns. Seine Zeit ist vorbei. Der Zauber vergeht, und mit ihm vergehen die Zauberer.«

»Und Männern wie dir wird die Zukunft gehören, wie?« sagte Priwinn bitter.

»Vielleicht«, antwortete der Flußkönig. »Es wird sich zeigen.«

Kim trat ans Fenster, blickte hinaus und sagte leise und ohne sich herumzudrehen: »Ihr werdet keine Zukunft haben.«

Er konnte hören, wie alle erstaunt aufsahen, und fuhr im gleichen, leisen Tonfall und noch immer ohne hinzusehen fort: »Seht hinaus, dann wißt Dir, was von Eurer Zukunft übriggeblieben ist. Ihr habt sie verkauft, für ein bißchen mehr Bequemlichkeit und Wohlstand.«

Priwinn schwieg, aber der Flußmann sagte: »Du bist verbittert, Junge. Ich habe von dir gehört. Ich weiß, wer du bist. Glaube mir, ich verstehe, wie du dich fühlst. Du hast diese Welt einmal gerettet, und du hast gedacht, du könntest es wieder tun. Aber du täuschst dich. Du kannst vielleicht den stärksten Feind besiegen. Aber du kannst nicht den Lauf der Welt aufhalten.«

Kim drehte sich nun doch herum. Im gleichen Moment, in dem er es tat, betrat ein Eisenmann den Raum, und dicht dahinter der Zwergenkönig Jarrn, als hätte er nur auf diesen Augenblick gewartet. Vielleicht hatte er draußen gestanden und gelauscht.

»Ihr glaubt mir nicht?« fragte Kim müde. Er deutete auf den Zwerg. »Dann fragt ihn.«

Der Flußmann wandte stirnrunzelnd den Kopf, und auch Priwinn blickte auf den Zwergenkönig herab. Jarrn sah von einem zum anderen und blinzelte dann zu Kim hinauf. »Was meinst du damit?« fragte er harmlos.

»Gib dir keine Mühe«, sagte Kim. »Ich kenne das Geheimnis. Ich habe gesehen, was mit Peer passiert ist.«

»Was soll das bedeuten, Zwerg?« fragte der Flußmann mißtrauisch.

Jarrn zuckte schnippisch mit den Achseln. »Ich weiß überhaupt nicht, wovon er redet«, antwortete er patzig. »Er spinnt! Glaubt ihm kein Wort.«

»Die Eisenmänner«, sagte Kim. »Ihr alle habt geglaubt, daß die Zwerge sie herstellen, daß sie sie mit magischen Kräften aus Erz schmieden, wie all ihre Waffen und Gerätschaften. Aber das stimmt nicht.« Er wandte sich mit einer auffordernden Geste an Jarrn. »Das ist doch wahr, nicht?«

»Nun ja«, knurrte Jarrn widerwillig. »Wie man es nimmt.«

»Sprich nicht in Rätseln, Zwerg!« sagte der Flußmann scharf. Jarrn funkelte ihn an. »Fängst du schon wieder an, dich aufzuspielen, Drecksack? Wir haben einen Vertrag, wenn ich mich recht besinne. Vielleicht könntest du ihn diesmal ausnahmsweise halten.«

»Das ist keine Antwort«, sagte der Flußmann ungerührt. Plötzlich runzelte er die Stirn, als wäre ihm gerade in diesem Moment etwas eingefallen, und er wandte sich an Kim. »Was hast du damit gemeint, als du vorhin sagtest: Es sind die Kinder?«

Kim schwieg eine Weile, während Jarrn begann, mit den Füßen zu scharren und plötzlich etwas ungeheuer Interessantes darauf zu entdecken. »Ihr habt zuvor von der Zukunft gesprochen«, hob Kim schließlich an, »und wem sie wohl gehört. Doch Ihr habt eines vergessen: Eure Kinder sind die Zukunft, Eure Kinder und Eure Welt. Ihr habt beides verspielt. Wer immer diese Schlacht und auch den Krieg gewinnen mag, er wird sich nicht lange am Sieg erfreuen können.«

»Er redet im Fieber!« keifte Jarrn. »Glaubt ihm kein Wort!« Aber der Flußmann forderte Kim mit einer Geste auf, weiterzusprechen. Er war sehr blaß geworden.

»Erinnert Ihr Euch, was Ihr gerade selbst gesagt habt?« fuhr Kim fort. »Ihr habt zur Waffe gegriffen, weil Ihr ein Leben führen wollt, wie es Euch gefällt. Priwinns Weg war falsch, aber der Eure ist nicht richtiger. Ihr habt gesiegt, aber für wen? Dies ist das Land des Zaubers und der Märchen, und wenn beides erlischt, dann wird auch Märchenmond erlöschen. Ihr habt eure Kinder geopfert und eure Welt.«

»Das ist ... Unsinn«, widersprach jetzt der Flußmann, aber seine Stimme klang unsicher. »Du redest schon so wie dieser Narr aus Caivallon hier, der alles haßt, was die Zwerge tun, und alle, die mit ihnen Handel treiben. Wir wollten diesen Krieg nicht. Was wir wollten, war nur ein besseres Leben, für uns und unsere Kinder.«