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Und es schien ihr auch diesmal wieder gelungen zu sein, denn als Kim - irgendwann, spät in der Nacht - plötzlich hochschrak und sich im dunklen Zimmer umsah, da waren die Stimmen aus dem Erdgeschoß verstummt, und im Haus war es still. So vollkommen still, daß es fast unheimlich war. Zuerst saß Kim einfach da, blinzelte sich den Schlaf aus den Augen und wunderte sich ein wenig, daß er überhaupt eingeschlafen war, bei alldem, was ihm im Kopf herumspukte. Aber schließlich war der Tag aufregend genug gewesen, kein Wunder, daß er müde war.

Kim gähnte, schwang die Beine aus dem Bett, auf dem er vollkommen angezogen eingeschlafen war, und fuhr sich mit beiden Händen über die Augen. Er fühlte sich noch ein bißchen benommen, aber er wußte, daß er so bald nicht wieder einschlafen konnte - und schließlich hatte er wirklich Besseres zu tun, als seine Zeit im Bett zu vertrödein. Er mußte einen Weg zurück nach Märchenmond finden.

Nur hatte er keine Ahnung, wie.

Langsam stand er auf, sah sich in seinem Zimmer um und ging zur Tür, um Licht zu machen, überlegte es sich dann aber anders. Sein Vater hatte die Angewohnheit, manchmal bis spät in die Nacht hinein zu arbeiten. Wenn er das Licht sah, das aus Kims Zimmer drang, brachte er es fertig und kam herein, um nach dem Rechten zu sehen. Und womöglich den unterbrochenen Streit fortzusetzten. Statt also das Licht anzuknipsen, schaltete Kim nur seinen Computer ein und lies den Farbbildschirm mit einem Knopfdruck weiß werden. Die Helligkeit, die der Monitor abgab, reichte durchaus, um sich zurechtzufinden.

Seufzend ließ sich Kim an seinem Schreibtisch nieder, betrachtete eine Zeitlang das zermalmte Wrack des Viper-jägers und machte sich lustlos daran, wenigstens die größten Trümmerstücke notdürftig zusammenzukleben. Er rechnete sich keine großen Chancen aus, damit viel zu erreichen, aber verdammt, irgend etwas mußte er schließlich tun. Und es erschien ihm immer noch besser, etwas Sinnloses zu tun als gar nichts.

Als er das zertrümmerte Hecktriebwerk anfügen wollte, an das, was vom Rumpf übriggeblieben war, und sich dabei vorbeugte, spürte Kim einen stechenden Schmerz im rechten Oberschenkel.

Er verzog das Gesicht, ließ das Plastikteil auf den Schreibtisch fallen und griff in die Tasche. Mit spitzen Fingern zog er die winzige Flöte hervor, die er aus dem Krankenhaus mitgenommen hatte.

Diesmal steckte er sie nicht sofort wieder weg, sondern wog sie lange und nachdenklich in den Händen. Ob sie vielleicht...?

Ein Versuch konnte nicht schaden, obgleich ihm der Gedanke ein bißchen lächerlich vorkam. Außerdem wäre es einfach zu leicht. Trotzdem setzte er das kleine Instrument an die Lippen, versuchte mit spitzen Fingern die winzigen Löcher darauf zuzuhalten und blies kräftig hinein.

Im allerersten Moment hörte er gar nichts, dann gab die Flöte einen dünnen, aber so gräßlichen Mißton von sich, daß Kim erschrocken zusammenfuhr und sie um ein Haar fallen gelassen hätte. Der Ton war so schrill, daß seine Zähne schmerzten und die Glasscheibe vor dem Bildschirm seines Computers zu vibrieren begann.

Verblüfft sah er die kleine Flöte an, verbarg sie wieder in der geschlossenen Faust und blickte sich dann im Zimmer um. Nichts.

Sein Zimmer blieb sein Zimmer, und die Dunkelheit vor dem Fenster blieb die Dunkelheit vor dem Fenster. Was hatte er erwartet? Daß sich der Boden auftat und ein Fahrstuhl nach Märchenmond erschien?

Mit einem enttäuschten Kopfschütteln steckte er die Flöte wieder ein und wollte sich erneut der Viper zuwenden. Aber in diesem Moment hörte er ein Geräusch aus dem Erdgeschoß.

Überrascht blickte er auf, sah auf die kleine Uhr, die in der oberen rechten Ecke des Computerschirms immer mitlief, und dann wieder zur Tür. Es war fast vier - selbst für seinen Vater eine ungewöhnliche Zeit. Außerdem pflegte er, wenn er schon so lange wach war, sich sehr vorsichtig zu bewegen, und nicht herumzutrampeln wie ein Elefant in einer Konservendosenfabrik - und ungefähr so hörten sich die Geräusche an, die noch immer heraufdrangen.

Kim stand auf und ging zur Tür. Er öffnete sie vorsichtig und so leise er konnte. Angespannt lauschte er hinaus. Der Krach drang aus dem Wohnzimmer herauf; das hörte er jetzt ganz deutlich - und es klang tatsächlich, als scheppere dort unten jemand mit sämtlichen Kochtöpfen, Bratpfannen und Konservendosen, die er in der Küche hatte auftreiben können. Was, um alles in der Welt, ging dort unten vor?

Behutsam schob Kim die Tür ganz auf, trat auf den Korridor hinaus und sah nach rechts und links. Es war vollständig dunkel - weder aus dem Erdgeschoß noch aus dem Schlafzimmer seiner Eltern, das am Ende des Ganges lag, kam auch nur das mindeste Licht. Dafür wurde das Scheppern und Klirren unten noch lauter, und dann hörte Kim ein seltsames Rasseln, das er sich gar nicht mehr erklären konnte. Mit klopfendem Herzen bewegte sich Kim auf die Treppe zu und blieb auf dem obersten Absatz stehen. Die Wohnzimmertür stand auf. Die Gardinen schienen nicht vorgezogen zu sein, denn er sah einen bleichen Lichtschimmer von grauer Farbe, der das Rechteck der Tür ausfüllte, und nachdem sich seine Augen ein wenig an das schwache Licht gewöhnt hatten, auch den Tanz von Schatten. Jemand bewegte sich im Wohnzimmer. Und Kim war sicher, daß es nicht sein Vater war.

Auf Zehenspitzen schlich er weiter, blieb auf halber Höhe noch einmal stehen und sah wieder zum elterlichen Schlafzimmer zurück. Seine Tapferkeit ängstigte ihn ein bißchen - um so mehr, als er sich eines Gespräches mit seinem Vater vor nicht allzu langer Zeit erinnerte, in dem sie sich über den Unterschied zwischen Mut und Leichtsinn unterhalten hatten. Wenn dort unten im Wohnzimmer wirklich ein Einbrecher war, dann war es wohl nicht besonders intelligent, wenn Kim allein hinunterging und ihn stellte. Andererseits - wer hatte je von einem Einbrecher gehört, der sich alle nur erdenkliche Mühe bereitete, Krach zu machen?

Kim schlich weiter, erreichte die Wohnzimmertür und lugte mit angehaltenem Atem um die Ecke.

Und da war er sehr froh, sich so leise bewegt zu haben. Das Wohnzimmer war völlig verwüstet. Sämtliche Möbel waren umgeworfen und zum Teil zerbrochen, der Fernseher, Vaters Stereoturm und die elektronische Wanduhr waren nur noch rauchende Trümmerhaufen, als hätte sie jemand methodisch kurz und klein geschlagen, und durch die offenstehende Tür konnte Kim sehen, daß es in der Küche den technischen Gerätschaften nicht anders ergangen war. Das Fenster stand weit offen, war aber dabei zerschlagen, und die Vorhänge waren heruntergerissen. Ein helles, unangenehmes Licht fiel von draußen ins Zimmer, so daß Kim die gesamte Verwüstung in aller Deutlichkeit sehen konnte. Sie - und die Gestalt, die inmitten des Chaos stand und beständig den Kopf von rechts nach links und wieder zurück drehte, als suche sie etwas Neues, was sie zerschlagen und zermahnen konnte.

Nein, es war nicht Kims Vater.

Es war überhaupt kein Mensch. Jedenfalls keiner, wie Kim ihn je zuvor gesehen hatte ... Eine geraume Weile stand Kim einfach da, starrte den zwei Meter großen, kantigen Riesen an, der in dem verheerten Zimmer stand, und zweifelte am eigenen Verstand.

Obwohl er ihn gegen das grelle Licht vor dem Fenster nur als schattenhaften Umriß erkennen konnte, gab es gar keinen Zweifeclass="underline" die gewaltigen, kantigen Schultern, die riesigen Klauen, eine davon schlank und mit gelenkigen, überaus geschickt anmutenden Fingern ausgestattet, die andere eine fürchterliche Stahlklaue mit rasiermesserscharfen Kanten, die zu nichts anderem zu gebrauchen war als zum Zerreißen und Zerfetzen, das Gesicht, dessen Silhouette an die Maske eines Eishockey-Torwartes erinnerte, und das schmale, schlitzförmige Auge, hinter dem grüne Leuchtbuchstaben jagten - es war der Roboter aus dem Science-fiction-Film vom Abend!

Und fast, als spüre er seine Anwesenheit, drehte die Gestalt in diesem Moment den kantigen Schädel und blickte Kim an. Kim erwachte mit einem Schrei aus seiner Erstarrung und fuhr herum. Instinktiv machte er einen Schritt auf die Haustür zu, prallte dann aber mitten in der Bewegung zurück. Rebekka und seine Eltern! Er mußte sie warnen! Der Koloß war nicht hergekommen, um sich mit ihnen zu unterhalten! Ganz egal, aus welcher Ecke der Galaxis er auch kam - dies würde keine Begegnung der dritten Art, sondern eine der tödlichen sein, wenn er seine Eltern oder seine Schwester im Schlaf überraschte. Es war seltsam genug, daß sie der Krach nicht schon geweckt hatte.