Taumelnd verließ Kim wieder das Zimmer, drehte sich hilflos im Kreis und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Der größte Teil des Korridors stand bereits in Flammen, und der Rauch war so dicht, daß Kim das Gefühl hatte, ersticken zu müssen. Jeder Atemzug war eine Qual. Selbst wenn ihn der Roboter nicht erreichte, würde er in wenigen Augenblicken ersticken und verbrennen.
Wieder drang dieses fürchterliche Krachen und Bersten aus dem Erdgeschoß herauf. Kim arbeitete sich hustend und mit tränenden Augen zur Treppe vor und beobachtete entsetzt, wie der Roboter da unten alle möglichen Möbelstücke zusammentrug und am Fuße der zusammengebrochenen Treppe zu einem Haufen auftürmte. Noch ein paar Minuten, und er würde sich auf diese Weise eine Treppe gebaut haben, über die er bequem heraufkriechen und nachsehen konnte, ob sein Opfer noch lebte. Und gegebenenfalls etwas dagegen unternehmen.
Kim taumelte verzweifelt in sein Zimmer zurück, riß einen Stuhl hoch und schmetterte ihn mit aller Kraft gegen die Glaswand vor dem Fenster.
Der Stuhl zerbrach. Die Glaswand nicht.
Er brauchte etwas Stärkeres, um sie zu zertrümmern - aber was? Es gab in seinem Zimmer alles mögliche - aber nichts, was geeignet schien, eine Scheibe aus Panzerglas zu zerstören. Trotzdem riß er ein Stück des zerbrochenen Stuhls in die Höhe und schlug damit mehrmals und mit aller Gewalt zu. Mit dem einzigen Ergebnis, daß Kims Arme nach ein paar Hieben zu schmerzen begannen und er nun wirklich keine Luft mehr bekam; das Zimmer war derart von heißem Rauch erfüllt, daß Kim das Gefühl hatte, Feuer zu atmen. Er taumelte wieder auf den Gang hinaus - und blickte direkt in das grünleuchtende Schlitzauge des Roboters, das sich in diesem Moment über den Treppenabsatz schob. Die winzigen Leuchtbuchstaben dahinter schienen triumphierend aufzuflammen. Eine gewaltige Eisenklaue griff nach oben und grub sich knirschend in die Dielen, während der schwere Riese begann, seinen Körper in die Höhe zu ziehen.
Die schiere Todesangst erfüllte Kim mit dem Mut der Verzweiflung. Mit einem Satz sprang er auf den Roboter zu, holte aus und versetzte ihm einen Tritt, daß sein Metallschädel wie eine Glocke dröhnte. Der Roboter wankte, aber er kippte nicht, wie Kim gehofft hatte, rücklings nach unten und zerbrach vollends, sondern schlug im Gegenteil wieder mit der Klaue aus, so daß sich Kim mit einem hastigen Hüpfer in Sicherheit bringen mußte.
Er war verloren! Das Haus brannte jetzt wie ein Scheiterhaufen, und der Koloß würde in wenigen Augenblicken hier sein und Kim zweifellos umbringen, wenn es ihm nicht gelang, die Glaswand zu zerbrechen!
Und dann fiel ihm etwas ein. Es gab noch eine Möglichkeit, das Glas zum Zerspringen zu bringen ...
Kim versetzte dem Roboter einen weiteren Tritt, sprang mit einem Satz in sein Zimmer zurück und riß die winzige Flöte aus der Tasche. Vor lauter Aufregung ließ er sie fallen und tastete einen Moment lang blind über den Teppich, der mit Asche und qualmendem Holz übersät war. Dann hob er sie an die Lippen und blies mit aller Macht hinein.
Ein schriller, quäkender Quietschton erklang, der so intensiv war, daß Kim vor Schmerz die Augen schloß. Sein Schädel schien zerspringen zu wollen, und seine Zähne fühlten sich an, als versuche jemand, sie einzeln auszureißen.
Aber als Kim den Blick hob und wieder zum Fenster sah, waren sämtliche Scheiben zerborsten, und das Glas davor war nicht länger unsichtbar, sondern hatte sich in ein Spinnennetz aus Sprüngen und Rissen verwandelt.
Kim atmete tief ein, wappnete sich gegen den neuerlichen Schmerz und setzte das Musikinstrument erneut an die Lippen, als eine stählerne Hand seine Schultern packte und ihn mit unvorstellbarer Kraft herumriß.
Kim schrie auf, prallte gegen die Wand und taumelte hilflos auf den Flur hinaus, als ihm der Koloß einen Stoß versetzte. Die stählerne Klaue schlug nach Kims Gesicht und verfehlte es nur knapp, weil Kim in diesem Moment abermals das Gleichgewicht verlor und rücklings auf den Korridor hinausfiel.
Sofort wollte er sich herumwerfen, aber er konnte die Bewegung nicht einmal halb zu Ende führen. Der Roboter machte einen einzigen, stampfenden Schritt und sein riesiger Eisenfuß erwischte Kims Hosenbein und nagelte es regelrecht an den Boden. Kim schrie auf und versuchte sich loszureißen, aber der Stoff seiner Jeans hielt seinen Kräften stand.
Fast gemächlich drehte sich die fürchterliche Gestalt vollends herum, starrte auf Kim herab - und hob den zweiten Fuß, um ihn damit zu zerstampfen.
In diesem Moment dachte Kim nicht mehr nach - setzte seine Flöte an die Lippen und blies mit aller Kraft hinein. Der Ton schien seinen Schädel sprengen zu wollen. Er schrie vor Schmerz auf, warf gequält den Kopf zurück und blies noch einmal in das winzige Mundstück. Vor dem Fenster seines Zimmers zerbarst klirrend die Scheibe, und gleich darauf sank auch die unsichtbare Wand vor der Schlafzimmertür in einem Scherbenregen in sich zusammen.
Etwas traf mit ungeheurer Wucht auf das Glas hinter Rebekkas Tür und ließ es regelrecht explodieren. Ein langgestreckter, rotbrauner Schatten flog wie ein Blitz durch die Luft, prallte gegen den Roboter und schleuderte ihn meterweit davon. Mit einem schrillen, metallischen Kreischen krachte die riesige Mordmaschine gegen die Wand.
Kims Augen weiteten sich ungläubig, als er sah, was den Roboter angegriffen hatte: Es war ein geschupptes, grünrotes Etwas mit fürchterlichen Krallen und Zähnen, Augen wie geschliffene Rubine und einem wild peitschenden, muskulösen Schweif, das jetzt dicht vor dem Roboter hockte und ihn mißtrauisch beäugte. Das Geschöpf ähnelte einem Salamander - oder hätte ihm jedenfalls geähnelt, wäre es nicht von der Schwanzspitze bis zum Maul gute drei Meter lang gewesen und in den Schultern so hoch wie ein Schäferhund. Wie ein sehr großer Schäferhund.
Der Roboter drehte sich blitzschnell herum und musterte seinen neu aufgetauchten Gegner aus seinem grünen Auge. Kim sah, wie er ein paarmal versuchte, die Hand zu heben, die noch immer den Laserstrahler trug; doch der Arm verweigerte ihm den Dienst. Aber der andere funktionierte noch und der endete in der schrecklichen Stahlklaue. »Paß auf!« schrie Kim automatisch, als er sah, wie der Maschinenmann eine Bewegung nach links vortäuschte und dann blitzartig aus der anderen Richtung heraus zuschlug. Kim hatte keine Ahnung, ob der Riesensalamander seine Warnung hörte oder verstand. In jedem Fall schien sie überflüssig zu sein. Mit einer Schnelligkeit, die bei einem Wesen seiner Größe einfach unvorstellbar war, wich das Tier dem Hieb aus, sprang gleichzeitig auf den Roboter zu und ließ eine lange, geschmeidige Zunge aus dem Maul herausschnellen. Ehe der Roboter auch nur begriff, was geschah, hatte sich die Zunge um seinen Arm gewickelt. Fast gleichzeitig machte die Echse eine Bewegung zur Seite und schlug mit dem Schwanz zu.
Ein Geräusch erklang, als schlüge ein Hammer von der Größe der Freiheitsstatue auf einen entsprechenden Amboß. Mit einem trockenen Knirschen brach der Arm des Roboters dicht unter dem Schultergelenk ab, und mit einem Male sprühte die ganze riesenhafte Gestalt blaue und oran-gerote Funken. Statt grünem Licht erfüllten plötzlich rote Flammen den schmalen Sehschlitz in seinem Eisengesicht. Die ganze, riesige Gestalt wankte, schien sich für einen winzigen Moment noch einmal zu fangen - und stürzte dann stocksteif und rücklings zum zweitenmal ins Erdgeschoß herab. Diesmal hörte Kim deutlich das Geräusch von zerberstendem Metall.
Völlig fassungslos starrte Kim die große rotgrüne Echse an. Sie ... kam ihm bekannt vor, so verrückt ihm selbst der Gedanke erschien. Sie war ... war ...