Und dann waren die Waffen, die nach ihm stießen, plötzlich nicht mehr da - zusammen mit den Zwergen, die daran gehangen hatten.
Wo sie und ein Großteil der restlichen Zwergenarmee gewesen waren, da tobte eine graue, kochende Wand, in der Eiskristalle und faustgroße Hagelkörner schimmerten. Ein ungeheures Brüllen und Dröhnen marterte Kims Ohren und die Luft war plötzlich so kalt, dass selbst das Atmen wehtat.
Kim richtete sich benommen auf. Wohin er auch blickte, er sah überall dasselbe: Eine graue, tosende Wand, in der Schatten und blitzendes Eis durcheinander wirbelten und die aus Hunderten und Aberhunderten kleiner Windhosen zu bestehen schien, die ineinander griffen und so einen gewaltigen Orkan bildeten, dem nichts widerstehen konnte. Sturms Kräfte waren endlich zurückgekehrt. Und er machte reichlich Gebrauch davon.
Kim stemmte sich weiter hoch und sah sich nach den anderen um.
Nur noch ein einziger Zwerg war zu sehen - und der hätte in diesem Moment wahrscheinlich gerne mit seinen Kameraden getauscht, die der Sturm davongewirbelt hatte: Der Pack hielt seinen dürren Hals mit der einen Hand umklammert und versetzte ihm mit der anderen eine Backpfeife nach der anderen und das mit sichtlichem Vergnügen. Selbst der Drache und sein unheimlicher Gegner waren nicht mehr zu sehen. Wo sie gewesen waren, war nur noch ein riesiger, verschwommener Schatten zu erkennen. Sturm stand noch immer reglos und mit weit in den Nacken gelegtem Kopf da und starrte in den Himmel. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck allerhöchster Konzentration.
Der Wirbelsturm nahm immer noch an Gewalt zu. Kim und die anderen befanden sich in einem kleinen Bereich vollkommener Ruhe, dem Auge des Orkans, aber rings um sie herum tobten die entfesselten Elemente mit unvorstellbarer Gewalt. Kim sah Felsbrocken von der Größe eines kleinen Hauses, die wie Spielzeuge herumgewirbelt wurden, und der Boden zitterte immer heftiger. Es wurde auch immer kälter. Die Luft, die er atmete, schien nur noch aus Eis zu bestehen und das Fell des Pack war plötzlich weiß.
»Sturm«, sagte Kim. »Ich glaube, das reicht.«
Sturm reagierte nicht. Er starrte weiter in den Himmel hinauf, der mittlerweile fast schwarz vor brodelnden Gewitterwolken war. Dann fuhr ein erster, grellweißer Blitz nieder. Er traf die Spitze des Berges hinter ihm und ließ sie für den Bruchteil einer Sekunde in blauem, unheimlichem Licht aufleuchten. Kim konnte spüren, wie sich der Boden unter ihnen mit knisternder elektrischer Spannung auflud. Ein zweiter Blitz hämmerte in den Berg, dann ein dritter, vierter ... Die Bergspitze wurde ununterbrochen von Blitzen getroffen und begann allmählich rot, dann gelb und schließlich weiß zu glühen. Der Boden knisterte jetzt ununterbrochen vor elektrischer Spannung und Kim sah, dass winzige, blaue Flämmchen über das Fell des Pack und der Spinne liefen und dann zu Boden sprangen.
»Sturm!«, sagte er noch einmal. »Das reicht jetzt wirklich.«
Wie zur Antwort fuhr ein noch heftigeres Bombardement von Blitzen in den Berggipfel. Plötzlich lag ein scharfer, durchdringender Geruch in der Luft und Kim sah, wie sich dünne Ströme aus weiß glühendem, geschmolzenem Stein vom Gipfel zu lösen begannen um auf scheinbar willkürlichen Bahnen zum Tal zu rasen. Mehr als eine von ihnen deutete in ihre Richtung.
»Sturm!«, keuchte er. »Bist du verrückt geworden?!«
Er fuhr entsetzt herum. Sturm stand noch immer in derselben Haltung wie bisher da, scheinbar erstarrt, aber der Ausdruck auf seinem Gesicht hatte sich vollkommen verändert. Es war nun eindeutig der Ausdruck von Furcht.
»Sturm!«, schrie Kim und diesmal mit vollem Stimmaufwand. Endlich erwachte der rothaarige Junge aus seiner Erstarrung. Mit sichtlicher Mühe riss er sich vom Anblick des brodelnden Chaos am Himmel los und wandte sich zu Kim um. »Ich... ich bin das nicht«, sagte er zögernd.
Kim starrte ihn ungläubig an. »Du bist das nicht? Was soll das heißen?«
Sturm antwortete nicht. Vielleicht tat er es doch, aber das Heulen des Orkans hatte sich mittlerweile zu einem wahrhaftigen Weltuntergangsgetöse gesteigert, das jeden anderen Laut einfach verschluckte. Die gesamte Bergspitze glühte mittlerweile in einem düsteren, schmutzigen Gelb und immer mehr und mehr Blitze hämmerten nun auch in die Flanke des Berges, ließen Steine explodieren und ganze Felsplatten einfach verdampfen. Hier und da flogen dunkle, zappelnde Umrisse durch die Luft; Zwerge, die dem Toben der entfesselten Naturgewalten nichts entgegenzusetzen hatten.
Nach Minuten, die Kim wie Stunden vorgekommen waren und die sie angstvoll zusammengekauert im Schütze einiger Felsen verbracht hatten, ließ das Toben des Gewitters allmählich nach. Immer weniger Blitze schlugen in den Berg ein und schließlich hörte das blaue Flackern und Glühen ganz auf. Auch der Wirbelsturm büßte ein wenig an Kraft ein und zerfiel schließlich in zwei gewaltige, sich in rasendem Tempo um sich selbst drehende Luftsäulen, die bis zu den Wolken hinaufzureichen schienen und alles zertrümmerten, was in ihre Bahn geriet. Eine der beiden Windsäulen raste den Hang hinauf, raste nach links, rechts, vor und zurück - es dauerte eine geraume Weile, bis Kim wirklich begriff, was er da sah: Der Sturm machte Jagd auf die Zwerge!
Der zweite Tornado wechselte plötzlich seine Richtung, raste kaum einen Meter an Kim und dem Pack vorbei und ergriff den Skull. Das unheimliche Geschöpf wurde blitzartig in die Höhe gerissen und verschwand in den Wolken. Nur einen Augenblick später wechselte der Wirbelsturm abermals seine Richtung, steuerte das Loch an, aus dem der Drache und der Skull hervorgebrochen waren, und verschwand darin. Die Erde begann wieder zu beben.
Der Berg und die vorgelagerte Ebene sahen aus wie nach einer Generalprobe für den Weltuntergang. Ein Großteil der Bergspitze war regelrecht weggeschmolzen und auch auf der Flanke des Berges glühte der Fels noch an zahllosen Stellen in einem dunklen, unheimlichen Rot. Bizarrerweise war der Fels da, wo er nicht geschmolzen oder von den Blitzen zu schwarzer Schlacke verkohlt worden war, von Schnee und glitzerndem Eis bedeckt.
Der Boden bebte noch immer und Kim konnte regelrecht hören, wie tief unter ihren Füßen Gänge und gewaltige Höhlen zusammenbrachen.
Ein dunkles, qualvolles Stöhnen ließ ihn sich herumdrehen. Der Skull war verschwunden, aber der Drache lag noch immer dort, wo er gegen das Ungeheuer gekämpft hatte. Er war auf die Seite gefallen und blutete aus einem Dutzend schrecklicher Wunden und ein einziger Blick machte Kim klar, dass er sich von seinen Verletzungen nicht mehr erholen würde.
Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, setzte er sich in Bewegung und lief auf ihn zu. Die Spinne kreischte entsetzt und der Pack stieß ein erschrockenes Schnattern aus, aber Kim achtete weder auf das eine noch auf das andere. So laut er konnte, rief er nach der Elfe. Er bekam keine Antwort, glaubte aber ein flüchtiges Aufblitzen von Gold hinter einem Felsbrocken nicht sehr weit entfernt wahrzunehmen.
Der Drache öffnete stöhnend ein Auge, als Kim ihn erreichte. Es war blutunterlaufen und sein Blick trüb. Er musste große Schmerzen haben.
»Was ... willst ... du?«, fragte er mühsam. Er konnte kaum sprechen. Einer seiner gewaltigen Hauer war abgebrochen und jeder Atemzug wurde von einem schrecklichen Rasseln begleitet. Trotzdem fuhr er fort: »Bist du gekommen um dich an meiner Niederlage zu weiden?«
Twix kam herangeflattert. Sie sah ziemlich mitgenommen aus. Ihre Flügel hatten fast ihren gesamten goldenen Glanz eingebüßt und waren zerknittert und ihr Gesicht und ihre Glieder waren zerschunden. »Du hast gerufen?«
Kim deutete auf den Drachen. »Kannst du etwas für ihn tun?« Twix bedachte den Drachen nur mit einem einzigen Blick und schüttelte dann traurig den Kopf. »Nicht einmal, wenn ich noch meine ganze Kraft hätte«, sagte sie. »Die Wunden, die der Skull schlägt, heilen nicht. Aber ich kann seine Schmerzen ein wenig lindern.«