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»In Gorywynn?« Kai sah ihn mit schräg gehaltenem Kopf fragend an. »Ich war in meinem ganzen Leben noch nie in Gorywynn.«

»Und du hast es auch nicht mit deinem Heer belagert?«

»Nein!«, sagte Kai heftig. »Die gläserne Stadt ist heilig! Sie hat mit unserem Krieg nichts zu tun! Niemand käme auf die Idee die Hand gegen die Zitadelle des Zauberers zu erheben!«

Kim starrte ihn eine geraume Weile einfach nur an. Dann drehte er den Kopf, sah sich nach einem halbwegs trockenen Platz um, an den sie sich setzen konnten, und machte eine auffordernde Geste. »Ich glaube, ich habe dir eine Menge zu erzählen«, sagte er. »Und ich fürchte, das meiste davon wird dir nicht gefallen...«

»Und wer führt dann an meiner Stelle das Heer?«, fragte Kai, nachdem Kim zu Ende erzählt hatte. Seine Stimme bebte ganz leicht.

»Ist das so schwer zu erraten?«, fragte Kim.

Kais Miene verdüsterte sich noch weiter. »Das ist... ungeheuerlich«, flüsterte er. »Sich vorzustellen, dass er in meinem Namen den Angriff auf Gorywynn befohlen hat! Dafür wird er bezahlen!«

Es waren die ersten Worte, die er überhaupt sprach, seit Kim mit seinem Bericht begonnen hatte - was bestimmt eine halbe Stunde her war. Er hatte schweigend zugehört, anfangs voller Skepsis, später dann mit wachsendem Entsetzen und Zorn im Gesicht. »Dafür wird er bezahlen! Und all diese Dummköpfe, die ihm gefolgt sind, ebenso!«

»Es ist nicht ihre Schuld«, sagte Kim. »Und schon gar nicht deine! Der Magier der Zwei Berge ist ein Meister der Illusion und der Lüge. Wenn überhaupt jemanden die Schuld trifft, dann mich. Immerhin habe ich ihn aus dem Gefängnis befreit, in das die anderen Zauberer ihn gesperrt haben.«

»Du konntest nicht wissen, mit wem du es zu tun hattest«, antwortete Kai. »Ich an deiner Stelle hätte nicht anders gehandelt.« Er machte eine abwehrende Bewegung, als Kim etwas sagen wollte. »Es ist nicht besonders hilfreich, über einmal gemachte Fehler zu lamentieren. Viel wichtiger ist die Frage: Was tun wir jetzt?«

Kim schlug mit der flachen Hand auf die Tasche, in der er die Zauberkugel trug. »Damit wird es uns möglich sein, Themistokles einen Großteil seiner alten Macht zurückzugeben. Ich bin sicher, dass er den Magier der Zwei Berge aufhalten kann.« Kai lachte hart. »Das wird kaum nötig sein«, sagte er. »Meine Krieger werden ihn in Stücke reißen, wenn sie begreifen, dass sie einem Betrüger aufgesessen sind. Ausgerechnet ihm! Einem uralten Mann!«

Kim sah ihn voller Trauer an. Nach allem, was in den letzten Stunden geschehen war, hatte er fast vergessen, dass es da noch immer ein anderes Problem gab ...

»Und dann?«, fragte er.

»Was - dann?«

»Ich meine: Selbst wenn wir ihn wirklich besiegen ... wollt ihr diesen sinnlosen Krieg fortsetzen?«

»Er ist nicht sinnlos!«

»Er nutzt niemandem«, widersprach Kim. Kai ließ ihn jedoch gar nicht zu Ende sprechen, sondern schnitt ihm mit einer herrischen Geste das Wort ab.

»Wir haben ihn nicht angefangen! Die Alten waren es, die uns ihre Art zu leben aufzwingen wollten! Wir verlangen nur die Freiheit so zu leben, wie wir es wollen! Das ist nichts Unrechtes!«

Er sprang mit einem Ruck auf. »Ich schlage vor, dass wir uns darüber später streiten.« Plötzlich lachte er. »Und falls wir uns nicht einig werden, kannst du mich ja immer noch zu einem fairen Zweikampf herausfordern. Wir beide klären die Sache dann in einem ritterlichen Duell.«

»Sehr witzig«, maulte Kim und stand ebenfalls auf. Kai grinste, enthielt sich aber jedes weiteren Kommentars und sah stattdessen zum Ausgang hin.

»Nach allem, was du erzählt hast, haben wir nicht mehr sehr viel Zeit«, sagte er. »Wenn mein Doppelgänger auch nur halb so gut ist wie ich, dann ist er jetzt wahrscheinlich schon dabei, eine hübsche kleine Falle für deinen Freund Wolf aufzustellen.«

»Würdest du das tun?«, fragte Kim.

»Ich sagte: Wenn er halb so gut ist wie ich«, belehrte ihn Kai. »Ich würde in aller Ruhe abwarten, bis sie auf das Zwergenheer gestoßen sind, und mir dann die Überlebenden vorknöpfen.«

Ohne ein weiteres Wort brachen sie auf.

Sie verließen den Friedhof der Träume und marschierten eine ganze Weile in die Richtung zurück, aus der Kim gekommen war. Auf halber Strecke trafen sie auf einen schmalen, kristallklaren Bach, an dem sie sich waschen und ihre Kleider vom gröbsten Schmutz reinigen konnten. Er war auf dem Hinweg nicht da gewesen, aber was war hier schon logisch? Als sie weitergingen und Kim sich nach wenigen Schritten noch einmal umdrehte, war er wieder verschwunden.

Endlich stießen sie auf die Treppe. Kai staunte nicht schlecht, als er das knappe Dutzend Stufen sah, das vor ihnen aufragte und buchstäblich im Nichts endete, und noch mehr, als Kim ohne zu zögern hinauftrat. Aber er folgte ihm rasch - zumal die untersten Stufen zu verblassen begannen, kaum dass Kim die Mitte der Treppe erreicht hatte.

Hatte der Abstieg Stunden gedauert (wie es ihm vorgekommen war), so erlebte er eine Überraschung, als sie den Weg in umgekehrter Richtung hinaufgingen. Es vergingen nämlich nur wenige Minuten (wie es ihm vorkam), bis der obere Rand des Abgrundes vor ihnen auftauchte. Kim legte das allerletzte Stück mit einem Sprung zurück und stellte mit einem einzigen Blick fest, dass alle seine Weggefährten noch da waren, wo er sie zurückgelassen hatte: Der Pack und die Spinne hockten reglos im Gras und Sturm saß mit dem Rücken gegen einen Baum gelehnt da und kaute auf einem Grashalm. Twix hockte auf seiner Schulter, schien sich dort aber nicht besonders wohl zu fühlen, denn kaum hatte sie Kim erblickt, schwang sie sich mit einem erleichterten Piepsen in die Luft und flog auf ihn zu.

»Das wurde aber auch Zeit!«, rief sie. »Wir dachten schon, du -«

Sie brach mit einem erschrockenen Laut ab, als Kai dicht hinter Kim aus dem Abgrund kletterte. Die Spinne sprang mit einem Ruck auf und zischte drohend und auch der Pack erhob sich und kam mit gebleckten Zähnen und halb erhobenen Fäusten näher.

»Was macht denn der hier?«, zischelte die Spinne.

»Lasst ihn in Ruhe!«, sagte Kim hastig. Er drehte sich zu Kai herum und winkte. »Keine Angst. Ich werde ihnen alles erklären.«

»Na, da bin ich ja mal gespannt«, giftete die Spinne.

Kai kam zögernd näher. Sein Blick wanderte misstrauisch von einem zum anderen und blieb vor allem auf dem fußballgroßen Leib der Spinne immer wieder hängen. Auf seinem Gesicht war nicht die Spur von Furcht zu erkennen, aber er wirkte angespannt und seine rechte Hand lag griffbereit auf dem Schwert.

Kim sah aus den Augenwinkeln, dass auch Sturm aufgestanden war und langsam näher kam.

»Regt euch nicht auf«, sagte er rasch. »Er ist nicht der, nach dem er aussieht ... ich meine: Er ist schon der, nach dem er aussieht, aber ... aber der andere ist nicht der, wonach er aussieht, und ... also ... ähm ...«

»Aha«, sagte Twix.

»Danke für diese erschöpfende Auskunft«, fügte Sturm hinzu und die Spinne kroch näher, schnüffelte ausgiebig an Kais Bein und sagte schließlich: »Er riecht auch anders. Und besser.«

»Danke«, murmelte Kai.

»Ich glaube nicht, dass ich mit dir reden sollte«, sagte die Spinne. Kai wirkte nun vollends irritiert.

»Ich weiß, es ist schwer zu verstehen«, begann Kim von neuem, »aber wisst ihr: Das hier ist der echte Kai.«

»Der echte?« Twix legte den Kopf schräg. Der Pack kam näher, sah Kai einen Moment lang aus misstrauisch zusammengekniffenen Augen an und drehte sich dann wieder herum - allerdings nicht ohne Kim im Vorbeigehen noch einen kräftigen Tritt vor die Kniescheibe zu verpassen.

»Also, nach allem, was ich herausgefunden habe, ist er wirklich Kai«, sagte Kim noch einmal. »Er kann sich an nichts erinnern, was nach unserem allerersten Zusammentreffen geschehen ist.«