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Gorg beugte sich im Sattel vor, angelte mit seinen langen Armen am Boden und hob einen Zwergenumhang auf. Sein Besitzer hing noch darin. Gorg schüttelte ihn heraus und der Zwerg fiel zu Boden und rannte keifend davon. Noch bevor Kai recht wusste, wie ihm geschah, stülpte Gorg ihm den Umhang über und zog die Kapuze weit in sein Gesicht.

»Das ... das ist entwürdigend!«, beschwerte sich Kai.

»Stimmt«, grinste Kim. Kai hatte Recht - es war entwürdigend und es sah durch und durch lächerlich aus. Der Mantel bedeckte kaum seine Schultern.

»Ich finde, es steht dir«, sagte er.

»Es ist peinlich«, grollte Kai.

»Ich weiß«, sagte Kim. »Und weißt du: Ich kenne das Gefühl.« Er zwang sein Pferd herum. »Warte hier. Wir sind bald zurück.«

Sie sprengten los. Wolfs Reiter machten ihnen Platz, so gut es ging, und der Skull verkürzte den Weg noch, in dem er ihnen entgegenkam, noch immer attackiert von Zwergen, Steppenreitern und mittlerweile auch Wolfs Kriegern. Auch wenn alle diese Angriffe wenig bewirkten, so ließ allein der Anblick doch Kims Herz höher schlagen. Es war gleich, ob es etwas nutzte oder nicht - die drei unterschiedlichen Heere hatten ihre Feindschaft vergessen und sich zusammengetan, um einen gemeinsamen Feind zu bekämpfen, der sie alle drei bedrohte.

Kim sah sich verstohlen um. Die Spinne war irgendwann auf dem Weg zu Wolf von seinem Sattel gesprungen und verschwunden und den Pack hatte er schon eine geraume Weile nicht mehr gesehen. Vielleicht würden wenigstens diese beiden überleben, wenn es ihnen nicht gelang, den Skull zu besiegen. Der Gedanke hatte etwas Tröstliches.

Er ließ seinen Blick wieder über die gewaltige Menge aus Kriegern und Zwergen rings um sich herum wandern und plötzlich wurde ihm klar, dass sie eben nicht nur eine riesige Masse gesichtsloser, Schwert schwingender Gestalten waren, sondern viel, viel mehr. Jeder Einzelne von ihnen war ein denkendes, fühlendes Wesen, hatte ein Leben wie er, voll von Träumen und Wünschen, von Tränen und Enttäuschungen, aber auch von Lachen, von Momenten des Glücks und der Zufriedenheit, von Erinnerungen. Sie waren nicht einfach nur Krieger; Soldaten, die zum Sterben da waren und zu sonst nichts. Jeder Einzelne von ihnen hatte ein Leben, das so einzigartig und erfüllt war wie sein eigenes. Wenn es sein Leben kosten mochte, all diese anderen zu retten, dann war das ein geringer Preis.

Und trotzdem hatte er unvorstellbare Angst vor dem Moment, an dem er ihn vielleicht würde zahlen müssen ...

Er spürte etwas, und als er sich im Sattel herumdrehte, da wurde ihm klar, dass es nichts anderes als Themistokles' Blick gewesen war. Der alte Zauberer ritt unmittelbar neben ihm, auf der anderen Seite flankiert von Gorg, dem Riesen. Das Gesicht des Magiers war wie Stein. Wenn er ebenfalls Angst hatte, so zeigte er es nicht. Aber in seinem Blick lag etwas, das Kim beunruhigte.

Sie hatten den Skull erreicht. Vor ihnen wichen die letzten Krieger zur Seite und dann standen sie dem Titanen Auge in Auge gegenüber.

Es gab kein Zögern, kein letztes Anstarren und Sich-Abschätzen. Der Kampf brach sofort und mit gnadenloser Kompromisslosigkeit los.

Wie Kim beinahe erwartet hatte, stürzte sich der Skull sofort auf ihn. Seine riesigen Scheren schnappten zu und hätten ihn vermutlich mit einer einzigen Bewegung sauber zweigeteilt, wäre Kim nicht gedankenschnell aus dem Sattel gesprungen und ein paar Schritte fortgerannt. Sein Pferd ging mit einem schrillen Kreischen durch und galoppierte davon und neben ihm sprangen auch Sturm und Themistokles aus den Sätteln, einen Moment später gefolgt von Gorg, der sein Schwert nun gegen eine gewaltige Stachelkeule getauscht hatte, die er mit aller Kraft gegen die gepanzerte Schnauze des Skull krachen ließ.

Das Wesen reagierte mit einem wütenden Zischen und schleuderte den Riesen zu Boden, aber in diesem Moment war auch Themistokles heran. Mit hoch erhobenen Händen trat er dem Koloss entgegen. Seine Lippen formten lautlose Worte und plötzlich sprühte blaues Feuer aus seinen Fingerspitzen, das den Kopf und die vorderen Gliedmaßen des Skull einhüllte.

Die bleiche Kreatur richtete sich mit einem ungeheuerlichen Brüllen auf. Einer ihrer langen, mit scharfen Widerhaken und Dornen bewehrten Gliedmaßen traf den Magier vor die Brust und schleuderte ihn meterweit davon, aber noch während Themistokles fiel, sprühten seine Fingerspitzen weiter blaue, knisternde Flämmchen, die in einem irrsinnig schnellen Hin und Her über die Panzerplatten des Skull sprangen und dem Wesen grausame Qual zu bereiten schienen, denn es bäumte sich immer weiter und weiter auf und schrie mit einer Stimme, die wie das Dröhnen eines Gewitters in einem schmalen Bergtal war.

Kim stemmte sich endlich auf die Füße, riss den Bogen von der Schulter und schoss ohne zu zielen. Er wusste, dass es sinnlos war: Der Pfeil musste einfach von den Panzerplatten abprallen wie alles andere zuvor.

Stattdessen durchschlug er sie und drang fast bis zu seinem gefiederten Schaft in den Hals des Ungeheuer ein.

Kim riss ungläubig die Augen auf und es dauerte noch fast eine Sekunde, bis er zu begreifen begann, was wirklich geschehen war: Themistokles' Hände hatten aufgehört Funken zu sprühen, aber das blaue Feuer lief noch immer über den Panzer des Skull.

Themistokles' Magie nahm dem Monster seine Unverwundbarkeit!

Oben auf dem Hügel krachte wieder die Zwergenkanone. Das Geschoss kam pfeifend herangeflogen und traf die Flanke des Skull.

Diesmal prallte es nicht davon ab, sondern zerschmetterte ein gewaltiges Stück der weißen Panzerplatten und der Skull bäumte sich noch weiter auf und schrie, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, vor wirklichem Schmerz.

Im nächsten Augenblick schon ging das Gebrüll des Skull im Triumphgeschrei zahlloser Kehlen unter. Jedermann hatte gesehen, was Kims Pfeil und vor allem die Kanonenkugel dem Skull angetan hatten, und der Anblick gab dem schon in Auflösung begriffenen Heer noch einmal neuen Mut. Gorg schwang mit einem gewaltigen Brüllen seine Keule, Kim schoss Pfeil auf Pfeil auf den tobenden Giganten ab. Dutzende von Kriegern und Zwergen attackierten den Skull Schulter an Schulter. Die Dampfkanone feuerte wieder und schlug einen weiteren, gewaltigen Krater in die Panzerplatten und ein wahrer Hagel von Pfeilen und geschleuderten Speeren senkte sich auf das Ungeheuer herab.

Aber obwohl nun verwundbar, stellte der Skull noch immer eine schreckliche Gefahr dar. Er war so groß wie ein Drache und ungleich gefährlicher. Mehr als einer der Angreifer bezahlte mit einem fürchterlichen Hieb oder einem blitzartigen Zuschnappen gewaltiger Kiefer und Zähne dafür, dem Ungeheuer zu nahe gekommen zu sein. Und der Koloss kroch immer noch näher!

Kim feuerte einen weiteren Pfeil auf ihn ab, fuhr herum und war mit zwei, drei gewaltigen Sätzen bei Themistokles.

Der alte Magier lag reglos im niedergetrampelten Gras. Kim konnte auf den ersten Blick keine Verwundung erkennen und Themistokles war auch bei Bewusstsein. Aber seine Augen waren trüb, und nachdem Kim ihn halbwegs aufgesetzt hatte, musste er ein paar Mal an seiner Schulter rütteln, damit er überhaupt reagierte.

»Themistokles!«, schrie er. »Themistokles! Du musst uns helfen! Er ist zu stark für uns!«

Themistokles stöhnte. Er wäre wieder gestürzt, hätte Kim ihn nicht gehalten. »Ich ... kann nicht«, murmelte er. »Meine Kräfte ... sind erschöpft.«

Kim warf einen hastigen Blick über die Schulter zurück. Der Skull kam näher. Er war langsamer geworden und trotzdem schien er noch immer unaufhaltsam. Seine Panzerplatten waren zerschlagen. Er blutete aus zahllosen schrecklichen Wunden - und doch schien alles, was sie ihm anhaben konnten, ein paar oberflächliche Kratzer zu sein. Das Ungeheuer war einfach zu groß, als dass sie ihm ernsthaft Schaden zufügen konnten, geschweige denn, es aufzuhalten. Sie befanden sich in der Lage von Kindern, die versuchten, mit Kuchengabeln und Taschenmessern einen wütenden Elefantenbullen aufzuhalten.